Österreich:Callcenter Knast

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Die Kunst der Verstellung: In österreichischen Gefängnissen arbeiten Häftlinge nicht mehr als Schlosser oder Schreiner - sondern als Telefonberater.

Michael Frank

Meist hört man es schon am Klang der Stimme, dass es um eine einmalige Offerte geht. Selten säuseln Frauenstimmen süßer, selten vibriert der männliche Bariton von tieferer Seriosität: wenn es darum geht, per Telefon Geschäfte anzubahnen.

Service aus der Zelle: Auch in Deutschland rufen Häftlinge an (Archivbild). (Foto: Foto: iStock)

In Österreich kommen die verführerischen Stimmen der Callcenter nicht selten aus dem Knast. In mindestens drei Justizvollzugsanstalten telefonieren Häftlinge hinter potentiellen Kunden auch in der Bundesrepublik her. Ganz legal, ganz offiziell.

Wirklich legal? In den Grazer Haftanstalten Karlau und Jakomini arbeiten mit Unterstützung des Wiener Justizministeriums solche Callcenter seit eineinhalb Jahren, als Alternative für andere Beschäftigungen wie die Schreinerei oder Schlosserei. Die Inhaftierten arbeiten für eine deutsche Billigtelefonfirma.

Am Rande des betrügerischen Milieus

Christian Sikora, einer der Personalvertreter der Justizbediensteten in Karlau - in diesem Gefängnis hat sich der berüchtigte Briefbombenattentäter Franz Fuchs erhängt - sieht die Sache nicht ganz so sauber wie Anstaltsleitung und Ministerium: Häftlinge würden in Wirklichkeit dazu angeleitet, "in etwa dasselbe zu tun, wofür sie eingesperrt wurden", also am Rande des betrügerischen Milieus zu agieren. "Aus moralischen, gesetzlichen und ethischen Gründen" hat Sikora bei Anstaltsleitung und Aufsichtsbehörde dagegen interveniert - erfolglos, wie er sagt.

Sikora ist auch kommunistischer Gemeinderat in Graz, durchaus kein Exotikum, denn die KPÖ sitzt mit fast zwölf Prozent im Kommunalparlament. Er hat die ungewöhnliche Beschäftigungspraxis scharf verurteilt, weil damit ein wesentlicher Teil der Erziehungsaufgaben des Gefängnisaufenthalts konterkariert werde.

Die Insassen des Häfen - so die österreichische Bezeichnung für Knast - können sich auf Stellenanzeigen in einer anstaltseigenen Gefängniszeitung bewerben. Dann gibt es Auswahlveranstaltungen, fast ein Casting. Und es kann als geradezu schicksalhafte Fügung gelten, dass Straftäter mit einschlägigem Sündenregister im Callcenter landen: Die telefonischen "Verkaufsgenies" sitzen nicht selten wegen Betrügerei oder Hochstapelei ein - anscheinend eine durchaus respektable Voraussetzung für den neuen Job.

Illegales gebe es nicht

Sie könnten im Callcenter ihr "Handwerk" nicht nur perfektionieren, sondern auch Tipps untereinander austauschen, bemängeln Kritiker. Hier eröffne sich ein durchaus qualifizierter Tätigkeitsbereich, sagt dagegen die Anstaltsleitung - mit dem Vorteil, dass die Mitarbeiter das Gefängnis nicht verlassen müssen. Derzeit sind bis zu 26 Gefangene dabei. Alle Gespräche würden überwacht und aufgezeichnet. Illegales gebe es nicht.

Allein Karlau nehme auf diesem Wege als Reingewinn 40.000 Euro im Jahr ein. Richtig ist allerdings auch, dass es erhebliche Beschwerden gegeben hat: Telefonate, die einen Wechsel der Fernmeldegesellschaft anstoßen sollten, wurden in einer Weise geführt, dass entweder die Telekom Austria oder die Deutsche Telekom als Urheber erschienen. Beide haben nicht das Geringste damit zu tun.

Im Übrigen ist aktive, unaufgeforderte Telefonwerbung in beiden Ländern verboten. Die Callcenter bieten deshalb eine Art Beratungsgespräch an. Stoßen sie dabei auf willige Ansprechpartner, werden Adresse und Angaben an den Auftraggeber weitergereicht. Gefangene Mitarbeiter des Callcenters haben sich auch selbst darüber beschwert, dass sie im Grunde betrügen müssen. Sie hätten falsche Namen anzugeben, würden Deutschen vorspiegeln, aus Deutschland anzurufen.

Das Justizministerium in Wien wittert hinter dem Ganzen eine persönliche Auseinandersetzung zwischen dem Personalvertreter und der Anstaltsleitung. Alles sei rechtlich unangreifbar, die Anrufer sorgfältig ausgesucht. Dass sich unter ihnen auch einmal ein wegen Betrugs Verurteilter finde, sei wohl unvermeidlich - "denn sie müssen natürlich der deutschen Sprache Herr sein".

© SZ vom 20.03.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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