Nacht auf den 1. Mai:Tänzchen auf dem Brocken

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Wider den Winter: Zur Walpurgisnacht erwartet der Harz 100.000 Hexen und Teufel - und freut sich über den blühenden Tourismus.

Albrecht Weisker

Wilde Fantasien beflügelten einst die Menschen, wenn sie an Walpurgis dachten. In der Nacht zum 1. Mai ritten dem Volksglauben nach Hexen und böse Zauberinnen auf Reisigbesen oder Ziegenböcken auf den Blocksberg (Brocken), um dort eine Orgie zu feiern.

Diesen Damen kann man im Harz in der Walpurgisnacht begegnen (Foto: Foto: dpa)

Seit Großdichter Goethe das heiße Hexenfest mit Herrn Urian auf dem höchsten der Harzer Berge in seinem "Faust" verewigt hat, gilt das norddeutsche Mittelgebirge als Schauplatz Nummer eins, um den Winter auszutreiben. Keine schlechte Idee für die touristische Vermarktung, wo in diesem Jahr sogar an Ostern noch das Skifahren in den Hochlagen des Harz möglich war.

Das Fürchten lehrt der Hexensabbat heute nicht mehr. "Die Walpurgisnacht hat nichts Kultisches mehr an sich", sagt Ingolf Christiansen, Beauftragter für Weltanschauungsfragen bei der evangelischen Kirche. "Für den Harz ist es eine Touristenattraktion, alles ist kommerzialisiert."

Gnade des Kalenders

Mancher Brauchtums-Purist mag das bedauern, doch die Fremdenverkehrsmanager freuen sich über die Popularität des Folklorespektakels. Der Harzer Verkehrsverband erwartet zu den rund 40 Walpurgisveranstaltungen an die 100.000 Gäste. Besser konnte es ja auch kaum kommen: Der 1. Mai an einem Montag - eine Gnade des Kalenders.

In der nach der heiligen Walburga (der Beschützerin vor Zauberpraktiken) benannten Nacht steigen im gesamten Mittelgebirge Feste mit Hexenkostümierungen, lodernden Feuern und viel Musik.

Es locken "sexy junge Show-Hexen"

Die Kaiserstadt Goslar lockt mit einer dreitägigen Party vor der Kulisse des historischen Marktplatzes in mystischer Beleuchtung. Im Ostharz werben Blankenburg und Halberstadt mit Erotikshows, in Schierke tummeln sich "sexy junge Show-Dance-Hexen", am Hexentanzplatz in Thale wird's eng. Krönender Abschluss vielerorts: ein Höhenfeuerwerk.

Im Westharz wie in Bad Grund oder Braunlage dagegen beginnen die Feiern mit einem Umzug der als Hexen und Teufel geschminkten Kinder durch die Orte, gefolgt von Fackelwanderung, Party am Feuer und Wahl der Maikönigin.

"Der Event-Charakter unter freiem Himmel kommt jedenfalls an", glaubt Ines Köhler-Zülch, Erzählforscherin an der Göttinger Akademie der Wissenschaften. Im Kern sei Walpurgis ein bürgerliches Fest aus der Zeit um 1900. "Heute ist es sehr pluralistisch und greift viele Modetrends auf."

Wohl wahr. Magie und Mystik gehen gut, Hexenzauber hat in den Zeiten Harry Potters Konjunktur. Der Ort Schierke lockt mit "Liebestrank und Hexenschuss, Erotik und Prophezeiung" - wenn das keine teuflisch gute Tourismustinktur ist!

© SZ vom 29.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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