Michel Fourniret:Die vielen Gesichter des Bösen

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Über Wochen gab sich Mädchenmörder Fourniret vor Gericht bestialisch stark, jetzt zeigt er erstmals Emotionen.

Gerd Kröncke

Man ist ja schnell bei der Hand mit solchen Prädikaten: das Verfahren vor dem Schwurgericht in Charlesville-Mézières wird von den französischen Medien schon als der "Prozess des Jahrzehnts" bezeichnet. Auch ist von dem "Monster aus den Ardennen" die Rede, über den da Gericht gehalten wird.

Michel Fourniret: verlässt im nordfranzösischen Charleville-Mézières das Gericht. (Foto: Foto: AFP)

Sieben Menschen hat Michel Fourniret umgebracht, junge Frauen, fast noch Kinder, er hat dies längst gestanden. Nach menschlichem Ermessen wird er wohl, inzwischen ist er 66 Jahre alt, nie wieder frei sein. Mit ihm angeklagt ist seine dritte Ehefrau, Monique Olivier, die ihm so sehr zu Willen war, dass sie ihm fünf seiner Opfer zuführte.

Seit sechs Wochen versucht nun das Gericht unter einem souveränen Vorsitzenden, Fourniret ansatzweise zu verstehen. Er hat gestanden, die Taten sind erwiesen, aber das Böse bleibt unbegreiflich. Es war vor allem so schwer, weil er die meiste Zeit geschwiegen hat.

Und weder das Gericht, noch die Angehörigen der Opfer, die als Zeugen und Nebenkläger auftreten, wollten zulassen, dass der Mörder der Kinder das Verfahren bestimmte. Fourniret bestand auf Ausschluss der Öffentlichkeit, das ist ihm verwehrt worden. Er hielt schon am ersten Prozesstag ein Schild hoch: "Entweder Ausschluss oder Mund geschlossen." Diese Woche hat er erstmals Emotionen gezeigt, hat sein Schweigen gebrochen. Der Mörder weinte.

Tränen hinter Panzerglas

Denn diese Woche hat sein Bruder ausgesagt. Ein weißhaariger Herr, der mit seinen 78 Jahren professorale Würde ausstrahlt. Er vertritt eine Art Jekyll & Hyde-These, nach der sein Bruder aus zwei Persönlichkeiten besteht. "Eines Tages wird er sie zusammenfügen müssen, und dann wird er sich entweder umbringen oder er wird verrückt werden", sagt der Zeuge André, der den Namen Fourniret abgelegt hat.

Der alte Mann schont den jüngeren Bruder auf der Anklagebank hinter Panzerglas keinen Moment. Auch nicht die unselige Mitangeklagte, die sich als Werkzeug und Mittäterin hergab. "Indem er in Gegenwart eines anderen tötete", sagt der Bruder über den Bruder, "wollte er seine Allmacht zeigen". Und trotzdem, bei aller Monstrosität seiner Taten, sagt der Ältere, "er hört nicht auf, mein Bruder zu sein".

Auch der Weißhaarige leidet unter den Taten. Er bemüht den Dichter Rimbaud, der in Charlesville geboren wurde. Der kannte sich aus in den Abgründen menschlichen Verhaltens. "Aber", und da wendet er sich an die Nebenkläger, die Verwandten der Opfer, "das Unglück, das mich trifft, ist nichts, gemessen an dem, was Ihnen angetan wurde".

Lesen Sie weiter: wie der Bruder Fourniret eine menschliche Reaktion abtrotzt.

Dem alten Mann gelingt es, Fourniret eine menschliche Reaktion abzutrotzen. "Mach endlich den Mund auf", mahnt der Bruder, "noch ist es Zeit". Fourniret, schluchzend: "Ich kann nicht." So hatte das Gericht den Mann, der sich so bestialisch stark gibt, noch nicht erlebt. Fourniret, der Wochen geschwiegen hatte, sprach plötzlich.

Er könne nicht um Verzeihung bitten für etwas, das unverzeihlich sei. Bis dahin erschien der Prozess gegen Michel Fourniret vor allem als eine Genugtuung für die seit Jahren leidenden Angehörigen. Ein Vater wollte dem mutmaßlichen Mörder seiner Tochter in die Augen sehen. Er stand vor ihm und Fourniret hielt dem Blick nicht stand. "Schauen Sie mir in die Augen, machen Sie sie auf", sagte der Vater, "Sie hatten sie auch auf, als Sie meine Tochter von hinten mit einer Schnur erdrosselt haben."

Unter normalen Umständen wäre manches Mal tatsächlich hinter verschlossenen Türen verhandelt worden, vielleicht hätte Fourniret sogar gesprochen. Aber Gericht und Nebenkläger haben nie erwogen, die Öffentlichkeit auszuschließen, weil sie ihn nicht den Gang des Verfahrens bestimmen lassen wollten.

Dabei gibt es, auch aus seinem Munde, hinreichend Tatschilderungen. Kaum hoch genug kann die Professionalität jenes belgischen Kommissars eingeschätzt werden, der Fourniret mit unendlicher Geduld dazu brachte, nicht nur zu gestehen, sondern auch, vor einer protokollierenden Kamera, Einzelheiten preiszugeben.

Ohne Aussicht auf Freiheit

Seine Frau, die Komplizin des Bösen, war sogar noch hochschwanger ihrem Mann zu Willen. Monique Olivier hat sich die Augen leergeweint, aber die Familien glauben nicht an ihre Reue. "Sie weint nur über sich selbst", sagte die Mutter, deren Tochter Fabienne mit 17 ermordet wurde. "Sie hat unsere Tochter entführt, als sie selbst im achten Monat schwanger war". Gerade die Schwangerschaft flößte dem Opfer besonderes Vertrauen ein.

In seiner Perversion wollte Fourniret Jungfrauen haben, also hat sie manchmal sogar die Jungfräulichkeit eines Opfers untersucht. Eines der Mädchen, die 13-jährige Mananya, hatte sich bis zu ihrem Tode geweigert, ihrem Peiniger die Worte vorzusprechen, zu denen er sie zwingen wollte. "Monsieur", sollte sie sagen, "würden Sie wohl mit mir ..."

Das Kind war mit seiner Mutter aus Thailand nach Frankreich gekommen und ihr Stiefvater sagte vor Gericht aus. Er wandte sich dem Angeklagten zu: "Bleiben Sie bitte sitzen, das entspricht Ihrer wahren Größe. Ja, und danke, dass Sie hier geschwiegen haben. Dass Sie der Grausamkeit Ihrer Taten nicht die Grausamkeit Ihrer Worte hinzugefügt haben."

Sieben Kinder hat Michel Fournirait nach eigenem Eingeständnis auf dem Gewissen. Nicht einmal seine eigenen Anwälte hoffen darauf, dass das Gericht ein Urteil finden könnte, das Fourniret noch irgendwann eine Aussicht auf Freiheit lässt.

Und doch scheint der Mann, der seit Anfang des Prozesses seinen Zynismus gegenüber den toten Opfern und den lebenden Verwandten auf die Spitze trieb, nicht mehr ganz derselbe. Als am letzten Verhandlungstag dieser Woche seine beiden ersten Ehefrauen nacheinander in den Zeugenstand treten - zwei Frauen, die sich nicht dominieren ließen und ihn verlassen haben - ist sein Widerstand gebrochen. Sie reden ihm ins Gewissen, sich endlich zu seinen Taten zu äußern.

Michel Fourniret bricht in Tränen aus. Er will reden, will sich vor den Familien der Opfer erklären. Das Gericht unterbricht die Verhandlung für fünf Tage.

© SZ vom 09.05.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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