Privatfernsehen:Nonstop Nonsens

Lesezeit: 3 min

Bald sollen Zuschauer für den Empfang des Fernsehsenders RTL bis zu 3,50 Euro im Monat zahlen. Die Gebühren scheinen absurd - es wäre doch viel eher Schmerzensgeld angebracht. Ein Spaziergang durch das Programm.

Titus Arnu, Marten Rolff, Martin Zips

Medicopter 117, RTL

Blödelbarde und Moderator Atze Schröder sorgt für gute Quoten (Foto: Foto: dpa)

Inhalt: Das Leben ist furchtbar gefährlich. Aber so gefährlich auch wieder nicht: Dauernd stürzen in dieser Notarzt-Serie Flugzeuge ab, explodieren Tanklaster, brennen Schulen bis auf die Grundmauern nieder, werden Familien in ihren Kombis eingeklemmt, geraten Bergsteiger in schier aussichtslose Lagen. Es fließt pausenlos Blut. Es ist grässlich. Es ist zum Durchdrehen, aber das einzige, was dauernd durchdreht in dieser Serie, ist der Rotor des Medicopters. Es kann einem irre schlecht werden davon.

Schmerzensgeld: 4 Euro pro Sendung. Zuschläge: Gefahrenzulage 2,70 Euro, Kannkeinblutsehnzulage 4 Euro.

Frauentausch, RTL2

Inhalt: Die eine Mutti wohnt in der Grünwald-Villa, die andere Mutti in einem abgefuckten Plattenbau in Dingsbums. So weit, so schwarz-weiß. Was aber, wenn die Plattenbau-Mutti mal kurz mit der Villa-Mutti die Küche tauscht? Wenn die Villa-Mutti plötzlich nur noch Fertigpizza im Kühlschrank findet und die Plattenbau-Mutti morgens mal teures Parfum auflegt? Interessiert das einen? Ne, das interessiert wirklich nicht. Widerliches Voyeur-Fernsehen ohne jedwede soziale Relevanz.

Schmerzensgeld: Eine Familienpackung Waschpulver. Zuschläge: 3 Euro Zwangszuschlag für die Organisation "Nachbar in Not" und die Caritas.

Das perfekte Dinner, Vox

Inhalt: Wenn sich vier Leute, die Pfeffer nicht von Salz unterscheiden können, gegenseitig bekochen, sollte das ihr Privatvergnügen bleiben. Und wenn diese Leute anschließend vor der Kamera erklären, warum die jeweils anderen nicht kochen können, wird leider immer noch kein Fernsehstoff draus. Statt über das perfekte Dinner sollte man bei Vox einmal über die perfekte Spannungskurve nachdenken. Kleiner Tipp: Diese steuert nicht - unterbrochen von drei Werbeblöcken - auf ein verbranntes Spiegelei und weich gekochte Tiefkühlerbsen zu.

Schmerzensgeld: Flasche Maggi-Würze. Zuschläge: 6,50 Euro Vergiftungspauschale für Nachkoch-Verrückte.

Atze Schröder, RTL

Inhalt: Atze Schröder nervt. Er nervt mit Prolo-Sprüchen: "Straße nass - Fuß vom Gas, Straße trocken - drauf den Socken". Er nervt mit seinem aufgesetzten Prolo-Gehabe. Er nervt mit seiner aufgesetzten Prolo-Perücke (falls es keine Perücke ist, nervt die Matte noch mehr). Er nervt mit seiner betont lustigen Fliegerbrille.

Schmerzensgeld: 3,50 Euro pro Sendung. Zuschläge: 1,50 Euro Jubiläumszuschlag (50 Folgen).

Unter uns, RTL

Inhalt: Sie heißen Romy, Easy, Franzi, Paco, Pia, Rufus oder Dirk. Alle machen irgendwie miteinander rum - Rufus mit Pia, Dirk mit Franzi, Paco mit Rufus... Moment mal, Paco mit...? Egal, das Drehbuch ist da flexibel, und die jungen, schönen Darsteller sind willig, Hauptsache Fernsehen, Hauptsache berühmt. Und die Zuschauer wissen ebenso wenig, was die Figuren dieser täglichen Seifenoper tun, noch warum sie es tun, geschweige denn, mit wem sie es tun. Und das geht seit Jahren so, zweimal am Tag, einmal morgens um 7 Uhr, das zweite Mal um 17.30 Uhr. Das tut doppelt weh.

Schmerzensgeld: 5,10 Euro. Zuschläge: Morgenzuschlag 0,50 Euro, Doppelpackzuschlag 2 Euro, Recycling-Pauschale 5 Euro.

Pimp my Ride, MTV

Inhalt: Wie eine Bling-Bling-Karre aussieht, wusste man in Deutschland eigentlich auch vor MTV ganz gut. Und dass es offenbar Frauen gibt, die aufgeregt um ihr Auto herumstöckeln und "Oh my God" kreischen, wenn ihnen jemand 16 Flachbildschirme, fünf Schuhschränke und ein Nagelstudio in den Kofferraum baut und die Rückbank mit falschem Krokoleder überzieht, fanden wir zwar mal waaahnsinnig überraschend, haben wir aber nunmehr gefühlte 743 Mal gesehen.

Schmerzensgeld: 5,90 Euro. Zuschläge: 4,60 Euro Reifenwechsel-Zuschlag (Die Luft ist lange raus!).

Jackass, MTV

Inhalt: Junge Männer überschlagen sich mit dem Fahrrad, essen Insekten, onanieren, missbrauchen hilfsbereite Mitmenschen, werfen sich Bälle auf die Hoden, treiben Schabernack mit Kleinwüchsigen, zünden sich an, erbrechen sich, hetzen Tiere auf ihre Freunde - und lachen sich darüber kaputt. Arthur Schnitzler: "Widerwärtig nennen wir das Traurige, dem es nicht vergönnt ist, sich auf irgendeine Weise in Schönheit aufzulösen."

Schmerzensgeld: Unbezahlbar. Zuschläge: Eimerweise Erbrochenes vor die Büros der Verantwortlichen.

Einsatz in vier Wänden, RTL

Inhalt: Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Denn den bestimmt nur noch Tine Wittler. Seit die blonde Heimwerker-Domina unermüdlich Wohnzimmer einander angleicht, dürfen Obi- und Segmüller-Manager frohlocken. Nicht einmal unter Ulbricht waren deutsche Stubenträume so gut steuerbar. Ließe man Wittler gewähren, sie würde sicher auch Chateauneufs Alsterarkaden in Hamburg mit praktischer Furniereiche verkleiden und den Kölner Dom mit abwischbarem PVC in Backsteinoptik. Zum Glück ist ihr Einsatz auf vier Wände beschränkt.

Schmerzensgeld: Umzugskosten. Zuschläge: 5,60 Euro Angst-Zuschlag ("Oh Gott, nur bei mir war sie noch nicht"), 6,70 Euro Lärmzuschlag.

© SZ vom 8.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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