Opfer werden ausgenutzt:Die Jagd nach dem lukrativen Unglück

Lesezeit: 2 min

Je höher Schadenersatz und Schmerzensgeld sind, desto höher ist der persönliche Vorteil: Wie die Anwälte auch sich selbst helfen.

Stephan Handel

Wer wollte etwas dagegen haben, den Opfern von Straftätern zu helfen? Und wer sollte das besser können als ein ausgebildeter Jurist, bewandert in der Strafprozessordnung und im Opferentschädigungsgesetz, ein einfühlsamer Psychologe ebenso wie ein gewiefter Anwalt, der die Interessen seines Mandanten vertritt, ihm aber gleichzeitig zur Seite steht in der extrem belastenden Situation, über erlittene Gewalt noch einmal berichten zu müssen?

Seit einigen Jahrzehnten gibt es in der Bundesrepublik Kanzleien, die sich auf Opferrecht spezialisiert haben - eine zumeist nicht überprüfbare Behauptung, denn eine Fachanwalts-Anerkennung wie etwa im Straf- oder im Arbeitsrecht gibt es nicht. Im Strafprozess vertritt der Opferanwalt die Nebenklage, wenn also das Opfer oder dessen Angehörige sich dem Verfahren anschließen.

Wichtig ist diese Position im sogenannten Adhäsionsverfahren - eine vor gut zwei Jahren eingeführte Möglichkeit, zivilrechtliche Ansprüche des Opfers gegen den Täter, zum Beispiel auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld, im Strafverfahren gleich mitzuerledigen. Dem Nebenkläger steht auch die Möglichkeit offen, gegen ein ergangenes Urteil Rechtsmittel einzulegen - dazu braucht er zumindest im Fall der Revision zwingend einen Anwalt.

Daneben tritt der Opferanwalt als Zeugenbeistand auf, sorgt zum Beispiel dafür, dass das Opfer einer Sexualstraftat seine Aussage vor Gericht in Abwesenheit des Angeklagten machen kann.

Opferschutzverbände wie der Weiße Ring fordern seit Jahren eine Ausweitung der Opferrechte - so soll eine Informationspflicht darüber gesetzlich verankert werden. Sodann soll Opfern von Straftaten ein Anwalt auf Staatskosten zur Verfügung gestellt werden.

Das ist bislang nur bei versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten sowie bei Sexualstraftaten vorgesehen - allerdings nicht, wenn über den Angeklagten nach Jugendstrafrecht verhandelt wird. Dann ist auch das Adhäsionsverfahren nicht zulässig, was nach Ansicht des Weißen Rings ebenfalls geändert werden sollte.

Opfer in der Rolle des Zeugen

Dass jedoch oftmals beklagt wird, es gehe vor Gericht mehr um den - mutmaßlichen - Täter als um das Opfer, beruht auf einem grundlegenden Missverständnis: Im deutschen Strafrecht geht es nicht in erster Linie um einen Interessensausgleich zwischen Täter und Opfer. Hier richtet der Staat über den Angeklagten, weil der gegen ein Gesetz verstoßen hat. Dem Opfer kommt darin nicht viel mehr als die Rolle des Zeugen zu.

Das ist im amerikanischen Recht anders - vor allem sind dort die Möglichkeiten sehr viel größer, exorbitante Schadensersatzleistungen durchzusetzen. Seit einiger Zeit versuchen deshalb US-Anwälte, ihre Tätigkeit auch auf Geschädigte in Europa auszuweiten.

Am bekanntesten ist der New Yorker Ed Fagan, der sich zunächst einen Namen bei der Durchsetzung eines Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter gemacht hat. Später vertrat er alliierte Kriegsgefangene gegen japanische Unternehmen - Streitwert: 50 Millionen Dollar. Nach dem Seilbahn-Unglück von Kaprun versuchte er, Opfern und Angehörigen Entschädigungen vor dem Landgericht Linz zu erstreiten, wurde aber mit einem Arbeitsverbot für Österreich belegt.

New Yorker Opferanwalt klagt mehrfach erfolgreich

Zuletzt machte er von sich reden, als er zusammen mit dem Münchner Anwalt Michael Witti für zwei Bewohner des rumänischen Dorfs Glod Klage gegen die Film-Produktionsfirma 20th Century Fox einreichte: Die Mandanten fühlten sich durch ihre Zurschaustellung im Film "Borat" verletzt und fordern 30 Millionen Dollar.

Fagan gilt vielen Amerikanern als Inbegriff des "Ambulance Chasers" - eines Anwalts, der Sanitätswagen hinterherjagt und Unfallverletzten noch im Krankenhaus ein Mandat aufschwatzt, weniger zum Wohl des Mandanten, sondern zu seinem persönlichen finanziellen Vorteil. Extrem hohe Honorare entstehen dabei in den USA durch die Möglichkeit der "Class action", also der Sammelklagen vieler Betroffener gegen einen Verursacher.

Im Fall der Zwangsarbeiter-Entschädigungen hätte ein deutscher Anwalt bei günstigster Rechnung nach der Gebührenordnung etwa 8000 Euro verdient. Fagan bekam laut unbestätigten Berichten rund 4,2 Millionen Euro. Die Zwangsarbeiter erhielten im Durchschnitt 5000 Euro Entschädigung.

© SZ vom 14.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: