NS-Verbrechen:Die Kunst des Nazi-Arztes

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Ein Gynäkologe hat unter Hitler Frauen unfruchtbar gemacht - nun fordert seine Familie das Erbe zurück.

Christiane Kohl

Frauenarzt Dr.Gustav Schuster gab sich empört. Der Mediziner suchte ein Ausweichquartier für die von Bombenangriffen bedrohte Chemnitzer Frauenklinik, das Kreisheim Augustusburg schien gerade recht.

NS-Mediziner Dr. Gustav Schuster (Foto: Foto: OH)

Doch unter den Heimbewohnern hatte er Behinderte entdeckt - Schuster konnte nicht verstehen, warum diese "Idioten und Ballastexistenzen" nicht umgehend entfernt wurden, damit seine "erbgesunden Frauen" hier gebären könnten.

In einem Brief an den "Gaugesundheitsführer" in Dresden fasste er am 8. Juni 1944 seine Wut über die zögerlichen Chemnitzer NS-Funktionäre zusammen, die ihm nicht die sofortige "Entrümpelung" des Kreisheims zusichern wollten - Schuster bedauerte sehr, dass "nicht ein sachkundiges Mitglied der SS oder des Rassepolitischen Amtes zugegen war."

Das Schicksal der etwa 25 Behinderten im Kreisheim Augustusburg ist nicht bekannt. Dr.Schuster ist längst gestorben. Seine Nachkommen verlangen nun die Rückgabe von Hunderten Ölgemälden, Radierungen und Graphiken, die der NS-Mediziner gesammelt haben soll.

Überdies wollen sie in einem weiteren Verfahren für seinen früheren Immobilienbesitz entschädigt werden, der wie die Kunstgüter nach dem Krieg von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt worden war. Allein bei den Gemälden und Graphiken geht es um eine halbe Million Euro, an diesem Donnerstag will das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über den Fall entscheiden.

Es handelt sich um eine Art Musterprozess. Hinter Schusters Erben stehen Tausende anderer Nachkommen ehemaliger NS-Funktionäre, sie alle verlangen Ausgleichszahlungen für in der einstmals sowjetisch besetzten Zone enteignete Häuser, Kunstgüter und andere Wertgegenstände.

Eine Lawine rollt auf die Bundeskasse zu. Der zuständige Beamte im Bundesfinanzministerium, Hermann Josef Rodenbach, spricht von "einigen Tausend Fällen". Es bedürfe "eines tiefen Wühlens in der individuellen Verstrickung der Enteigneten".

Am Wühlen freilich haben die Erben eines NS-Belasteten meist kaum Interesse. Denn nach dem Ausgleichsleistungsgesetz des Bundes, das 1994 verabschiedet wurde, sind sie von

Nur "ehrenamtlich" tätig

Entschädigungszahlungen ausgeschlossen, wenn die Person, die einst die Wertgegenstände besaß, selbst "erheblich" das NS-Regime mitgefördert hatte oder an "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" beteiligt war.

So wird von Seiten der Nachkommen zumeist versucht, möglichst wenig über die politische Tätigkeit des jeweiligen Ahnen preiszugeben - häufig wissen die Nachkommen auch nichts davon. Manche Erben verlangen Ausgleichszahlungen, und der Bund hat eigens einen Fonds hierfür gegründet, in dem etwa drei Milliarden Euro aus Verkäufen von Treuhand-Immobilien gesammelt wurden; weitere 3,5 Milliarden sollen aus Steuergeld hinzukommen.

Im Fall eines Juristen, der in Dippoldiswalde im Erzgebirge als Funktionär und Notar des NS-Systems wirkte, hatte das Bundesverwaltungsgericht im Oktober dem klagenden Sohn die Entschädigung für zwei enteignete Immobilien zugesprochen. Begründung: Der Mann sei nur "ehrenamtlich" für die NS-Machthaber tätig gewesen.

Erst nach dem Urteilsspruch wurde bekannt, dass der Notar womöglich an der Erhängung eines Deserteurs am 8. Mai 1945 beteiligt war.

Auch die Nachkommen von Dr. Schuster wollen jetzt glauben machen, dass der Gynäkologe eigentlich kaum etwas mit dem NS-Regime zu tun hatte. Vor Gericht legte ihr Anwalt jetzt eine Rechnung vor, wonach es im Nazireich genau 14427 leitende NS-Positionen unterhalb der Kreisebene gegeben habe.

Insofern sei Dr.Schuster einer unter Zigtausenden, für die NS-Machenschaften könne er nur zu "0, 006 Prozent" mitverantwortlich gemacht werden. Unumstritten aber ist, dass der Gynäkologe als medizinischer Richter am "Erbgesundheitsgericht" im Raum Zwickau über eine Reihe von Zwangssterilisierungen mitentschied, persönlich auf dem Operationstisch soll er mindestens ein Dutzend Frauen unfruchtbar gemacht haben.

Im Stollen gelagert

Schuster, 1886 in Dietz an der Lahn geboren, hatte zunächst als Frauenarzt im sächsischen Aue gewirkt, ehe er 1935 Chef der Frauenklinik Chemnitz wurde. Zugleich war er in mehreren NS-Funktionen aktiv, so als Bezirksobmann des NS-Deutschen Ärztebundes, als SA-Standartenarzt und als Gauredner.

Seine fachlichen Qualitäten blieben offenbar hinter dem politischen Engagement weit zurück: Ständig gab es Klagen über Todesfälle und Kunstfehler in der Klinik, die seinerzeit die drittgrößte Gebäranstalt im Reich war. Trotzdem wurde der Mediziner nie abgelöst - seine Kontakte nach oben waren offenbar zu gut, wie auch sein Brief an den "Gaugesundheitsführer" in Dresden belegt, der in Sachsen verantwortlich für die massenweise Tötung von geistig Behinderten war.

Nebenbei widmete sich Schuster den Künsten: In der Liste der jetzt zurückgeforderten Werke finden sich vornehmlich Ölbilder, die fleißige Bauernfamilien vor aufgewühlten Gewitterhimmeln darstellen, aber auch ein Bild von Max Liebermann ist dabei. Wo sich die Werke heute befinden, ist unklar.

Nach Darstellung von Schusters Frau hatte der Arzt sie während des Krieges in mehreren Kisten in einem Stollen gelagert. Schuster war nach dem Krieg verhaftet worden, er starb 1950 in einem Lager in Waldheim. Nach alten Unterlagen war bereits Anklage gegen ihn erhoben, wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Der Text der Anklageschrift ist verschollen.

© SZ vom 14.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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