Prävention:Bevor sie Täter werden

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Die Berliner Charité hilft Teenagern, die Kinder begehren. Mit Erfolg, wie die Bilanz nach drei Jahren zeigt.

Von Jens Schneider, Berlin

Es geht darum, so früh wie möglich einzugreifen: Das Angebot der Berliner Charité ist ein einzigartiges Pilotprojekt, und es ist offenbar ein Erfolg. Durch Therapien sollen sexuelle Übergriffe auf Kinder oder auch die Nutzung von Kinderpornografie verhindert werden. Das Besondere: Die Zielgruppe sind Jugendliche, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen.

Seit drei Jahren bietet das Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin therapeutische Hilfe für diese Jugendlichen an. "Die Erfahrungen zeigen eindeutig, dass frühzeitige therapeutische Behandlung geeignet ist, sexuellen Kindesmissbrauch zu verhindern", lautete die Bilanz von Institutsdirektor und Projektleiter Klaus M. Beier am Dienstag.

134 Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet haben demnach in den drei Jahren um Hilfe gebeten, 65 die umfangreiche Diagnostik abgeschlossen, 41 wurde eine Therapie angeboten. Alle behandelten Jungen gaben an, dass sie seit Beginn der Therapie keinen sexuellen Missbrauch begangen und keine Kinderpornografie mehr genutzt haben. "Das bestätigt, wie sinnvoll es ist, möglichst früh anzusetzen", sagt Beier. Die Jugendlichen seien froh, Ansprechpartner zu finden. "Sie erkennen: Hier ist jemand bereit zuzuhören und kennt sich aus. Man kann mit ihm reden."

Entstanden ist das Angebot in der Folge des bereits seit 2005 laufenden Präventionsprojekts "Kein Täter werden", das pädophilen Erwachsenen Unterstützung bietet, um sexuellen Missbrauch zu verhindern. Daraus ist inzwischen ein bundesweites Hilfenetzwerk entstanden. Die Erfahrungen mit den Erwachsenen sind der Ausgangspunkt für das Angebot mit den Jugendlichen gewesen. Bei den Behandlungen erfuhren die Therapeuten, dass viele der Männer die Problematik seit dem Jugendalter kannten, es aber nie zu Konsequenzen für sie kam, und sie zugleich keinen Ansprechpartner in ihrer Not hatten.

Einige Jugendliche nahmen das Angebot einer Therapie von sich aus in Anspruch

Mit dem Berliner Projekt ist das anders geworden. Rund 80 Prozent der Jugendlichen kamen laut Beier auf Initiative der Eltern oder Betreuer, aber es suchten auch Jugendliche von sich aus Hilfe, die online von dem Angebot erfahren hatten. Einige seien sogar bereit, für die Therapie aus dem Ausland anzureisen oder den Wohnort zu verwechseln. "Das zeigt, wie groß der Leidensdruck ist", sagt Beier. Das Projekt kann über eine anonyme Telefonhotline oder auch eine Website erreicht werden. Die Jugendlichen sind im Schnitt 15 Jahre alt.

Im Alter von unter 16 Jahren wird internationalen Standards entsprechend grundsätzlich nicht Pädophilie diagnostiziert. Es gehe nicht darum, die Jugendlichen zu stigmatisieren, sondern sie zu erreichen, bevor sie gefährdet seien Kindesmissbrauch zu begehen, sagt der Jugendpsychiater Tobias Hellenschmidt vom Vivantes Klinikum in Berlin Friedrichshain, der an dem Projekt mitarbeitet. Die Jugendlichen bekämen ein jeweils auf sie zugeschnittenes Hilfsangebot. Dazu kann neben der Psychotherapie auch die Einnahme von Medikamenten gehören, die helfen können, ihre Impulse zu mäßigen.

Das Projekt soll fortgesetzt werden. Der Projektleiter Beier sagte am Dienstag: "Wir wollen es auch auf andere Bundesländer ausweiten."

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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