Oberbayern:Jugendliche schänden Toten

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Eine jugendliche Clique hat in einem Wald bei Traunreut den Leichnam eines Selbstmörders verstümmelt. Die Teenager richteten den Körper so übel zu, dass der Radfahrer, der den Toten fand, einen Schock erlitt.

Nadja Katzenberger und Christian Sebald

Einen solchen Fall haben selbst hartgesottene Polizisten und Staatsanwälte noch nicht erlebt: In der Nacht zum 1.Mai hatten vier Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren in einem Wald bei Traunreut (Landkreis Traunstein) die Leiche eines Selbstmörders geschändet und so eine brutale Gewalttat vorgetäuscht. Zu dem Exzess kam es nach Angaben des Traunsteiner Polizeisprechers Franz Sommerauer im Rahmen einer "Walpurgisnachtfeier", bei der sich die Jugendlichen betrunken hatten.

Der Tote wurde am Montagnachmittag von einem Radfahrer gefunden. Wegen der massiven Verletzungen des Leichnams, der unter anderem mit einem Arm an einen Ast gefesselt war, war die Polizei zunächst von einem Tötungsdelikt ausgegangen - ein Irrtum, wie sich nun herausstellte: Die vier Jugendlichen gehören zu einer Clique von etwa zehn 13- bis 17-Jährigen. Die Gruppe traf sich am Sonntagabend in dem Waldstück im Norden von Trostberg zum Feiern. Während die meisten zechten, streifte ein 15-Jähriger durch das Gelände und stieß dabei offenbar zufällig auf den Toten. Sofort lief der Jugendliche zu seinen Freunden und zeigte ihnen den Leichnam.

Anstatt aber die Polizei oder Rettungskräfte zu alarmieren, machten sich vier Jugendliche an der Leiche zu schaffen und fesselten den Toten mit Schnüren, die sie im Wald gefunden hatten. "Danach wurde die Leiche etwa 20 Meter weiter gezogen und mit einer Hand an einen Ast gebunden", sagte Polizeisprecher Sommerauer.

Massive Verletzungen an Kopf und Körper

Später schlugen die Jugendlichen mit einem Eisenrohr und anderen Gegenständen, die sie alle in dem Waldstück gefunden hatten, auf den Toten ein und fügten der Leiche massive Verletzungen am Kopf und am Körper zu. Sie richteten den Leichnam so übel zu, dass der Radfahrer, der den Toten fand, einen Schock erlitt. Für den Gerichtsmediziner war zuerst unklar, ob dem Opfer die Verletzungen vor oder nach dem Tod zugefügt worden waren.

Alsbald verdichteten sich Hinweise, dass es sich bei dem Toten um einen 49Jahre alten Traunreuter handelte, der bereits seit Mitte Februar vermisst wurde. Der alleinstehende Mann, der als Einzelgänger galt, hatte in seiner Wohnung einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem er seinen Freitod ankündigte. Als die Ermittler das Waldstück untersuchten, entdeckten sie persönliche Gegenstände des 49-Jährigen und einen weiteren Abschiedsbrief.

Die Obduktion brachte schließlich Gewissheit, dass es sich bei dem Toten um den Vermissten handelte. Allerdings konnte der Gerichtsmediziner bisher die Todesursache nicht definitiv klären. Fest steht nach Worten des Polizeisprechers Sommerauer bisher nur, dass sich der 49-Jährige vor seinem Tod betrunken hatte. Außerdem dürfte er bereits Mitte Februar gestorben sein.

Den entscheidenden Hinweis auf die Leichenschändung erhielt die Polizei von einem 15-jährigen Mädchen. Die Clique hatte ihm am Montag den Toten gezeigt, kurz bevor er von dem Fahrradfahrer gefunden wurde. Doch auch das Mädchen meldete sich nicht sofort bei der Polizei. Erst als am Dienstag die Zeitungen von dem Leichenfund berichteten, wandte sie sich an eine Vertrauensperson. Diese verständigte die Polizei. Daraufhin kamen die Ermittler rasch auf die Spur der zehnköpfigen Clique.

Aus Rücksicht auf das sehr junge Alter der meisten Mitglieder der Gruppe machten die Ermittler kaum Angaben zu den Leichenschändern. Laut Polizei hat der "größere Teil der Gruppe zwar die Leiche gesehen, aber er hat sich nicht an den Handlungen beteiligt". Das Motiv der Tat dürfte den Vernehmungen zufolge in der Alkoholisierung der Täter und "einem gruppendynamischen Prozess" liegen. Alle Befragten hätten die Vorwürfe eingeräumt.

Strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können allerdings nur die vier 15 bis 17 Jahre alten Haupttäter. Gegen sie hat die Staatsanwaltschaft Traunstein ein Verfahren wegen Störung der Totenruhe eingeleitet. Angeblich soll nur einer von ihnen aus Traunreut stammen, die drei anderen sind dem Vernehmen nach Trostberger. Darüber hinaus hieß es, bei der Clique handle es sich um keinen festen Freundeskreis, sondern eher um einen losen Zusammenschluss.

"Nahezu sadistische Züge"

Im Zuge ihrer Ermittlungen stellte die Polizei auch die Handys einiger Gruppenmitglieder sicher. Es bestand der Verdacht, dass sie damit Fotos von der Leichenschändung gemacht hätten. Die ersten Auswertungen bestätigten dies allerdings nicht. "Aber das schließt ja nicht aus", sagte Polizeisprecher Sommerauer, "dass irgendwann Aufnahmen von der Tat auf den Handys waren."

Der Münchner Kinder- und Jugendpsychiater Franz-Joseph Freisleder sagte zur SZ, die Leichenschändung zeige "nahezu sadistische Züge und ein hohes Maß an Enthemmung". Wahrscheinlich hätten sich die Täter "durch Alkohol und Gruppendynamik in etwas hineingesteigert".

Edwin Fischer, Bezirksvorsitzender beim Berufsverband der Kinder- und Jugendpsychiater in Bayern, sagte, bei den Tätern müsse ein "großes Gewaltpotenzial vorhanden sein, das mit einem massiven Werteverlust einhergehe". Die Jugendlichen hätten "kein Bewusstsein mehr für das, was erlaubt ist". Dadurch würden sie selbst die Hemmung gegenüber Toten verlieren: "Sie sind völlig abgestumpft, emotional verwahrlost und bindungslos."

© SZ vom 4. Mai 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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