Rätsel auf dem Meeresgrund:Wer hat dieses Schiff gesehen?

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In der Schlacht um die Javasee versenkten die Japaner 1942 die "De Ruyter" und andere alliierte Kriegsschiffe. Seither lagen die stählernen Kolosse auf dem Meeresgrund. Jetzt sind einige Wracks plötzlich verschwunden.

Von Arne Perras, Singapur

In den meisten Ländern des Westens ist die "Schlacht um die Javasee" wenig bekannt, viel weniger jedenfalls als andere Ereignisse des pazifischen Krieges, der Überfall auf Pearl Harbor oder die Schlacht um Midway. Das könnte sich ändern. Denn ein Expeditionsteam machte vor der indonesischen Insel Java, wo die Japaner 1942 zahlreiche Schiffe der Alliierten versenkten, eine verblüffende Entdeckung: Dort, wo vor einem Dreivierteljahrhundert Zehntausende Tonnen Stahl versanken und Hunderte Seeleute mit in die Tiefe rissen, fanden die Forscher jetzt: nichts.

Jahrzehntelang waren die Wracks auf dem Meeresgrund gelegen, Kriegsgräber in der Tiefe. Doch das Filmteam, das eine Dokumentation zum 75. Jahrestag der Schlacht machen sollte, war geschockt, als es die Koordinaten erreichte. Die Bilder des Sonars ließen zwar noch tiefe Abdrücke der Wracks erkennen. Doch ansonsten war kaum noch etwas zu entdecken. Zwei Kriegsschiffe scheinen komplett verschwunden zu sein, ein weiteres ist nur noch in Teilen vorhanden, wie die niederländische Regierung bestätigte.

Für einen Mann ist das besonders bitter: für den 82-jährigen Theo Doorman, der auch bei den Filmaufnahmen dabei war. Er ist der Sohn von Admiral Karel Doorman, der die Flotte gegen die Japaner damals befehligte, er wollte sehen, wo die Schiffe lagen, wo sein Vater starb. "Ich war nicht wütend, sondern traurig", sagte er dem Sender BBC. "Jahrhunderte war es üblich, das Grab von Seeleuten nicht anzutasten. Doch das ist hier passiert." Der niederländische Premier Mark Rutte, der diese Woche in Jakarta weilt, nannte das Verschwinden "unannehmbar". Er sprach von "einer Schändung von Kriegsgräbern". Fast 1000 niederländische Seeleute waren damals in der Schlacht umgekommen.

(Foto: imago)

Verschwunden sind die Wracks der Kreuzer Java und De Ruyter sowie ein Stück der Kortenaer. Doch nicht nur die Holländer vermissen Schiffe, erste Untersuchungen der Briten, über die der Guardian schrieb, kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Auch von den Wracks der Exeter und der Encounter, die unter der Flagge der Royal Navy fuhren, ist kaum noch etwas übrig geblieben.

Die Wracks sind bei Tauchern ebenso beliebt wie bei Altmetall-Dieben

Ausgeplündert, gesprengt, gehoben und verkauft? So lautet der Verdacht. Gewissheit soll eine Untersuchung bringen, doch längst konzentrieren sich die Überlegungen auf Plünderer-Syndikate, die keine Mühe scheuen, um Wracks auf hoher See zu zerlegen. Die britischen Schiffe waren erst 2008 entdeckt worden, die holländischen schon 2002, damals waren Hobbytaucher auf die Schiffe gestoßen. In den Gewässern zwischen Malaysia und Indonesien waren im Zweiten Weltkrieg Dutzende Schiffe gesunken. Sie gelten als begehrte Beute für die Altmetalljäger.

Offenbar gibt es ganze Mannschaften, die sich auf diese mühsame und gefährliche Arbeit spezialisiert haben. Manche tarnen sich als Fischer, wenn sie hinausfahren. Vergangenes Jahr erregte der Appell eines malaysischen Tauch-Centers Aufmerksamkeit, Direktor Zainal Rahman Karim warnte in der New Straits Times, dass mehrere gesunkene Kriegsschiffe illegal ausgeplündert würden. Solche Wracks sind, sofern sie nicht allzu tief liegen, immer auch eine Attraktion für Hobby-Taucher. Karim fürchtet, dass die Metalljäger die meisten Wracks in wenigen Jahren ausgeplündert haben könnten. Schon ein einziges Blatt einer Schiffsschraube erziele auf dem Schwarzmarkt Preise um die 20 000 Dollar. Bei Tausenden Tonnen Stahl sowie wertvollen Kupfer- und Messingstücken lockt dort unten ein Vermögen.

SZ-Grafik (Foto: SZ-Grafik)

Für Nachfahren und Angehörige der Soldaten ist es jedenfalls bitter, dass das Ausplündern die letzte Ruhe stört. "Die Leute, die dort starben, sollte man in Frieden lassen", klagt Theo Vleugels von der niederländischen Stiftung für Kriegsgräber. Allerdings gibt es keine eindeutigen Regeln, wie Wracks in internationalen Gewässern zu schützen sind. Deutschland etwa betrachtet "gesunkene oder versenkte Schiffe als Eigentum des Flaggenstaates", wie die Regierung 1993 auf eine Anfrage erklärte. Darüber hinaus vertritt Berlin die Ansicht, dass diese, sofern darin menschliche Überreste verblieben sind, als Seegrab vom humanitären Völkerrecht geschützt seien. Ähnlich sehen das die Niederländer. Doch international festgeschrieben ist das nicht, es kann lediglich aus dem sogenannten Völkergewohnheitsrecht abgeleitet werden. Einigkeit darüber herrscht aber nicht.

Wer sich umhört unter Bergungsexperten, der erfährt, dass das Zerlegen und der Abtransport so großer Schiffe kaum machbar seien, ohne dass Behörden oder Militärpatrouillen davon wüssten. Auch erforderten solche Einsätze gute Logistik. Niemand, der etwas von der Technik versteht, glaubt daran, dass es hier um eine Handvoll armer Fischer gehen könnte, die sich etwas dazuverdienen wollten.

Doch die Regierung in Jakarta hat deutlich gemacht, dass sie sich nicht in der Verantwortung sieht: "Die niederländische Regierung kann der indonesischen Regierung keinen Vorwurf machen, weil sie uns nie gebeten hat, diese Schiffe zu schützen", sagte der Archäologe Bambang Budi Utomo dem Sender Channel News Asia. Er leitet das Archäologische Zentrum Indonesiens, das dem Kulturminister untersteht. Sein Land habe gar nicht die Mittel, den Ozean ständig und überall zu überwachen. Er glaubt, dass es Jahre gedauert haben muss, die Schiffe zu zerlegen. Auch die Archäologin Veronique Degroot, die in Jakarta forscht, bestätigt, dass das Plündern gewaltige Ausmaße angenommen hat. "Nicht nur bei den Kriegsschiffen aus dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch bei sehr alten Wracks."

Das Gedenken an die "Schlacht um die Javasee" am 27. Februar 2017 muss also ohne Wracks auskommen. Die Gefechte, die damals tobten, führten zu einer der schlimmsten Niederlagen der Alliierten. "Es war ein Albtraum", urteilt US-Militärexperte Robert Farley, der in einer Analyse Fehler und Schwächen des sogenannten ABDA-Verbands beschrieb, in dem sich Australier, Briten, Holländer und Amerikaner gegen die Japaner stemmten. Der Gegner siegte, im Frühjahr 1942 war die japanische Marine auf dem Höhepunkt ihrer Macht und konnte Niederländisch-Indien erobern, das heutige Indonesien. Von der späteren Wende im Krieg und der Niederlage der Japaner war im Februar 1942 noch nichts zu spüren.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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