Nach Anschlag auf Tempel:Sikhs in Deutschland: "Unsere Religion richtet sich gegen niemanden"

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Damandeep Singh ist Vorstandsmitglied im Sikh Verband Deutschland. (Foto: Uschi Euler; Euler/BfN)

Über den Glauben der Sikh wissen viele in Deutschland nichts. Damandeep Singh vom Sikh-Verband spricht über den Anschlag auf einen Essener Tempel und erklärt, was es mit den Turbanen auf sich hat.

Interview von Hanna Spanhel

Damandeep Singh ist Vorstandsmitglied im Sikh Verband Deutschland. Er ist 24 Jahre alt, lebt in Köln und studiert Ingenieurwissenschaften. Eine Woche nach dem Anschlag auf einen Tempel der Religionsgemeinschaft in Essen sind in der Stadt mehrere hundert Anhänger der Sikhs zusammengekommen, die Prozession war bereits seit Monaten geplant. Ein Interview über das Attentat, über Sikhs in Deutschland und wie sie auf die Tat reagieren.

SZ: Herr Singh, in der Öffentlichkeit fallen Sikhs durch lange Bärte und Turbane auf. Schlagen Ihnen viele Vorurteile entgegen?

Damandeep Singh: Anfeindungen oder Hass spüren wir hier in Deutschland eigentlich nicht. Manchmal werden Kinder ausgelacht, weil sie ihre langen Haare in einem Dutt tragen, bedeckt von einem Tuch. Patka nennen wir das. Oder es gibt Schwierigkeiten bei der Jobsuche - wegen des Turbans, den wir tragen. Er führt dazu, dass wir ab und an mit Terroristen verwechselt werden. Das geschieht aber nur deshalb, weil die Menschen kaum etwas über uns wissen.

Am vergangenen Samstag haben zwei 16-Jährige ein Sikh-Gebetshaus in Essen angegriffen. Es heißt, sie hätten das Zentrum mit einem Hindu-Tempel verwechselt.

Ob das nun ein Hindu-Tempel oder ein Sikh-Tempel ist, eine Kirche, eine Moschee oder eine Synagoge, ist irrelevant. Es war eine Attacke gegen eine Religionsgemeinschaft. Das ist also nicht ein Angriff auf die Sikh-Religion gewesen, sondern auf die gesamte Menschheit.

Sie denken also nicht, dass der Angriff gezielt den Sikhs galt?

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Von Kristiana Ludwig

Das können nur die Täter sagen. Vielleicht war es Unwissenheit. Vielleicht hätten sie nicht angegriffen, hätten sie gewusst, was die Sikhi ist. Unsere Religion richtet sich gegen niemanden - es gibt keinen Grund für einen solchen Angriff. Aber wir haben mit so etwas gerechnet. 2008 gab es schon mal einen Anschlag auf Sikhs, in einem Tempel im US-Bundesstaat Wisconsin. Damals hat der Täter die Opfer wohl für Muslime gehalten. Danach gab es Diskussionen bei uns: Viele sagten, wir müssen die Leute darüber aufklären, was die Sikh-Religion ist. Damit sie Bescheid wissen, wenn sie einen Mann mit langem Bart sehen oder Menschen mit Turban. Mit dem Anschlag sind diese Diskussionen auch in Deutschland dringender geworden.

Sikhismus gilt als eine Religion, die Ungleichheit ablehnt. Ist das der Kern dieser Religion?

Genau darum geht es. Welche Religion hat Gott, welche Kaste hat Gott, welches Geschlecht hat Gott? Das ist alles vollkommen irrelevant. Menschen nach solchen Kriterien zu unterscheiden, ist in unseren Augen extrem diskriminierend. Nicht die Religion ist ausschlaggebend dafür, wie ein Mensch ist, sondern sein Handeln.

Rituale oder Dogmen werden von den Sikhs abgelehnt. Dennoch gibt es sicherlich gewisse Grundsätze.

Rituale sind nur oberflächlich. Sikhi bedeutet spirituelle Lehre, und der Sikh ist der Sucher oder Schüler, den der Guru über Spiritualität lehrt. Der Guru wiederum ist die Gurbani, die spirituelle Weisheit, und danach suchen wir. Sikhi ist also eher ein Lebensweg, der nach und nach beschritten wird. Die spirituelle Welt können wir nicht mit unseren Augen sehen, die liegt in uns.

Worum geht es in dieser spirituellen Lehre?

Es geht um die Frage, wer du wirklich bist, woher du gekommen bist, und wo du hin sollst. Es geht darum, wie man das Ego überwinden kann - Begierde, Wut, Gier, Arroganz, die Verhaftung im Weltlichen. Wenn man dieser Lehre folgt, wird man automatisch respektvoller gegen die Natur, gegen die Mitmenschen. Wir wollen im Einklang leben mit der Schöpfung. Sikhs sind sehr friedvolle Menschen, aber das bedeutet nicht, dass die Sikhs Ungerechtigkeit akzeptieren. Wir setzen uns sehr aktiv gegen die Unterdrückung von Frauen ein, gegen religiösen Fanatismus und gegen das Kastensystem - das zeigt auch unsere Geschichte.

Wie verbreitet ist der Sikhismus in Deutschland?

Wir schätzen, dass es in Deutschland heute etwa 25 000 Sikhs gibt. Die ersten Sikhs kamen vor etwa 55 Jahren, aus der Region Punjab vor allem, die heute zwischen Indien und Pakistan aufgeteilt ist. 1984 gab es ein großes Massaker an den Sikhs in Indien. Viele sind damals geflüchtet und haben hier Zentren aufgebaut, die Gurdwaras.

Sozusagen die Kirchen der Sikhs?

Im Mittelpunkt steht in diesen Gurdwaras der Guru Granth Sahib - das sind die Lehren und spirituellen Weisheiten, zusammengefasst in einem heiligen Buch. Einmal in der Woche, in Deutschland sonntags, versammeln sich Sikhs in den Gurdwaras. Die Lehre wird gesungen, mit Musik vorgetragen und erläutert. Ein besonderer Bestandteil des Gurdwaras ist auch das sogenannte Langar, die freie Küche: Jeder Mensch, egal welcher Religion oder Abstammung, wird in einem Sikh-Tempel kostenlos Essen bekommen - wann immer er es braucht.

Was steckt hinter dem Turban?

Unter dem Turban werden die langen Haare verdeckt - die Sikhs schneiden ihre Haare nicht. Wir greifen nicht in das ein, was Gott uns gegeben hat. Der Turban ist aber auch ein Zeichen von Verantwortung: Wenn man den Turban trägt, muss man sich sehr verantwortungsvoll verhalten, weil man ja sofort auffällt. Wir tragen auch gemeinsame Nachnamen, als Ausdruck von Zusammengehörigkeit, sozusagen. Sikh-Frauen tragen den Nachnamen Kaur, was Prinzessin bedeutet, und Männer den Namen Singh, was Löwe bedeutet.

Die Prozession durch Essen an diesem Samstag hatte die Sikh-Gemeinde schon seit geplant.

Wir Sikh lassen uns, wie gesagt, nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Wir werden jetzt erst recht intensiver versuchen, die Menschen hier in Deutschland aufzuklären. Das ist kein Missionieren, die Menschen sollen lediglich verstehen, wer die Sikhs sind.

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