Mode:Brüderchen und Brüderchen

Lesezeit: 6 min

Viktor & Rolf sind nicht verwandt, fühlen sich aber so. Nun haben sie eine Kollektion für H&M entworfen.

Nora von Westphalen

Seit zwei Jahren beschert uns Hennes und Mauritz jedes Jahr ein hübsch verschnürtes Herbstpaket: die Designerkollektion. Den triumphalen Anfang machte 2004 Karl Lagerfeld, der berühmte Designer löste mit seiner H&M-Kollektion eine wahre Hysterie aus. Voriges Jahr folgte Stella McCartney. Der lässig feminine Stil der britischen Designerin und Beatles-Tochter passte perfekt zur jungen Zielgruppe. Lange wurde gemunkelt, Miuccia Prada könnte die Nächste sein. Auch der ehemalige "Mister Gucci" Tom Ford war im Gespräch. Der oder die Auserwählte sollte diesmal auch zusätzlich, wie dereinst Lagerfeld, eine Männerkollektion entwerfen, was so manchen Designer im Vorfeld ausschloss.

Den Zuschlag sicherte sich dann überraschend das niederländische Designerduo Viktor & Rolf. Was vonseiten der Modefirma mutig ist, denn auch, wenn sich das dank großer Werbekampagnen bald ändern wird - bisher sagen diese beiden Männernamen dem Durchschnittskunden auf der Straße eher wenig.

Wie kommt es zu dieser ungewöhnlichen Wahl? "Wir bewundern Viktor Horsting und Rolf Snoeren", sagt eine der Entscheiderinnen des Unternehmens, die H&M-Chefdesignerin Margareta van den Bosch. Die besondere Art, wie sie mit ihrem künstlerischen Talent und gleichzeitig mit großem handwerklichen Können an Design herangehen, sei faszinierend, und die Wahl sei diesmal ganz bewusst auf Künstler in der Mode gefallen. Eben gerade weil sie so arbeiteten. Angst, dass die beiden zu unbekannt sind, hat man bei H&M nicht. "Unabhängig vom Namen ist die Designer-Kollektion ein Fashion-Statement", so der deutsche Pressesprecher Mathias Geduhn. "Der modischen Zielgruppe sind Viktor & Rolf ein Begriff, alle anderen werden die Kollektion lieben, weil sie einfach wunderschön ist."

Im H&M in der Münchner Neuhauser Straße ist noch nichts zu sehen von den Sachen, nicht einmal eine Ankündigung. Dafür ist die Filiale schon am frühen Vormittag gesteckt voll. Massen schieben sich durch die eng gestellten Kleiderständer. Viele Touristen, der Großteil sehr jung. Ein Mädchen in Hüftjeans und Kapuzenpulli zuckt auf die Frage, ob sie wisse, wann die Victor & Rolf-Kollektion in die Läden käme, nur mit den Schultern. "Was ist das? Neue Jeans?"

Wer sind also Viktor & Rolf? Und wer überhaupt ist Viktor und wer Rolf? Die zwei sind kaum auseinanderzuhalten. Sie sprechen von sich auch nur in der Wir-Form. Ein Liebespaar, wie Domenico Dolce und Stefano Gabbana es waren, sind die beiden jedenfalls nicht. Aber ihre jeweiligen Partner müssen damit leben, dass es V&R nur im Doppelpack gibt. Am Ende jedes Defilees betritt das Duo, vom Anzug bis zur Büffelhornbrille identisch gekleidet, den Laufsteg. Und tritt im Gleichschritt wieder ab.

Beide wurden im selben Jahr geboren, 1969. Sie wuchsen in unterschiedlichen Kleinstädten im Süden der Niederlande auf; Viktor Horstings in Geldrop und Rolf Snoeren in Dongen. Und wie zwei nach der Geburt getrennte Zwillinge wurden sie ihre ganze Kindheit über das Gefühl nicht los, dass ihnen etwas fehlte. Mit achtzehn Jahren dann lernten sich die beiden Einzelgänger auf der Kunstakademie in Arnheim kennen. Endlich fühlten sie sich komplett. "Kreative Ehe" nennen sie ihre enge Zusammenarbeit heute. "Das Schönste wäre für uns gewesen, wenn wir zusammen aufgewachsen wären. Dann hätten wir einfach noch mehr Zeit miteinander verbracht" - solch rührenden Sätze geben die beiden von sich, dieser hier stand kürzlich in der Zeit: "Das Herz unserer Zusammenarbeit ist die Art von Liebe, die Freundschaft genannt wird."

Nach dem Diplom 1992 taten sie sich als Designer-Duo Viktor & Rolf zusammen; der Anfang einer erfolgreichen Modelaufbahn. Schon im darauffolgenden Jahr gewannen sie den prestigeträchtigen Talentwettbewerb in Hyères; die erste gemeinsame Kollektion und gleich eine Auszeichnung. Doch da die Niederlande nicht gerade ein Modeland sind, lud Viktors Vater die beiden Jungs eines Tages mit ihren Habseligkeiten ins Auto und fuhr sie nach Paris.

Wirklich glamourös sollte es bei den beiden, die gleich von Anfang an träumten, weltberühmte Designer zu werden, noch lange nicht zugehen. Die ersten fünf Jahre waren ein ständiges Experimentieren. Zwischen Hunderten, Tausenden kreativen jungen Menschen aus aller Welt versuchten sie, ihren Platz in der Mode zu finden. Sie teilten sich ein möbliertes Zimmer, ließen sich bei dem belgischen Konzeptdesigner Martin Margiela und dem Franzosen Jean Colonna ausbilden, und abends schufteten sie an ihrem eigenen Projekt, das trotz riesiger Anstrengungen - einmal nähten sie aus alten Shirts opulente Ballkleider - noch niemanden so recht zu interessieren schien. Ihre Präsentationen blieb ohne Resonanz. 1996 traten Viktor & Rolf dann in einen Streik - gegen die allgemeine Missachtung. Sie entwarfen keine neue Kollektion mehr, sondern stattdessen Flugblätter. Die Straßen von Paris überfluteten sie mit einem selbst fotokopierten Magazin, in tausendfacher Auflage. Die Coverzeile lautete: "Viktor & Rolf on strike!" Eine Performance statt Mode.

Bevor ihre Mode tragbar wurde, landeten ihre textilen Kunstwerke dann auch folgerichtig in Museen und nicht in Modeboutiquen. Statt von der Chefredakteurin der US-Vogue kam die Anerkennung vom Kurator des Kostüm-Instituts des Museum of Modern Art. "Die Mischung aus Kunst und Mode, die Viktor und Rolf so einzigartig machen, kann nicht an Kunst oder Mode allein gemessen werden", schwärmte Richard Martin. Zeitgleich stellte die Torch Gallery in Amsterdam Viktors & Rolfs Installationen aus.

Und so hatten Viktor und Rolf es fast mühelos als Künstler geschafft, ohne ihrem Ziel nähergerückt zu sein. Die lang ersehnte Anerkennung als Modeschöpfer kam erst 1998 auf der Pariser Modewoche mit ihrer Underground- Show. Apokalyptisch und provozierend ihre Kollektion, geprägt vom unsicheren Millennium-Zeitgeist: Atom-Bomben-Silhouetten, überladene Tops. Das Atompilz-Kleid schaffte es bis zum Bild der Woche des Time-Magazin. Endlich Anerkennung! Sie fingen nun an, Akteure ihrer eigenen Schauen zu werden. Für die "Babuschka-Kollektion" erschienen sie selbst auf der Bühne, um Model Maggie Rizer alle Outfits übereinander anzulegen. Insgesamt neun Kleidungsschichten. Zum Schluss trug das Model die gesamte Kollektion des Designer-Duos - übereinander.

Ihre Mode galt als untragbar, unverkäuflich, aber immer voll extravaganter Konstruktionen und unkonventioneller Auftritte.Franco Pene, Chef der italienischen Firma Gibo, erkannte trotzdem ihr kommerzielles Potenzial. Der Mann hatte zuvor schon die ersten Kollektionen für Ausnahmetalente wie Helmut Lang, Alexander McQueen und Marc Jacobs gemacht. Er schlug den beiden vor, ihre untragbare Couture-Linie in eine tragbare Prêt-à-Porter-Line zu übersetzen. "Sie hatten keine Ahnung vom Verkaufen", sagte Pene dem Time-Magazin. "Also sagte ich: ,Gebt den Leuten etwas, was sie kaufen können!'" Sie antworteten mit US-Flaggen, bedruckten Jeans und Shirts. Das war der Sprung von der Konzeptkunst in die Kommerzmode. Die Presse liebte das.

Doch Viktors & Rolfs Modenschauen bleiben Spektakel, Show, Theater. Tänzer präsentierten die "Tapdance"Linie verkleidet als Liza-Minnelli-Kopien, V&R lernten zu steppen, um beim fulminanten Finale selbst aufzutreten. "Black Hole" (2001) nannten sie selbst die wichtigste Schau ihrer Karriere: in Schwarzlicht getaucht, wandelten schwarz angemalte Models wie Schattenrisse über den Laufsteg, nur die Augen leuchteten hellweiß. Nichts sollte von den außergewöhnlichen Silhouetten der Kleider ablenken. Das Presseecho warenorm - der Durchbruch.

"Viktor & Rolf sind Künstler, und Mode ist ihr Medium", schrieb die New York Times. Ein besonders narzisstischer Gag: die erste Schau der Herren-Linie "Monsieur" im Jahre 2003, hier war jedes Model ein Viktor & Rolf-Double.

Ihre Muse, die britische Schauspielerin Tilda Swinton, modelte dann zu Ehren der Zehn-Jahre-Geburtstags-Show. Ihre Stimme schallte aus den Lautsprechern, als sie den Catwalk entlangschritt: "Follow your own path". Ihr folgte eine Armee Tilda-Klons - bleich und mit roten Haaren. "Eine Kollektion, so einfach zu tragen wie etwas von GAP, aber mit dem typischen Viktor & Rolf-Dreh" befand Time. Früher stand bei den Designern immer das Konzept an erster Stelle, diesmal waren es die Kleider. Und schon verkauften sich die Sachen viel besser. Das V-Ausschnitt-Oberteil mit sieben übereinander genähten Hemdkragen wurde zum Klassiker.

Ihre Konzepte pendeln seither weiter zwischen Mode und Kunst. Sie zelebrieren die Persiflage und die Übertreibung, riesige Kragen, überdimensionale Knöpfe und gewaltige Schleifen.

Die H&M-Kollektion steht nun unter dem Thema Liebe. Alle Frauenkleider sind mit Herzen versehen, die Männerteile mit Amorpfeilen. Mal etwas kitschig mädchenhaft, mal cool damenhaft, mal männlich markant. V&R haben einen kompletten Kleiderschrank entworfen. Von der Unterwäsche bis zu den Schuhen. Jeans, Smoking, Trenchcoat, Cabanjacke, Pullis aus Angora, Hemden, Tops, Cocktailkleider aus Seide. Zum ersten Mal überhaupt wird es bei H&M ein Hochzeitskleid geben. "Wir haben ein Faible für Hochzeitskleider", erklärte Snoeren einem US-Branchenblatt: "Es gibt kein Kleidungsstück, das exklusiver und symbolischer wäre." Diese Exklusivität muss gewahrt werden, weltweit wird es nur tausend Stück geben. Umgerechnet auf 250 Läden macht das vier Stück pro Filiale. Das demokratische Duo wollte den weißen Traum für 99 Euro verkaufen, das war natürlich nicht möglich. 298 Euro soll es nun kosten.

Bei der Werbung wird nicht gespart. TV-Spot und Anzeigen stammen von dem berühmten niederländischen Fotografenpaar Inez Van Lamsweede und Vinoodh Matadin. Details sind noch geheim. Nur eins wird verraten. Das blonde Model Raquel Zimmermannsoll die Braut spielen, ihre beiden Bräutigame werden Viktorund Rolf sein.

"Wenn Haute Couture Mode in ihrer sublimiertesten Form ist, dann ist H&M Mode in ihrer demokratischsten Form", schwärmen die beiden Designer. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und eine Portion Kalkül und Kommerz. Wenn H&M seine Werbe-Maschinerie anwirft, wird vermutlich niemand mehr fragen, wer "Viktor & Rolf" sind.

© SZ vom 7. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: