Reinhold Messner:Die vielen Wahrheiten des Nanga Parbat

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Reinhold Messner droht Kritikern mit einstweiligen Verfügungen - doch die Zweifel an seiner Version kann er nicht ausräumen

Achim Zons

(SZ vom 27.6.2003) München - Es ist heiß in den Räumen des Piper Verlags in München, sehr heiß. Alles dürstet nach der eisigen, klaren Luft, die man auf einem Achttausender des Himalaya vermutet. Doch der bärtige Gastgeber kennt keine Gnade. Er brodelt und kocht wie ein Vulkan. Und präsentiert schließlich das, was er wohl für eine Bombe hält: zwei einstweilige Verfügungen gegen die beiden Münchner Verlage A1 und Herbig, die er gleich nach der Pressekonferenz unterzeichnen wolle.

Schon ein Wunder, was Messner alles kann, denn das ist eigentlich Sache eines Gerichts. Immerhin: Die Waffe, wie immer sie aussehen mag, ist gerichtet gegen jene beiden Verlage, die in diesen Wochen Bücher von Teilnehmern der Nanga-Parbat-Expedition des Jahres 1970 veröffentlicht haben, in denen der Mythos des Reinhold Messner doch etwas angekratzt wird.

Und obwohl es heiß und stickig ist, hat man das Gefühl, dass die Luft um Messner mittlerweile sehr dünn geworden ist, so dünn, dass er sich nicht mehr nur mit Worten zu wehren versucht - sondern auch mit schweren Geschützen. Keine gute Voraussetzung, wenn man gewillt ist, die Details nicht aus den Augen zu verlieren.

So viel ist immerhin klar: Ein Mann klettert auf einen Berg. Sein Bruder folgt ihm. Sechs Tage später taucht der Mann wieder auf, ohne den Bruder. Der ist verschollen, irgendwo auf dem Berg. Niemand anderes als der Mann weiß, was passiert ist. Und doch wird die Zahl derer größer, die seinen Erklärungen nicht mehr uneingeschränkt glauben mögen.

Reinhold Messner hat es wahrlich nicht leicht, das wird auch während dieser Pressekonferenz deutlich. Er hat eine Lawine losgetreten, die er nicht mehr stoppen kann, selbst er nicht, der Übermenschliches gezeigt hat auf den höchsten Bergen der Welt. 30 Jahre hat er seine Version vom Tod seines Bruders unwidersprochen verbreiten können, bis er dann plötzlich, vor ungefähr eineinhalb Jahren, das schlafende Ungeheuer selbst geweckt hat, indem er die einstigen Bergkameraden beschuldigte, im entscheidenden Moment ihm und seinem Bruder Günther nicht geholfen zu haben.

Das war nicht sehr geschickt - denn diese Bergkameraden wehrten sich gegen die Attacke. Hans Saler, Extrembergsteiger und 1970 in der 3. Gipfelmannschaft, schrieb über die Tragödie am Nanga Parbat das Buch "Zwischen Licht und Schatten", das jetzt im A1 Verlag erschienen ist.

Und Max von Kienlin, ebenfalls Teilnehmer der legendären Expedition, veröffentlichte im Herbig Verlag das Buch "Die Überschreitung", in dem er wesentliche Teile von Messners Erzählungen in Zweifel zieht. Was den Bergsteiger in den Räumen des Verlags zu den Worten veranlasst: "Alles Fälschungen, alles Lügen, alles Teil einer Rufmordkampagne."

Man kommt also nicht umhin, noch einmal in die Wand einzusteigen, in diese gewaltigste Steilwand der Erde, die auf den Namen Rupal-Wand hört und 4500 Meter hoch ist. Aber bevor man gedanklich die erste Fußspitze in das Eis hämmert, sollte man den Hauptwiderspruch kenntlich machen. Reinhold Messner behauptet, mit seinem Bruder zusammen auf der anderen Seite des Bergs hinuntergeklettert zu sein, über die so genannte Diamir-Seite, wo Günther von einer Lawine erfasst worden sei.

Und die anderen - Saler, Kienlin, Jürgen Winkler, der Bergfotograf, und Gerhard Baur, der Kameramann - sagen, Reinhold habe sich ihrer Meinung nach kurz unterhalb des Gipfels von seinem erschöpften Bruder getrennt. Er sei allein auf der Diamir-Seite abgestiegen, während Günther Messner wohl den Weg zurückzugehen versuchte, den er auch aufgestiegen war. Dabei sei er abgestürzt.

Ein Berg, zwei Meinungen, fünf Bücher, drei allein von Reinhold Messner, und dieser Streit ist mitnichten einer um des Kaisers Bart. Im Raum steht, bedrohlich und aufregend, die Schuldfrage. Messner hat immer wieder durchblicken lassen, dass die Bergkameraden ihm und seinem Bruder nicht in dem Maße geholfen hätten, wie er sich das gewünscht hätte.

Und die anderen sagen: Messner sei nicht nur der einzige Zeuge der Ereignisse gewesen, er sei auch der einzige, der seinen Bruder hätte retten können - und es wegen seiner ehrgeizigen Ziele nicht tat.

Es bleibt einem also nicht erspart, noch einmal zu jenem entscheidenden Morgen zurückspringen, zu jenem 28. Juni 1970, als alles kumulierte. Bestes Wetter, blauer Himmel, eine atemberaubende Kulisse. Reinhold Messner steht oben an der Merkl-Scharte, er hat den Gipfel-Sieg schon hinter sich, ungefähr hundert Meter tiefer sind Felix Kuen und Peter Scholz, zwei der besten Bergsteiger, die es damals gab. Zwischen Messner und den beiden liegt das letzte Stück der Merkl-Rinne, eine damals unüberwindbare Steilwand.

Und dann kam, genau an dieser Stelle, der entscheidende Satz: Reinhold Messner sagte, dass alles in Ordnung sei. Keine Bitte um Hilfe, keine Frage nach einem Seil, kein Wort, dass sein Bruder krank sei. Wenn der Bruder in der Nähe war, was Messner behauptet - warum dann dieses völlig unverständliche Verhalten? Heute sagt Messner: "Weil ich Kuen und Scholz nicht zu einem lebensgefährlichen Manöver überreden will."

Aber welches lebensgefährliche Manöver könnte das gewesen sein? Die beiden waren kräftig genug und auch ausgerüstet, um Hilfe zu leisten.

In Messners Buch "Die weiße Einsamkeit", das er hier in diesen Räumen an diesem Freitag vorstellt, ist auf Seite 223 ein Photo des Autors abgebildet. Die Bildunterschrift lautet: "Reinhold Messner 1970 im Diamirtal, zu Tode erschöpft". Ein schönes Bild. Aber ist das Bild nun Wahrheit? Oder Erfindung?

Denn hat Reinhold Messner nicht immer und immer wieder behauptet, nach dem Verschwinden seines Bruders bei seinem Weg in das Diamirtal tagelang alleine gewesen zu sein? Nur noch getrieben vom Überlebenswillen? Nicht mehr dabei gehabt zu haben als die Kleidung, die er am Leibe trug? Und niemanden getroffen zu haben bis zu dem Moment, wo ein paar einheimische Bauern ihn halb tot fanden, mit sechs erfrorenen Zehen?

Und jetzt auf einmal dieses Photo. Wo kam die Kamera her? Und vor allem: Wer hat das Foto gemacht?

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