Íngrid Betancourt:Die Diva aus dem Dschungel

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Kolumbien fiebert mit: Zwischen Íngrid Betancourt und ihrem Mann droht ein Scheidungskrieg.

Peter Burghardt

Auch Juan Carlos Lecompte fiel aus seinem Leben, als seine Frau am 23. Februar 2002 im kolumbianischen Urwald verschwand. Seit jenem Tag kümmerte sich der Werbefachmann mehr oder weniger hauptberuflich darum, Íngrid Betancourt aus den Fängen der linken Farc-Guerilla zu befreien - die Rebellen hatten die damalige Präsidentschaftskandidatin verschleppt.

Als Íngrid Betancourt endlich das Rollfeld des Armeeflughafens betrat, da tätschelte sie ihrem Juan Carlos die Wange wie einem Schuljungen. (Foto: Foto: dpa)

Lecompte verteilte lebensgroße Fotos seiner Gemahlin bis nach Paris und Brüssel, ein Exemplar begleitete ihn als Pappkamerad in der gemeinsamen Penthousewohnung hoch über Bogotá. Er warf aus einem Kleinflugzeug Tausende Bilder ihrer Kinder über dem Busch ab in der Hoffnung, wenigstens eines davon möge sie in dem Gefangenenlager erreichen.

Er traf Politiker. Er schrieb ein Buch, Titel: "Íngrid suchen." Am 2. Juli vergangenen Jahres fand man sie und andere, Kolumbiens Militär triumphierte mit einer mysteriösen Rettungsaktion. Jetzt stehen beider Anwälte vor dem Scheidungsrichter.

Gerade beantragte Íngrid Betancourts Rechtsvertreter vor dem Familiengericht Nummer 15 von Bogotá die Auflösung der Ehe. Begründung: faktische Trennung über viele Jahre. 2321 Tage, um genau zu sein. Zu Wochenbeginn konterte Lecompte mit der Gegenklage, sein Advokat wirft ihr Ehebruch vor. Zunächst habe der jugendliche Endvierziger die Beziehung wieder herstellen wollen, heißt es, obwohl sich beide seit ihrer Rückkehr vor acht Monaten kaum sehen.

Betancourt lebt in Frankreich. Aber dann kam ihr Scheidungsgesuch sowie die Attacke ihrer Mitgeiseln, der US-Amerikaner Keith Stansell, Marc Gonsalves und Tom Howes. Die drei Soldaten schreiben in ihrem Buch von einer mutmaßlichen Liebschaft zwischen Betancourt und dem vormaligen Senator Luis Eladio Pérez, über die bereits spekuliert worden war. "Seine Würde wieder herstellen" will Lecompte. Das Dschungeldrama als Rosenkrieg?

Ganz so verblüffend ist das nicht. Scheidungen kommen in den besten Familien vor - auch im tendenziell konservativen Kolumbien und überdurchschnittlich häufig nach Entführungen. Lieben gehen zu Ende und Menschen verändern sich, besonders wenn sie als Faustpfand Aufständischer in der Wildnis überleben mussten. Wer Jahre in Bretterverschlägen und an Ketten verbringt, tagelange Gewaltmärsche zurücklegt und die Welt nur durch ein Transistorradio empfängt, der hat ganz andere Nöte und Gedanken. Ansonsten wäre dies natürlich Privatsache, die außer den Betroffenen niemand etwas angeht. Doch es geht um eine Jean d'Arc der Neuzeit, eine Medienfigur, die Staatschefs trifft und den Papst und für den Friedensnobelpreis nominiert war. Die Odyssee der Íngrid Betancourt füllt Bücher und beschäftigt Hollywood, und sie hat das Bohei mit ihren Auftritten selbst geschürt.

Nie war eine Entführte berühmter. Sie wird zwischen Anden und Alpen bewundert und umschwärmt, aber ihre Show geht manchen inzwischen auf die Nerven. "Íngrid hat mich enttäuscht", sagt jetzt sogar Juan Carlos Lecompte in der Zeitung El Espectador, und da ist er nicht der einzige.

In die Heldensaga drängt sich das Image der Eigensinnigen, der Berechnenden. Die US-Söldner Stansell und Howes skizzieren Betancourt in ihrem Werk nach 1967 Tagen Kidnapping als egomanisch veranlagte Diva, "eine egoistische und dominante Frau". Die Autoren werfen ihr sogar vor, sie bei den Farc-Wächtern als CIA-Agenten angeschwärzt, Essen und Bücher versteckt zu haben. Sie habe sich benommen "als ob sie im Wahlkampf sei".

Kollege Gonsalves sieht das als ihr Intimus anders, mutig sei sie gewesen. Auch der angebliche Liebhaber Pérez nimmt sie in Schutz. Eine Fortsetzung der Debatte liefert in Kürze ihre frühere Assistentin Clara Rojas, die sich ebenfalls von ihr abgewandt hat. Rojas bekam in der Wildnis ein Kind mit einem Guerillero. Ihre Memoiren erscheinen bald, dann folgt der voraussichtliche Bestseller von Betancourt selbst. Mit ihren schriftlichen Erinnerungen liefern sich die Befreiten einen bizarren Konkurrenzkampf um Wahrheiten und Quoten. Und schreiben sich die Alpträume eines Wahnsinns von der Seele.

Juan Carlos Lecompte bekam die Eigenheiten des Betancourt-Clans schon früher zu spüren. Er entwarf Ingrids originelle PR-Kampagne als unabhängige und aussichtlose Herausforderin des heutigen Präsidenten Álvaro Uribe. Und führte den Wahlkampf noch fort, als sie bereits bei den Farc gelandet war. Ihm wohlgesinnte Familienmitglieder halfen, darunter Ingrids erster Mann, der französische Diplomat Fabrice Delloye. Mutter Yolanda Pulecio dagegen, ehemalige Schönheitskönigin und Botschaftergattin, konnte mit den unorthodoxen Methoden Lecomptes wenig anfangen. Und als die Gesuchte nach all den Tagen und Nächten der Angst am 2. Juli 2008 endlich das Rollfeld des Armeeflughafens bei Bogotá betrat, da tätschelte sie ihrem Juan Carlos die Wange wie einem Schuljungen. Das war's. Kurz darauf entschwand sie nach Paris, ins sichere Exil, zu Sohn und Tochter und Sarkozy und anderen Politgrößen.

Er habe nicht erwartet, "dass sie so kühl sein würde", sagt Lecompte. Seither trafen sie sich nur kurz und telefonierten, er ist inzwischen wieder wie einst Werbeberater. Von Íngrid Betancourt gingen vor einiger Zeit Fotos um den Globus, auf denen sie am Strand in Miami in Bikini und mit Begleiter zu sehen war, aber die Betancourts dementierten. Es sei bloß ein Cousin gewesen.

In Leserbriefen schimpfen manche Kolumbianer unter Betancourt-Berichten und loben den verlassenen Lecompte. "Lecompte, Sie sind großartig", schrieb einer, "ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Demut. Schade, dass Sie sich von der Überheblichkeit der zwei Hexen hatten einfangen lassen." Die Hexen sind Íngrid Betancourt und ihre Mutter. Lecompte glaubt nicht, dass sie sich wieder in der kolumbianischen Politik versuchen will, aber wer weiß. Würde er sie trotz allem wählen? "Ja. Und wenn sie mich bittet, dann mache ich ihr die Werbung." Erst mal steht der Scheidungstermin vor Gericht an.

© SZ vom 18.3.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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