Mord in Italien:Ein schreckliches Geheimnis

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Die mysteriösen Pärchen-Morde von Florenz bleiben auch nach einer letzten Gerichtsverhandlung ungeklärt. Das unbekannte "Ungeheuer" soll Orgien gefeiert und Leichen geschändet haben.

Stefan Ulrich

Dieser Mischung aus Schönheit und Grauen sind schon viele Schriftsteller erlegen: Da wären einerseits die grünen, mit historischen Orten gesprenkelten Wein- und Zypressenhügel der Toskana, wo sich in lauen Sommernächten die Liebespaare treffen.

Im August 1968 begann die Mordserie, die die Menschen in Florenz lange Jahre ängstigte. (Foto: Foto: Reuters)

Und da wären andererseits Orgien und schwarze Messen in alten Villen, Morde, Leichenschändungen und der große Unbekannte, den sie in Italien "il mostro", "das Ungeheuer" nennen.

Die Engländerin Magdalen Nabb und der italienische Staatsanwalt Michele Giuttari haben darüber Krimis verfasst, Thomas Harris ließ sich für seine monströse Thriller-Figur des Hannibal Lecter inspirieren, und Anfang Juni kommt in Amerika wieder ein Buch zum Thema heraus. Der Titel: "The Monster of Florence".

Tod bei Neumond

Auch die Justiz hat nun ein neues - und ihr womöglich letztes - Kapitel zu dieser Gruselgeschichte geschrieben. Ein Gericht in Florenz sprach jetzt den 67Jahren alten Francesco Calamandrei frei. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Apotheker aus dem Ort San Casciano Val di Pesa vorgeworfen, er habe den Mord an mehreren Pärchen im Florentiner Umland in Auftrag gegeben, um an weibliche Geschlechtsteile für schwarze Messen zu kommen.

Calamandrei sagte nach der Urteilsverkündung, sein Leben habe "eine Pause von 20 Jahren gehabt, in der ich das Monster war". Nun brauche er viel Zeit, um zu vergessen.

Zwei Jahrzehnte, so lange ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den Mann aus einer begüterten Familie. Seine Ehefrau hatte ihn einst angezeigt, er bewahre Leichenteile im Kühlschrank auf und stehe mit den Pärchenmorden in Verbindung. Die Frau wurde später als "schizophren" in ein Heim eingewiesen. Die Fahnder fanden in Calamandreis Haus keine Körperteile, sondern lediglich Pornofilme und albtraumhafte Gemälde, die der depressive Apotheker gemalt hatte. Das Gericht befand nun, es lägen keine Beweise gegen ihn vor. Das Rätsel um die acht Doppelmorde ist und bleibt ungelöst.

Die Mordserie, die die Menschen um Florenz so lange ängstigte, begann in einer Augustnacht 1968. Etwas außerhalb der Stadt wurde ein Liebespaar in einem weißen Alfa Romeo erschossen. Im September 1985 schlugen der oder die Täter zum letzten Mal zu. Diesmal traf es ein französisches Paar bei San Casciano. Ein Muster zieht sich durch alle Taten: Sie wurden immer in lauen Neumond-Nächten verübt.

Die Tatwaffe war stets eine Beretta Kaliber 22. Die Opfer waren Liebespaare, die Frauen wurden meist verstümmelt. Einmal, 1983, traf es zwei homosexuelle Deutsche. Der Täter hatte den einen Mann wegen dessen langer Haare wohl für eine Frau gehalten.

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Im Auftrag einer Sekte?

Die Fahnder gingen zunächst von einem Einzeltäter aus. Im Lauf der Ermittlungen erarbeiteten sie dann ein halbes Dutzend Theorien. Mal war von einer Bande von Sarden die Rede, Mal von einer Gruppe halbdebiler Dörfler, mal von einer Organisation einflussreicher Leute aus der "guten Gesellschaft", die sich für Orgien und satanische Riten Leichenteile verschaffte. In die Ermittlungen, die zu den aufwendigsten der italienischen Kriminalgeschichte gehören, wurden der Geheimdienst des Landes sowie das FBI eingeschaltet.

Im Zusammenhang mit der Fahndung kam es zu drei Selbstmorden und sieben weiteren Morden. Die Justiz lähmte sich durch inneren Streit teilweise selbst. Wie so oft in Italien entstand ein Gebräu aus Verdächtigungen. So hieß es, einflussreiche Hintermänner würden von Teilen der Justiz geschützt.

Schließlich setzte sich in der Staatsanwaltschaft eine Theorie durch. Danach sollen drei Männer aus der Gegend von San Casciano die Morde für Geld ausgeführt haben. Der als gewalttätig geltende Bauer Pietro Pacciani wurde 1994 zu lebenslanger Haft verurteilt, dann frei gesprochen. Schließlich sollte sein Prozess neu aufgerollt werden.

Bevor es dazu kam, starb Pacciani 1998 unter dubiosen Umständen. Zwei seiner Kumpel, ein Postbote und ein Arbeitsloser, wurden wegen eines Teils der Morde rechtskräftig verurteilt. Die Staatsanwaltschaft geht bis heute davon aus, das Trio habe im Auftrag eines obskuren, sektenartigen Netzes getötet. Als Mittelsmann habe Calamandrei gewirkt.

Das Gericht in Florenz konnte sich von einer Schuld des Apothekers jedoch nicht überzeugen. Der Journalist Mario Spezi, der sich seit langem mit dem Fall beschäftigt, sieht sich nun bestätigt. Er hält nichts von der Sekten-Theorie, sondern meint: "Das Ungeheuer ist ein Serienkiller, der noch lebt." Allerdings wurde Spezi 2006 selbst vorübergehend unter dem Verdacht inhaftiert, die Ermittler in die Irre zu führen. Wie auch immer: Die grünen Hügel um San Casciano bewahren ihr Geheimnis - und das Gesicht des Monsters bleibt ihm Dunkeln.

© SZ vom 26.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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