Natascha Kampusch im Gespräch:"Er wird dich schon nicht fressen"

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Wie kann das sein? Wie kann ein junger Mensch so viel Kraft haben, so viel Lebensfreude, so viel Witz - nach acht Jahren in einem finsteren Verlies? Eindrücke vom ersten TV-Interview mit Natascha Kampusch.

Eike Schrimm

Natascha Kampusch sitzt in einem weißen Sessel, neben ihr eine weiße Tischleuchte, ein Glas Wasser und eine Box mit Taschentüchern. Diese braucht sie, nicht weil sie weinen muss, sondern weil sie verschnupft ist. Zurück in der Freiheit hat sie sich sofort eine Erkältung eingefangen. Im Verlauf des 45-minütigen Interviews scheint sie aber froh zu sein über ihre laufende Nase, über die weißen Taschentücher, mit denen sie sich die Augen trocken reibt. Tränen? Nein! Sie wäre bestimmt wütend, wenn man schreiben würde, sie hat geweint. Sie ist stark, sie wird bestimmt niemals weinen, nicht wenn Millionen gierige Menschen vor dem Fernseher sitzen und wissen wollen: Wie geht es ihr?

Ein Café in Wien: Das erste Interview im Fernsehen mit Natascha Kampusch, und alle schauen zu. (Foto: Foto: Reuters)

Ja, wie geht es ihr? Man weiß es nicht. Auf jeden Fall ist sie sehr hübsch. Wenn sie sich die Sachen, die sie trägt, selber ausgesucht hat - höchstes Kompliment, genau richtig: Eine knittrig-leichte Bluse in lila, aufgeknöpft liegt der Kragen weit auf ihrer Schulter, die Ärmel reichen bis zu den weißen Händen, entlang der Knopfleiste glitzern Steine, aber sehr dezent. Das große lilafarbene Kopftuch ist im Nacken geknotet, nur einige dunkelblonde Härchen spitzen auf der Stirn hervor. Jeans an den Beinen. Die Augen sind getuscht, die Lippen glänzen. Ihr Outfit passt ganz genau in unsere Welt.

Auch ihr Interview-Partner, ORF-Journalist Christoph Feurstein, will natürlich zuerst wissen: "Wie geht es Ihnen?" Er siezt sie. Sie stolpert über ihren ersten Satz: "Den Um." Pause. Noch mal von vorn "Den Umständen entsprechend." Der gemeine Zuschauer am Fernseher schluckt den ersten Kloß herunter. Weiter zu den nächsten Fragen: Wem können Sie vertrauen? "Ich weiß nicht." Sie schaut an Feurstein vorbei, die Kamera fährt mit. Hinter dem Journalisten sitzen im Dunklen zwei Menschen, kaum zu erkennen. Es sind ihr PR-Berater und Dr. Friedrich. Er hat einen weißen Kittel an und soll sich um die Seele von Natascha Kampusch kümmern. Dieser Psychologe hat ihr auch geraten, Raum anstatt Verlies zu sagen. Aber sie sagt jetzt Verlies zum Verlies: "Das passt einfach besser."

Natascha Kampusch beantwortet die Vertrauensfrage: "Dr. Friedrich vertraue ich. Und meiner Familie. Und mir selbst." Sehr gut der letzte Satz. Der beste. Und er stimmt, sonst wäre sie heute nicht frei. Im weiteren Verlauf des Gesprächs erzählt nämlich Natascha Kampusch von ihrem Pakt, den sie mit sich selber geschlossen hat: "Ich habe mir geschworen, wenn ich älter und stärker geworden bin, werde ich das kleine 12-Jährige Mädchen befreien." Und sie hat ihr Versprechen eingelöst, sie hat sich selbst befreit, während die Polizei nach ihrer Leiche suchte. "Nur meine Mutter hat die Hoffnung nicht aufgegeben", sagt Kampusch, lacht und ist heilfroh darüber.

Sie schließt oft und lange die Augen. Die Menschen vom Fernsehen haben gesagt, dass sie es tut, weil sie verschnupft ist und ihre Augen das helle Licht noch nicht gewöhnt sind. Aber eigentlich denkt man zuerst: Da sitzt ein nervöses Kind, das sich mit geschlossenen Augen besser an den einstudierten Text erinnern kann.

Aber so ist es nicht. Ja, sie schließt die Augen wie ein Kind, aber nur um sich zu schützen nach dem Motto: Was ich nicht sehe, ist nicht da. Sie beginnt auch mit geschlossenen Augen zu erzählen, wie es war am 2. März 1998, der Tag an dem ihre Kindheit zu Ende war. Im Streit ist sie von zu Hause fortgegangen.

Als sie ihren Entführer sieht, warnt ihr Bauch: "Geh auf die andere Straßenseite." Aber sie wechselt nicht. "Er wird dich schon nicht fressen", beruhigt sie sich selbst. Aber er packt sie, zerrt sie ins Auto.

Sie konnte nicht schreien, auch jetzt versagt die Stimme. Ihre schmalen Hände fahren stattdessen die Kehle hoch. Sie reibt sich mit dem Taschentuch über die getuschten Wimpern. Mit heiserer Stimmer erzählt sie dann, dass sie ein halbes Jahr nur in dem Verlies war, nach einem halben Jahr durfte sie hoch ins Haus, nach zwei Jahren Nachrichten hören. "Ich habe die von ORF gehört, aber nicht, das ich mich jetzt einschmeicheln will", witzelt sie.

Ohne fremde Hilfe bekommt sie die Kurve, rettet sich selber aus der Not. Wie immer. In den letzten acht Jahren.

Und in diesem Moment atmetet der Zuschauer auf, denn dieses Mädchen wird in unserer Welt seinen Weg finden. Und hoffentlich hat sie viel zu lachen dabei, denn das steht ihr besonders gut.

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