Nizza:Rätselhafter Casinomord

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Er hatte nicht gestanden, es gab keine Leiche, und niemand kann sagen, wann und wo der Mord geschehen ist. Dennoch wurde 30 Jahre nach dem Verschwinden einer Millionenerbin ihr Ex-Geliebter zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt.

Gerd Kröncke

An Allerheiligen 1977 kurz vor zwölf Uhr mittags wurde die Millionenerbin Agnès Le Roux zum letzten Mal in Nizza gesehen. Die junge schöne Frau gehörte zu jener Dynastie, die das Casino Ruhl betrieb und es war die Zeit, als das Casino Ruhl und die Konkurrenz, Le Palais de la Méditérranée, um die Vorherrschaft in Nizza kämpften. Agnès Le Roux blieb für immer verschwunden.

Vorige Woche wurde in Aix-en-Provence ihr damaliger Geliebter, Maurice Agnelet, 68jährig, wegen Mordes zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte nicht gestanden, es gab keine Leiche, und niemand kann sagen, wann, wo und wie der Mord geschehen ist. Nur ein Motiv gab es: Geld. Zwölf Geschworene und drei Richter waren sich einig, dass Maurice Agnelet schuldig ist.

Es war schon der dritte Prozess, zweimal zuvor war der Mann davongekommen: einmal, in den achtziger Jahren, wurde das Verfahren eingestellt, voriges Jahr hatte es einen glatten Freispruch gegeben. Die Fakten blieben stets dieselben. Als das Urteil gesprochen wurde, weinte Renée Le Roux Tränen der Erleichterung.

Die mittlerweile 86jährige Mutter der Verschwundenen hatte dreißig Jahre auf diesen Augenblick hingelebt. Sie hatte schon bald nach dem Verschwinden ihrer Tochter Anzeige erstattet, aber anfangs hatte sich die Justiz noch blind und taub gestellt. Niemand traute sich, gegen den Ehrenmann - Freimaurer mit besten Verbindungen und Vorsitzender der Liga für Menschenrechte - vorzugehen. Nun hat Madame Le Roux doch noch späte Genugtuung erfahren.

Maurice Agnelet, in einem sandfarbenen Pullover und kariertem Jackett, ein noch immer eleganter Herr, lächelte vage und als er abgeführt wurde, hob er leicht die Hände, als wollte er seinen Söhnen im Zuschauerraum Mut machen. "Ich habe Agnès Le Roux nicht getötet, ich habe nichts mit ihrem Verschwinden zu tun, ich bin unschuldig an allem, was man mir seit dreißig Jahren vorwirft", hatte sein Schlusswort gelautet.

Es war ihm keine Regung anzumerken, vielmehr pflegte er bis zuletzt eine Attitüde, die von vielen Prozessbeobachtern als unglaublich arrogant empfunden wurde. Er war als freier Mann zum Prozess gekommen und immer wirkte er merkwürdig desinteressiert. Aber wie reagiert denn ein Unschuldiger und kann Arroganz als Beleg für Schuld gelten?

Im Krieg der Casinos war die Tochter der Ruhl-Besitzerin, seine Geliebte, von der Gegenseite mit drei Millionen Francs bestochen worden, damit sie der Übernahme zustimmte. Maurice Agnelet, der auch ihr Anwalt war, hatte den Deal eingefädelt. Es war viel Geld, mehr als die pure Umrechnung (knapp eine halbe Million Euro) heute ausweist. Gemeinsam brachte man es in die Schweiz, auf ein Konto, zu dem beide Zugang hatten.

Später sollte eine Rolle spielen, dass Agnelet für die Nacht vom 27. auf den 28.Oktober ein Alibi hatte. Eine zweite Geliebte bezeugte, er sei mit ihr zusammengewesen. Er ging nach Kanada, heiratete zum Schein eine Kanadierin, um an neue Papier zu kommen, ließ sich bald wieder scheiden. Zurück in Frankreich nahm er die zweite Geliebte zur Frau, die ihrerseits erst nach der Scheidung gestand, dass das Alibi falsch war.

Späte Genugtuung

Gegen Agnelet hatte von Anfang an gesprochen, wie wenig ihn das Verschwinden der Millionenerbin zu berühren schien. Dass er von dem Geld auf dem Schweizer Konto profitiert hatte, konnte er nicht bestreiten, dafür wurde er bereits Anfang der Neunziger Jahre zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Weil aber Agnès' Mutter nicht aufgab, sich die besten Anwälte nahm, kam er nie zur Ruhe. "Der Zweifel darf wohl zugunsten des Angeklagten sprechen", sagte der Anwalt Hervé Temime bei der Verhandlung in Aix-en-Provence, "nicht aber sein Zynismus".

Über die Jahre waren keine neuen Beweise hinzugekommen. Bekannt waren immer schon die fünf, sechs kryptischen Notizen, handschriftlich in einem Band von Ernest Hemingway ("Wem die Stunde schlägt"): "17mai 1977, PM-PV, Genf, Freundschaft". Das war der Tag, als in Genf die Millionen eingezahlt wurden, und PM-PV sind die Initialen des Casinos Palais Méditéranée. Die letzte, geschrieben am Tag nach dem Verschwinden von Agnès Le Roux: "Neue Verwendung in Sachen PM-PV. Freiheit." Die Freiheit währte Jahrzehnte.

Die Anwälte des Mannes, den man nun ungestraft den Mörder der Agnès Le Roux nennen darf, sind überzeugt, dass das Urteil keinen Bestand haben wird. "So lange man nicht beantworten kann, wo das Verbrechen stattgefunden hat und wie es ausgeführt wurde, so lange bleiben Zweifel", sagt der Anwalt, der natürlich in die Berufung geht. Ein Bruder der Verschwundenen beklagt, dass Maurice Agnelet offenbar für immer für sich behalten will, wo die Leiche geblieben ist: "Das bleibt sein zynisches Geheimnis."

© SZ vom 15.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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