Paris: Kalinka-Prozess:Der Doktor meldet sich krank

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Zu schwach für die Verhandlung? Im Prozess um den Tod der 14-jährigen Kalinka vor fast 30 Jahren wird der deutsche Angeklagte Dieter Krombach wegen Herzproblemen in eine Klinik gebracht. Ein Bluff, glaubt die Gegenseite.

Stefan Ulrich

Am Montagmorgen war der Glaskäfig im Schwurgerichtssaal des Pariser Justizpalastes leer. Es fehlte der Angeklagte, der deutsche Arzt Dieter Krombach, der vor 29 Jahren seine französische Stieftochter Kalinka ermordet haben soll. In Gerichtskreisen hieß es, der 75-Jährige sei wegen Herzbeschwerden aus dem Gefängnis in ein Pariser Krankenhaus gebracht worden. Er hatte in der Vergangenheit immer wieder über schwere Herzprobleme geklagt.

Die 14-jährige Kalinka Bamberski starb 1982 unter mysteriösen Umständen - in Paris steht nun, fast 30 Jahre später, ihr Stiefvater vor Gericht. (Foto: Getty Images)

Das Gericht entschied am Nachmittag, den Prozess zunächst bis Freitag auszusetzen. Kalinkas Vater André Bamberski, der als Nebenkläger auftritt, zeigte sich alarmiert. Krombach verstehe es, Beschwerden zu simulieren: "Seine Herzprobleme waren immer ein Bluff."

Für den 73 Jahre alten Bamberski sollte dieser Prozess das Ziel eines jahrzehntelangen Kampfes werden. Unermüdlich hatte er versucht, Krombach vor Gericht zu bringen. Die deutsche Justiz befand die Beweise aber als zu dürftig und lieferte Krombach auch nicht aus. Schließlich soll Bamberski eine Bande bezahlt haben, um den Arzt zu entführen. Dieser wurde vor eineinhalb Jahren in Mulhouse aufgefunden. Die Pariser Justiz ordnete an, ihm trotz massiver verfahrensrechtlicher Bedenken der Bundesregierung den Prozess zu machen. Jetzt bangt Bamberski wieder. Ist Krombach zu krank für die Verhandlung?

Der Angeklagte machte vergangene Woche vor Gericht einen gebrechlichen Eindruck. Seine Ex-Ehefrau Danielle Gonnin, die Mutter Kalinkas, sagte: "Wenn ich ihn jetzt in diesem Zustand sehe, erkenne ich ihn nicht wieder." Es sei schmerzhaft, ihn so zu erleben. Ein Arzt, der Krombach im Gefängnis untersucht hatte, bezweifelte dagegen, dass Krombach, wie behauptet, mehrere Herzinfarkte gehabt habe. Er deutete an, der Angeklagte simuliere.

Das rief am Montag die beiden Verteidiger auf den Plan. Vergangene Woche sei Krombach als "Malade imaginaire" hingestellt worden, doch nun habe man ihn ins Krankenhaus bringen müssen, kritisierten sie. Der Angeklagte dürfe nicht wie ein "Hund" behandelt werden. "Die Gesundheit kommt vor dem Prozess."

Antideutsche Ressentiments

Die Staatsanwaltschaft wirft Krombach vor, er habe im Sommer 1982 die damals 14 Jahre alte Kalinka mit einer Spritze getötet, womöglich, um einen Missbrauch zu vertuschen. Bei den Ermittlungen wurde in Deutschland seinerzeit geschlampt. Dies macht es heute schwer, die Wahrheit herauszufinden. Die Anklage will mit Hilfe einiger Zeuginnen aus Deutschland beweisen, dass Doktor Krombach mehrfach Minderjährige missbraucht habe. Damit wäre jedoch noch nicht geklärt, ob er Kalinka ermordete.

"Ich möchte betonen, dass ich Kalinka nicht getötet habe", sagte der Angeklagte vergangene Woche. Die ersten Zeugen zeichneten ein schillerndes Bild von ihm. Gonnin, die von 1977 bis 1984 mit Krombach verheiratet war, sagte, er sei stets fürsorglich mit den Kindern umgegangen, mit seinen eigenen aus einer früheren Ehe sowie mit Kalinka und deren Bruder. Krombach sei intelligent, kultiviert und ein großzügiger Ehemann gewesen. Zugleich habe er sie häufig betrogen, auch mit einer 16 Jahre alten Nachbarin. "Alles, was verboten ist, zog ihn an", sagte Gonnin. Sie habe es aber nie für möglich gehalten, dass er Kalinka getötet haben könnte. Nach Lektüre der Gerichtsakten seien ihr nun Zweifel gekommen. "Wenn er schuldig ist, muss er dafür zahlen."

Der Prozess erregt in den französischen Medien viel Aufsehen. In manchen Leserzuschriften kochen antideutsche Ressentiments hoch. Bamberski wird als "Père courage" gefeiert. Deutsche Juristen fürchten, Krombach bekomme kein faires Verfahren. Die deutsche Botschaft lässt die Verhandlung ständig beobachten. Wie auch immer das Gericht urteilt: Der Fall wird auch Spuren im deutsch-französischen Verhältnis hinterlassen.

© SZ vom 05.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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