Missbrauchsfall in Amstetten:DNA-Test beweist Vaterschaft

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Erzwungene Briefe, ein emotionales Wiedersehen und eine schwierige Spurensuche: Im Missbrauchsfall in Österreich sind neue, erschreckende Details bekannt geworden.

Auf einer Pressekonferenz in Amstetten haben die österreichischen Behörden am Dienstagnachmittag über den neuesten Kenntnisstand zum Missbrauchsfall informiert. Es werde weiter alles daran gesetzt, "das Ganze rücksichtslos aufzuklären". Ein erster großer Teilerfolg sei der soeben eingetroffene DANN-Test, "ein unbestechbarer Kommissar unseres Jahrtausends", so Franz Polzer, Leiter des Landeskriminalamtes Niederösterreich.

Weltweite Aufmerksamkeit für ein unglaubliches Verbrechen: Auch bei der zweiten Pressekonferenz in Amstetten waren Reporter aus aller Welt anwesend. (Foto: Foto: Reuters)

Demnach stehe nun fest, dass alle sechs noch lebenden Kinder der Gefangenen Elisabeth F. "eindeutig als leiblichen Vater den heute 73-jährigen Josef F. haben". Es habe sich somit bestätigt, "was wir bereits vermutet haben". Außerdem hätten die DNA-Untersuchungen ergeben, dass Josef F. mehrere Briefe seiner gefangenen Tochter, die deren freiwilliges Verschwinden belegen sollten, angefertigte.

Zuletzt habe sich Josef F. anscheinend erste Vorbereitungen getroffen, um seine Tochter Elisabeth und die drei weiteren eingesperrten Kinder aus dem Keller- Verlies freizulassen. Der 73-Jährige habe einen handschriftlich verfassten Brief vorgelegt, in dem Elisabeth ankündigte, sie wolle mit einem 5-jährigen und 18-jährigen Sohn im Laufe der kommenden Monate womöglich zu ihrer Familie zurückkehren, sagte Polzer.

Die Ermittler gehen laut Polzer davon aus, dass der 73-Jährige seine Tochter gezwungen hat, diesen "regulären Brief mit Briefmarke" zu verfassen. Der Mann habe "nichts ausgelassen, jeden nur denkbaren Versuch unternommen", um seine Verbrechen zu vertuschen.

Derzeit seien die Ermittler dabei, "jeden einzelnen Gegenstand in diesem Verlies zu dokumentieren und festzuhalten". Weitere große Enthüllungen erwarten die Ermittler jedoch nicht. Es habe den Anschein, dass Herr F. mit seiner Doppelsituation sehr beschäftigt gewesen sei und "eine dritte Schiene" äußerst unwahrscheinlich erscheine.

"Keinerlei Verdacht"

Man bemühe sich derzeit vor allem zu klären, wie das Leben der Gefangenen im abgeschotteten Keller möglich gewesen sei, wie die Geburten stattfanden, ob es "vielleicht hilfreiche Hände" gegeben habe oder eine "besondere Situation", die für das Strafmaß bedeutsam sei.

Es sei mit einer "nicht unbeträchtlichen Verfahrensdauer von mehreren Monaten" zu rechnen. Selbst wenn grünes Licht für eine Vernehmung der Opfer gegeben werde, stehe ihnen aufgrund des nahen Verwandschaftsverhältnisses zum Beschuldigten das Recht zu, keine Aussage zu machen, erklärte ein Vertreter der Staatsanwaltschaft.

In Medienberichten war von mehrfachem Verschwinden von Elisabeth F. vor ihrer endgültigen Gefangenschaft die Rede gewesen. Hans-Heinz Lenze, Bezirkshauptmann von Amstetten, erklärte dazu, es sei "nur eine Abgängigkeit" vor dem endgültigen Verschwinden dokumentiert. Als Elisabeth F. im Alter von 18 Jahren spurlos und endgültig verschwand, habe es "keinerlei Verdacht gegeben, dass sie im Keller eingesperrt ist", also auch "keine rechtliche Möglichkeit, Hausdurchsuchungen durchzuführen".

Es sei auch nicht bei jedem vermissten mutmaßlichen Drogenabhängigen möglich, solche Maßnahmen zu erreichen, wie Chefermittler Polzer hinzufügte. Josef F. hatte wiederholt behauptet, seine Tochter sei "abhängig" und lebe bei einer Sekte. Die Ehefrau von Josef F. habe ihrerseits immer wieder betont, sie wisse nicht, wo sich ihre Tochter Elisabeth aufhalte.

Nachdem im Laufe des Tages Berichte über angebliche Vorstrafen des Verdächtigen für Aufsehen sorgten, hieß es bei der Pressekonferenz dazu, der Strafregisterauszug vom 16. Mai 1994 habe ergeben, "dass Josef F. unbescholten sei, ebenso seine Gattin". Woher Informationen der österreichischen Kronen-Zeitung stammten, wonach Josef F. in den siebziger Jahren wegen Vergewaltigung verurteilt wurde, sei nicht einsichtig, so Lenze weiter.

Die Behörden hätten sich keine Versäumnisse vorzuwerfen. Bei jeder "Kindesweglegung" - also jedesmal, wenn Josef F. ein Kind aufnahm, das angeblich von seiner abtrünnigen Tochter auf seiner Türschwelle ausgesetzt wurde - sei die Gendarmerie bzw. Polizei aktiv geworden. Jedes Mal seien Abschlussberichtete angefertigt worden.

Es sei auch gründlich nach der vermissten Elisabeth F. gesucht worden, unter anderem habe die Jugendwohlfahrt Anfragen an die Ausländerzentralregister in Deutschland und der Schweiz abgesandt. Bei der Adoption der drei Kinder durch Josef F. und seine Frau sei der Leumund der Adoptierenden geprüft worden, das Ehepaar sei unbescholten gewesen.

Auf die Frage, warum keine DNA-Proben bei den adoptierten Kindern genommen worden seien, erklärte Lenze, in den 90er Jahren beim ersten Fall habe die Technik "noch in den Kinderschuhen" gesteckt. Außerdem sei eine derartige Analyse eine Aufgabe der Strafrechtspflege gewesen. Zweifel an der Verwandtschaft hätten in keinem Fall bestanden, eine Unterbringung bei Verwandten sei Heimen vorgezogen worden.

Die zuständige Staatsanwältin sei nun damit befasst, die angeblichen Vorstrafen von Josef F. zu überprüfen. Es werde versucht, die Akten auffindig zu machen, "die noch vorhanden sein können", sofern sie nicht nach Ablauf der Aufbewahrungspflicht bereits vernichtet seien.

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Es habe im Laufe der Jahre insgesamt 21 dokumentierte Kontaktaufnahmen mit einer Sozialarbeiterin gegeben, teils persönlich, teils telefonisch. Bei den Treffen sei Josef F. meist nicht anwesend gewesen. Von der Betreuung der Kinder habe man immer einen guten Eindruck gehabt, "die Kinder wirkten gut gefördert und entwickelt". Polzer sagte, es gebe keinerlei Hinweise, dass die Ehefrau von Josef F. von den Vorgängen in ihrem Haus gewusst habe.

Team kümmert sich um Opfer

Berthold Kepplinger vom Landesklinikum Mostviertel Amstetten-Mauer, in dem die Opfer seit dem Wochenende betreut werden, fügte hinzu, es sei erstaunlich in welch "guter Stimmung" ein Treffen zwischen der Großmutter und den Gefangenen am Sonntag vonstatten gegangen sei. Er warnte außerdem, es wäre völlig falsch, jetzt zu viel auf einmal zu wollen und die Patienten zu überfordern.

Ein Team aus Psychiatern, Physiotherapeuten und Logopäden kümmere sich um die Betroffenen. Lernmittel würden bereits jetzt im Klinikum umfassen zur Verfügung gestellt; eines der Mädchen, das oben im Haus aufwuchs, habe bereits jetzt den Wunsch geäußert, wieder zur Schule zu gehen. Der ältere Sohn, der im Keller aufwachsen musste, könne in eingeschränkter Art und Weise Lesen und Schreiben, der 5-Jährige sei dafür noch zu klein.

Über Staatsbürgerschaft, eventuelle Änderungen der Identität und standesamtliche Eintragungen würde in den kommenden Tagen und Wochen im allseitigen Einvernehmen gesprochen werden. "Der Schutz der Betroffenen ist oberste Priorität". Die 19-jährige Tochter, deren Krankheit schließlich zur Aufdeckung des Skandals führte, sei weiter in "kritischem Zustand" und werde künstlich beatmet. Zwar sei im Moment leichte Besserung zu verzeichnen, eine Prognose sei aber nicht möglich.

Mit Bezug auf Fotos, die den Beschuldigten Josef F. angeblich im Thailand-Urlaub zeigen und in Boulevardmedien abgebildet wurden, sagte Polzer, Reisen des Mannes seien nicht Gegenstand der Ermittlungen. Es sei den Gefangenen aufgrund von Vorräten jedoch vermutlich ohne Probleme möglich gewesen, im Falle einer längeren Abwesenheit von Josef F. weiter Essen zuzubereiten.

Martyrium im Zeitraffer

Die Frage, wie ein derartiges Versteckspiel über so viele Jahre möglich war, bleibt weiter ungelöst. "Ein derartiges Verbrechen wäre bis vor wenigen Tagen undenkbar gewesen", räumten die Behördenvertreter erneut ein. Man habe inzwischen auch versucht, "die akustische Situation" zu untersuchen. Doch selbst wenn aber Passanten ein Klopfen oder ähnliches gehört hätten, sei dies auch auf Tätigkeiten der Hausbewohner zurückzuführen gewesen sein können, sagte Polzer.

Die Staatsanwaltschaft rechnet damit, dass die gerichtliche Aufarbeitung des Inzest-Dramas mehrere Monate dauern wird. Es seien voraussichtlich mehrere Gutachten nötig, sagte Staatsanwalt Gerhard Sedlacek. Außerdem sei noch unklar, wann und ob die Opfer aussagen. Der geständige Josef F. habe vor sich vor dem Haftrichter nicht geäußert. Der 73-Jährige sitzt derzeit in Untersuchungshaft.

Bei ihrer bisher einzigen, zwei Stunden dauernden Vernehmung habe die Mutter "im Zeitraffer" ihr 24-jährigen Märtyrium geschildert. Details über das private Leben, Schlafen, Körperpflege etc. seien "höchstpersönlicher, privater Bereich bedauerlicher Menschen", dies solle respektiert und berücksichtigt werden.

Die sechs Geschwister von Elisabeth F., also die Kinder aus der offiziellen Ehe von Josef F., würden ebenfalls psychologisch betreut sowie von einem Rechtsanwalt beraten. "Namensänderungen und Identitätsumgestaltungen" seien auch hier Thema, oberstes Gebot sei "Einvernehmen mit der Familie". Sie seien ebenfalls auf eventuelle Wahrnehmungen seltsamer Vorgänge befragt worden, doch auch ihnen sei nichts aufgefallen und sie hätten "glaubwürdigerweise nichts mit dem Verbrechen zu tun".

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/ihe/jüsc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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