Privatfernsehen:"Ein schlimmer Sturm"

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RTL-Nachrichtenstar Peter Kloeppel ist nicht mehr allein: Thomas Kausch legt nun bei Sat1 die Stirn in Falten.

Von Senta Krasser

Hans Mahr, der Informationsdirektor von RTL, hatte schon vor Jahren eine Erkenntnis: Speziell in TV-Nachrichten ließen sich Personen "gut verkaufen". Der Wiener versuchte so zu erklären, warum RTL aktuell im Gegensatz zum Moderator Peter Kloeppel noch keinen Preis erhalten hat: "Der Kloeppel schaut gut aus, ist vertrauenswürdig und kompetent. So einen kann man interviewen, aber wer oder was ist eine Sendung?"

Das neue Nachrichten-Gesich von Sat1: Thomas Kausch (Foto: Foto:)

Also: Peter Kloeppel, 45, sieht gut aus, weckt Vertrauen und moderiert seit nunmehr zehn Jahren eine Newssendung, die Blut-, Schweiß- und Tränenthemen großzügig Platz einräumt - und nicht vergisst, dass Bikini-Fleisch auf Laufstegen den Marktanteilen eines Privatsenders gut tut.

Tiefe Stirnfalten und staatstragendes Timbre

Seit einem Monat nun steht der ebenso gut aussehende Thomas Kausch, 41, bei den Sat1 News am Pult: Könnte man Seriosität und Kompetenz an der Tiefe der Stirnfalten und dem staatstragend-lockeren Timbre der Stimme messen - die Wahl zwischen den beiden Anchor-Männern des kommerziellen Fernsehens würde schwer fallen.

Der eine machte die mühsame Karriere-Ochsentour bei RTL und habe, lobt sein Chef Mahr, das Zeug zum "Dan Rather von RTL"; Rather ist eine News-Ikone beim US-Network CBS, der neulich leider Unsinn über Bush verbreitet hat. Der andere kommt vom ZDF, wo er zuletzt around midnight den Nachrichtentag zusammenfasste; er wird nun bei Sat1 vollmundig beworben: "Kausch zeigt's zuerst."

Das mag stimmen, denn Sat1 sendet um 18:30 Uhr und RTL eine Viertelstunde später. Im Quotenvergleich aber führt Kloeppel: Während RTL Aktuell im September knapp 22 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen schaffte, erreichte Sat 1 News 12,5 Prozent. Kauschs Vorgängerin Astrid Frohloff war nicht schlechter.

Öffentlich-rechtliche Waffe im Duell der Privaten

Nachrichten: Das Duell - beide Privatsender waren Ende August mit neuem Studio und Konzept gestartet. Beide fühlen sich aber offenbar der höheren Hauspolitik verpflichtet, was im Sport auffällt: Wer die letzten Tage beim Champions-League-Sender Sat1 einschaltete, bekam in den Nachrichten viel Fußball geboten, erfuhr aber nichts vom Dopingskandal um Leichtathletik-Trainer Thomas Springstein. Die Formel-1-Boxenstation RTL dagegen widmet auffällig viel Sendezeit dem Kreisverkehr der Gebrüder Schumacher.

Seit aber Kausch das öffentlich-rechtliche Anstaltswesen verlassen hat, sind die Sat1 News zumindest im vorderen Teil politischer geworden. Wobei ein erneutes Bombenattentat im Irak immer noch mehr Beachtung findet als Finanzminister Eichels Schuldenberg.

Deutlich ist Kauschs Bemühen, in seiner Anmoderation Nachrichten thematisch zu einer Einheit zu verbinden - was zuweilen einer gewissen Komik nicht entbehrt. So leitete er einmal von der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen "in noch stürmischere Gegenden" über: nämlich nach Florida, zum Hurrikan Jeanne. Vom Sturmtief Rüttgers also zu Jeanne - nicht übel, aber leider konnten sich Redaktion und Anchorman phonetisch nicht zwischen "Dschan" und "Dschien" entscheiden. Kausch resümierte: "Man kann es aussprechen, wie man will: Es bleibt ein schlimmer Sturm." Heuschreckenplage oder ein Tanklaster-Unglück sind in den Schlagzeilen-Block verbannt worden.

Die Relevanz-Offensive

Der neue Anchorman - das wird nach einem Arbeitsmonat klar - ist ein Gewinn für Sat1. Die teils umständlichen Filmbeiträge und den noch immer stark boulevardesken News-Mix macht Kausch wett: Er formuliert präzise, verständlich, gewitzt. Endlich wieder "relevant" werden wolle man, sagte der Neue vor seiner Sat1-Premiere. Ob sich "Relevanz" allerdings dadurch auszeichnet, dass Bombendrohungen nun auch bei der Pro Sieben Sat1 Media AG eingehen?

Am Donnerstag musste eine British-Airways-Maschine auf ihrem Flug nach London notlanden, nachdem ein anonymer Anrufer ausgerechnet die Nummer der Münchner Senderzentrale gewählt hatte. Eine Pro-Sieben-Mitarbeiterin durfte bei Sat 1 lange ins Mikro berichten. RTL schenkte dem Zwischenfall nur wenige Sekunden.

Die "Relevanz-Offensive" von Sat1 gelang eher am Tag der deutschen Einheit. Jedes Jahr am 3. Oktober will der Berliner Sender künftig in einem Spezial ein Interview mit dem jeweiligen Bundeskanzler "zur Lage der Nation" führen - "wenn er denn kommt" (Kausch).

"Er kommt", versprach ein launiger Gerhard Schröder zu Beginn des Sat1-Gesprächs am Sonntag und ließ sich 20 Minuten abklopfen von einem nervösen, aber frechen Moderator, der "ehrliche Antworten" einforderte, etwa auf die Frage: "Was ist wahrscheinlicher: dass Deutschland 2006 Weltmeister wird oder Sie Kanzler bleiben?" Das eine sei "sehr viel wahrscheinlicher als das andere", klärte Fußballkenner Schröder auf. Er schien im virtuellen Studio festgewachsen.

Schnickschnack mit begrenztem Nutzwert

Die RTL-News bringen inzwischen in ihrer spacigen Raumschiff-Kulisse weniger, dafür aber längere News-Stücke. Sie gehen in die Tiefe - was zumeist bedeutet: Emotion. Die Angst vor Terrorismus treibt dabei die Kölner, die sich mit Kloeppels Moderation am 11. September 2001 Lorbeeren verdienten. So war das "Geschäft mit der Sicherheit" vergangene Woche ein großes Thema, auch die neuen Einreisebestimmungen in die USA. Sat1 entdeckte, dass die Promille-Grenze in Spanien gesunken ist. Ein Reporter berichtete vom Ballermann.

Was den visuell-technischen Schnickschnack angeht, nehmen sich Sat1 und RTL nichts. Der Nutzwert bleibt zweifelhaft. So postierte sich Kloeppel zum Thema Alkoholiker-Kongress vor einem großen Abbild des menschlichen Gehirns, das per Kernspintomograph entstanden war: Eine Kloeppel-Hand steckte in der Hosentasche, mit der anderen deutete er studienratsmäßig auf das Suchtzentrum im Kopf. Bevor der Laie sich auf dem bunten Fleckenteppich zurechtfinden konnte, war die Grafik wieder ausgeblendet.

Sat1 ließ am Vorabend des ersten amerikanischen TV-Duells Kerry gegen Bush Stehpulte aus dem Boden wachsen, um den "Vorteil Kerry" zu illustrieren: Mit 1,93 Metern überrage der Herausforderer den 1,80 Meter großen Präsidenten. Mittendrin der eher kleine Kausch.

Die US-Wahl am 2. November ist also auch für das deutsche Privatfernsehen spannend. Und so verwarf RTL-Manager Mahr den ursprünglichen Plan, nach zehn Jahren Ende Oktober den Sender zu verlassen. Er verlängert um drei Tage.

© SZ vom 05.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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