Prozess in Berlin:Einfach weg

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Im Januar brach die Polizei die Wohnung von Heinz N. in diesem Gebäude auf und entdeckte dessen Leiche. Josef S. wurde kurz darauf festgenommen. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Ein Rentner verschwindet, zehn Jahre lang bemerkt das niemand. Nun steht Josef F. vor Gericht, er wird beschuldigt, seinen Nachbarn erschossen und in einer Tiefkühltruhe aufbewahrt zu haben, um dessen Rente zu kassieren.

Von Thorsten Schmitz, Berlin

Josef S. trägt ein schwarzes Jackett, einen Vollbart und die Haare sehr kurz. Mit festem Blick schaut er zu Prozessbeginn vor der 40. Großen Strafkammer des Moabiter Landgerichts ins Publikum, bei manchen verharrt sein Blick. Als der Staatsanwalt an diesem trüben Morgen die Anklageschrift verliest, hört S. interessiert zu, als sei nicht er gemeint, dem diese ungeheuerliche Tat zur Last gelegt wird.

Ein anderer Nachbar kontaktierte mehrfach die Hausverwaltung, die habe jedoch nie reagiert

Am Mittwoch ist nach einer Verzögerung wegen Ungereimtheiten bei der Besetzung eines Schöffen die Hauptverhandlung eröffnet worden gegen den 56 Jahre alten, ledigen S. Ihm wird Mord aus Habgier, Heimtücke und zur Ermöglichung einer anderen Straftat vorgeworfen. Das Verbrechen, das er begangen haben soll, hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst und eine Diskussion angestoßen, wie schnell Rentner in deutschen Großstädten vereinsamen können.

Mit tonloser Stimme trägt Staatsanwalt Reinhard Albers vor, dass Josef S. "an einem nicht näher bestimmten Tag" zwischen dem 30. Dezember 2006 und dem 1. Januar 2007 den damals 80 Jahre alten Rentner Heinz N. mit einem Kopfschuss getötet haben soll. Womöglich habe der Angeklagte die Silvesterknallerei ausgenutzt, sodass der Schuss nicht aufgefallen sei. Anschließend habe S. die Leiche in vier Teile zerstückelt und in einer eigens hierfür angeschafften Tiefkühltruhe deponiert.

Der Angeklagte habe sich das Vertrauen des Rentners erschlichen, nachdem dessen Frau im März 2006 verstorben war. Das Ehepaar hatte keine Angehörigen, weder Freunde noch Bekannte. Nach dem Tod seiner Frau habe Heinz N. in Isolation gelebt, das mag der Angeklagte ausgenutzt haben. Denn ganze zehn Jahre vergehen, bis die Polizei dem Mord auf die Spur kommt. Ein Nachbar hatte befürchtet, Heinz N. sei etwas zugestoßen. Mehrfach hatte der Nachbar die Hausverwaltung kontaktiert, die aber habe nie reagiert. Am 9. Januar 2017 dann hielt der Mann eine Polizeistreife an, die die Wohnung aufbrach und N.s Leiche in der Tiefkühltruhe entdeckte. Josef S. wurde kurz darauf festgenommen, als er den Briefkasten leerte.

Wie es sein kann, dass Menschen mitten in der Großstadt verschwinden?

Über einen Zeitraum von zehn Jahren soll Josef S. die monatliche Rente von Heinz N. in Höhe von 2000 Euro kassiert haben, er hob das Geld mit dessen EC-Karte ab. Insgesamt habe S. sich so mindestens 240 000 Euro an Rentenzahlungen erschlichen. Um kein Misstrauen zu erregen, soll der Angeklagte, der bislang geschwiegen hat, ein ausgeklügeltes System der Spurenverwischung betrieben haben. Josef S. habe mehrfach Einkommensteuererklärungen im Namen des Rentners verfasst und an das Finanzamt Prenzlauer Berg geschickt, versehen mit einer gefälschten Unterschrift. Auch soll der Angeklagte die Wohnung des Rentners ständig gelüftet und dessen Briefkasten geleert haben. Um den Nachbarn vorzugaukeln, der Rentner sei am Leben und halte sich über längere Zeiträume hinweg in Westdeutschland auf, habe der Angeklagte eine Zeitschaltuhr im Schlafzimmer installiert. Die Frage, die über diesem Prozess schwebt, ist nicht nur, zu welcher Grausamkeit ein Mensch aus Habgier fähig ist, sondern auch: Wie es sein kann, dass Menschen mitten in der Großstadt verschwinden - und so lange niemand Notiz davon nimmt?

Josef S. stammt aus Polen, hat seit seiner Kindheit in Deutschland gelebt und sich als Trödelhändler durchgeschlagen. Er sei spielsüchtig gewesen, berichten mehrere Lokalzeitungen, und habe abends Hunderte Euro an Automaten verzockt.

Staatsanwalt Albers widersprach am Mittwoch in einem Interview mehreren Berichten, wonach sich Nachbarn über modrigen Geruch beschwert hätten, der aus der Wohnung des Rentners gedrungen sei. Nachdem Josef S. die Leiche des Rentners zerstückelt habe, habe er dessen Wohnung geputzt und aufgeräumt. Als Polizeibeamte am 9. Januar die Wohnung betraten, sei diese in einem "fast klinisch reinen Zustand" gewesen. Über die Tiefkühltruhe habe der Angeklagte eine Tischdecke gelegt und auf diese eine Topfblume gestellt.

Josef S. hatte gerade ein paar Monate im Mietshaus von Heinz N. gelebt, bevor dieser verschwand. In der Nachbarschaft hat S. einen guten Ruf genossen. Auf dem Gerichtsflur berichtete am Mittwoch ein ehemaliger Imbiss- und Zeitungsladenbesitzer, Josef S. habe oft bei ihm gefrühstückt. Er könne nicht begreifen, dass Josef S. einen Menschen zerstückelt haben soll. "Der war doch so ein lieber Kerl."

Der Prozess, der am Mittwoch nach Verlesung der Anklageschrift erneut vertagt wurde, diesmal aus formaljuristischen Gründen, wird in der kommenden Woche fortgesetzt.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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