Prozess gegen TV-Moderator:Ein Verfahren, das nicht mit dem Urteil endet

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Im Vergewaltigungs-Prozess gegen Andreas Türck wird ein Freispruch erwartet - gestraft sind der Moderator und das fragliche Opfer so oder so.

Detlef Esslinger

Zwei Verhandlungstage noch, dann haben sie diesen Prozess endlich überstanden. Zweimal noch wird Katharina B., die Nebenklägerin, eine Minute vor zehn Uhr den Gerichtssaal betreten, keine Minute früher als nötig. Die Arme vor der Brust verschränkt, das Gesicht von den Fotografen abgewandt, so wird sie zu ihrem Platz auf der gegenüberliegenden Seite hasten; dort angekommen, wird sie mit dem Gesicht zur Wand in ihrer Handtasche herumkramen, nichts suchend als Anonymität.

Andreas Türck im Gerichtssaal. (Foto: Foto: dpa)

Zweimal muss Andreas Türck, der Angeklagte, hier noch ausharren, in schwarzem Anzug, weißem Hemd und weinroter Krawatte, so seriös, wie er sich nie zuvor in seinem Leben präsentieren musste. An diesem Dienstag werden die Plädoyers gehalten, am Donnerstag folgt das Urteil.

Ein eigentümliches Verfahren

Mit dem Freispruch, der allgemein erwartet wird, wird indessen nur das Gerichtsverfahren beendet sein. Mit den Folgen des Prozesses werden Katharina B. und Andreas Türck noch lange zu kämpfen haben.

Die 27. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts hat es sich zur Aufgabe machen wollen, herauszufinden, worum es sich bei dem Oralverkehr handelte, den der Fernsehmoderator Türck und die Bankkauffrau B. am Abend des 23. August 2002 auf einer Mainbrücke in Frankfurt miteinander hatten: um einvernehmlichen Sex, wie Türck sagt, oder um eine Vergewaltigung, wie B. sagt.

Ein Vorfall sollte aufgeklärt werden, für den es keine materiellen Beweise gibt, zum Beispiel Verletzungen oder Zeugenaussagen. Es wäre möglicherweise leicht gewesen, Verletzungen zu ermitteln, denn schon am 24. August 2002, am Tag darauf also, hörte die Polizei ein Telefongespräch ab, in dem Katharina B. einem Bekannten erzählte, sie sei von Türck vergewaltigt worden.

Aussage nur mit Widerwillen

Der Bekannte wurde wegen einer Drogensache überwacht, und die Polizei wollte diese Ermittlungen nicht gefährden. Deshalb dauerte es ein halbes Jahr, bis Beamte plötzlich am Arbeitsplatz von Katharina B. erschienen, um eine Aussage von ihr zu erhalten. Auf dieser Aussage fußt nun die Anklage, sie ist im Grunde das einzige Beweismittel, das der Strafkammer zur Verfügung steht. Es handelt sich um eine Aussage, die Frau B. mit offensichtlichem Widerwillen gemacht hat.

"Ich möchte mich nicht daran erinnern müssen. Ich bin heilfroh, dass ich mich nicht erinnern kann. Diese Befragung ist wie eine zweite Vergewaltigung." Mit diesen Sätzen wird Katharina B. von der Psychologin Edda Gräfe zitiert, die als eine von zwei Sachverständigen ihre Glaubhaftigkeit beurteilen soll.

In diesen Sätzen kommt die ganze Labilität ihrer Aussage zum Ausdruck: Eine zweite Vergewaltigung kann es ja nur geben, wenn es auch eine erste gab - und an die kann B. sich nicht mehr erinnern? Oder, andersherum: Erst behauptet sie, sich nicht erinnern zu können, anschließend aber gibt sie eine zweite Vergewaltigung an. Was ist eine solche Zeugin wert?

Labil und unter Druck

Die Psychologin Gräfe berichtet, wie schwierig es für sie war, Zugang zu der heute 29 Jahre alten Frau zu gewinnen. Wie diese beim Gespräch auf der Ecke des Sofas saß, ein Kissen vor den Bauch gepresst, und angab, von der Polizei unter Druck gesetzt worden zu sein.

Als Zeugin in einem Strafverfahren sei sie zur Aussage verpflichtet, andernfalls drohe ihr selber eines. Katharina B. fügte an, sie habe noch aus einem weiteren Grund nicht reden wollen: Weil man ihr ja doch nicht glauben werde - "schließlich handelt es sich bei Herrn Türck um eine bekannte Person".

Die Psychologin berichtet, dass sie einen psychisch labilen Menschen getroffen hat. Das Ergebnis ihrer Untersuchung war, dass es bei Katharina B. Anzeichen für eine hypochondrische sowie eine hysterische Neurose gab, für Paranoia und Schizophrenie. Das ist traurig und für ein Strafverfahren verhängnisvoll: "Der Druck, eine Aussage produzieren zu müssen, führt bei dieser Persönlichkeitsstruktur mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu, dass Pseudo-Erinnerungen installiert werden", sagt die Psychologin Gräfe. "Man will sein Gegenüber zufrieden stellen", und zwar aus einem einzigen Grund - "um sich dem Druck so schnell wie möglich zu entziehen."

Sogar die Mülltonne durchwühlt

Tatsächlich hat Katharina B. den Druck damit nur vergrößert. Von der Polizei kam ihre Aussage zur Staatsanwaltschaft, die Staatsanwaltschaft schickte ihr die Psychologin und verfasste eine Anklage, von einer Anwältin ließ sie sich überzeugen, dass es für sie das Beste sei, als Nebenklägerin dem Verfahren nicht nur beizutreten, sondern auch beizuwohnen.

So geriet sie in den größten Gerichtssaal, den der Frankfurter Justizkomplex zu bieten hat, und weil manche Fotografen nicht warten wollten, bis sie sie dort vors Objektiv bekamen, fragten sie bei ihren Nachbarn an, ob sie Fotos von deren Balkon aus machen dürften; auch ihr Briefkasten und ihre Mülltonne wurden durchwühlt.

In der Bild-Zeitung sahen zwei ehemalige Schulfreundinnen aus der 9. und 10. Klasse ihr Foto aus dem Gerichtssaal, dachten sich, Mensch, das ist doch die Kathi, und ihnen fiel ein, wie die schon damals mit Phantasiegeschichten die Klasse nervte: Mal wurde sie vergewaltigt, mal hatte sie Leukämie. Als Zeuginnen der Verteidigung tragen sie nun mit dazu bei, dass Züge von Katharina B. in die Öffentlichkeit gelangen, die nicht dorthin gehören, will die Frau ihr Leben jemals in den Griff bekommen.

Ein Prozess wie eine Talkshow

Es ist wie in einer Talkshow. Alles, was an jenen Nachmittags-Shows immer kritisiert wurde, wie sie der inzwischen 36-jährige Moderator Andreas Türck im Fernsehsender Pro Sieben von 1998 bis 2002 moderierte, findet hier im Gewand einer Gerichtsverhandlung statt. "Andreas, ich will wilden Sex!", "Andreas, glaub' mir, sie hat Schläge verdient!" - das waren so typische Titel seiner Sendungen.

Menschen ohne jede Medien-Erfahrung begaben sich in seine Show, gaben ihre intimsten Wünsche oder Störungen zum Besten; es folgten der Werbeblock und das jeweils nächste Schicksal. Um die Katastrophen, die sie ihren Gästen damit einbrockten, bei deren Familien und Freunden, machten sich Moderatoren wie Türck wenig Gedanken.

Dass dessen Persönlichkeit nun selbst zum Gegenstand mehrjähriger öffentlicher Erörterung geworden ist, dürfte eine Lebenserfahrung sein, mit der dieser nicht gerechnet hat, woher auch. Als im April 2003, ein halbes Jahr nach dem Vorfall, die Polizei bei ihm in Wiesbaden an der Tür stand, soll er gefragt haben: "Wollen Sie mich verarschen?"

Türck zeigt sich als Gentleman

Im Gerichtssaal zeigt er sich nun als Gentleman, nicht nur von der Kleidung, auch vom Benehmen her. Möglichst wenig soll erinnern an den Mann, der auf einer Brücke mit einer Frau intim zusammen war, die er erst kurz zuvor in einer Bar kennen gelernt hatte - und die er anschließend schleunigst an der nächsten Tankstelle wieder absetzte. Seiner Anwältin hebt er den Pilotenkoffer über die Bank, äußerlich ruhig und gelassen folgt er der Verhandlung, zu deren Beginn er seine Unschuld beteuert hat, in deren weiterem Verlauf er aber schweigt.

Es läuft ja auch alles günstig für ihn, zumindest in diesem Prozess. Auf die Psychologin Gräfe folgt deren Kollege Professor Max Steller aus Berlin, eine Kapazität auf dem Gebiet der Aussage-Psychologie. Auch er erläutert, welche Konsequenz die Persönlichkeitsstruktur von Katharina B. für die Qualität ihrer Aussage hat: dass sie dazu führt, Ereignisse umzudeuten.

Aus einem möglicherweise ruppigen Oralverkehr, mit anschließendem Absetzen an der Tankstelle, wird dann im Nachhinein, im Telefonat mit einem Bekannten, eine Vergewaltigung - und sei es nur, um Zuwendung und Aufmerksamkeit zu erhalten. Steller begründet seine Zweifel damit, dass B. bei der Polizei wie bei der Psychologin eine Geschichte erzählte, die weder Anfang noch Ende hatte.

Warum wurde dieses Verfahren nur eröffnet?

"Erst in der Hauptverhandlung hat sie einen plausiblen Beginn geschildert", sagt er: eine Autofahrt mit Türck, dessen Freund sowie ihrer Freundin nach dem Besuch einer Bar, Annäherungsversuche des Freundes in dem Auto, Türcks Stopp an der Brücke mit der Begründung, ihnen die Frankfurter Skyline zeigen zu wollen, Türck, wie er den Arm um sie legte, zunächst anscheinend, um sie zu trösten. Zu dem Oralverkehr kam es, nachdem die beiden alleine auf die Brücke gegangen waren. Der Freund und die Freundin sahen es aus zwanzig Meter Entfernung. Gewalt sahen sie nicht.

Diese, nun ja, Beweislage, war der Strafkammer unter dem Vorsitz von Bärbel Stock bekannt. Ihr lag auch das schriftliche Gutachten der Psychologin Gräfe längst vor, und sie musste davon ausgehen, dass der bestellte Rechtsmediziner wenig zur Erhellung eines Vorfalls würde beitragen können, den er sich nur aus den Angaben Dritter und Vierter zusammenbasteln konnte.

Der Kammer wird auch klar gewesen sein, dass sie mit der Zulassung der Anklage die Karriere des Fernsehmoderators Türck zerstören würde. Pro Sieben nahm ihn sofort aus dem Programm, und vom Freispruch wird der Mann wenig haben, im Urteil der Öffentlichkeit wird er der Typ bleiben, der wegen Vergewaltigung vor Gericht stand. Warum nur ist dieses Verfahren jemals eröffnet worden?

© SZ vom 06.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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