Mexiko:Ein Drogenkrieg wird zur Staatskrise

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Grausig entstellte Tote auf den Straßen Mexikos: Rivalisierende Drogenkartelle kämpfen um die Kontrolle der Routen. Die Regierung schaut machtlos zu.

Peter Burghardt

Ein Sonntag in Mexikos Drogenkrieg mündet zum Beispiel in diese Bilanz: Allein aus dem Norden der Republik wurden binnen weniger Stunden elf Morde gemeldet und ein Attentat, alle in Verbindung mit der Drogenmafia. Im Westen von Ciudad Juárez im besonders gewalttätigen Bundesstaat Chihuahua fand man auf einer Ranch vier tote Männer und 51 Patronenhülsen aus Sturmgewehren. Vier weitere Leichen wurden in einem durchlöcherten Ford Taunus im Süden der Stadt entdeckt.

Mitglieder einer Drogenbande werden in Ciudad Juárez abgeführt - oftmals steht die Polizei der Gewalt der rivalisierenden Banden hilflos gegenüber. (Foto: Foto: Reuters)

In Durango starben zwei Auftragskiller in ihrem Geländewagen, als sie offenbar Handgranaten in das Fahrzeug von Rivalen werfen wollten. In der Provinzzentrale Chihuahua entkam der Gouverneur José Reyes Baeza einem Anschlag, bei der Schießerei wurde sein Leibwächter getötet. Und der Polizeichef von Ciudad Juárez, Roberto Orduña, hatte seinen Dienst schon am Freitag quittiert.

Damit beugte er sich den Drohungen. "Wenn der Polizeichef von Ciudad Juárez nicht auf sein Amt verzichtet, werden wir alle 48 Stunden einen Beamten umbringen", hatten Rauschgiftbanden am Mittwoch gedroht. Ein Polizist und ein Gefängniswärter wurden daraufhin erschossen, täglich zählt die Stadt grausig entstellte Tote.

Wie das organisierte Verbrechen die Polizei kontrolliert

Am Ende der Woche erklärte Orduña dann seine Demission. "Ich werde nicht erlauben, dass weiterhin Männer ihr Leben verlieren, weil sie die Bürger verteidigen", sagte er. Der Bürgermeister ernannte einen Nachfolger und verkündete: "Das organisierte Verbrechen will die Polizei kontrollieren, aber das werden wir nicht zulassen." Doch genau das ist in Ciudad Juárez und an anderen Orten geschehen. Kriminelle unterwandern Staatsgewalt, Justiz und Politik und richten ein Gemetzel an, das sich zur Staatskrise auswächst.

Im Jahr 2008 fielen dieser Schlacht um Geld und Macht im südlichen Nachbarland der USA etwa 5600 Menschen zum Opfer. In den ersten 51 Tagen des Jahres 2009 waren es bereits mehr als 1000, durchschnittlich 19 am Tag. Die Zeitung El Universal aktualisiert die schaurige Statistik wie den fallenden Kurs der Staatswährung Peso.

Die Täter werden nur "Narcos" genannt, Schergen der Drogenkartelle. Viele stammen samt ihrer Waffen aus Militär und Polizei, manche aus Elitetruppen - die Narcos zahlen ein Vielfaches der üblichen Monatslöhne von umgerechnet wenig mehr als 300 Euro. Die meisten Attacken bucht die mexikanische Staatsanwaltschaft als Racheakte rivalisierender Banden ab und untersucht Details gar nicht mehr.

Es bekriegen sich die Privatarmeen der kriminellen Organisationen von Tijuana, Ciudad Juárez, Golf von Mexiko und Sinaloa, die sogenannten Zetas, La Familia und andere. Manche miteinander, manche gegeneinander. Viele von ihnen gingen aus Familienunternehmen hervor, den Guzmans, Beltráns, Leyvas, Carrillos, Fuentes.

Lesen Sie auf Seite 2, welche Länder die wichtigsten Abnehmer geschmuggelter Rauschmittel sind

Es geht um die Routen von Kokain und Marihuana, vor allem von Kolumbien Richtung USA. Es geht auch um Binnenmärkte. Der konservative Präsident Felipe Calderón schickt die Armee auf die Straßen der Brennpunkte, mehr als 30.000 Soldaten patrouillieren in Frontstädten wie Ciudad Juárez, Tijuana, Reynosa, Nuevo Laredo und Culiacán.

Gelegentlich werden Ware und Waffen sichergestellt und Chefs der Gangs verhaftet wie kürzlich ein Statthalter von Beltrán Leyva. Der Festgenommene nennt sich Tony la Mentira, Tony der Lügner. Doch Köpfe wie Joaquín "Chapo" Gúzman, Befehlshaber des Sinaloa-Clans, flüchten mühelos aus Gefängnissen und werden nicht mehr erwischt.

Der Wert des Lebens - in Pesos

Unbeteiligte betreffen die Feuergefechte und Meuchelmorde in der Regel bloß an den gefährlichsten Orten entlang der US-Grenze. Oder wenn Passanten zufällig dazwischen geraten wie bei der Granatenexplosion im September 2008 mitten in der Touristenstadt Morelia. Doch längst hat eine Welle der Gewalt auch Regionen wie Michoacán, Guerrero, der Bundesstaat Mexiko oder Mexiko-Stadt erfasst. Die Entführungen und Erpressungen nehmen zu.

"Auf wie viel schätzt du den Wert deines Lebens?" fragt eine anonyme Stimme am Telefon und verlangt eine Sofortzahlung von 50.000 Pesos, 2600 Euro. Der Sohn eines bekannten Unternehmers wurde nach wochenlangen Verhandlungen mit seinen Kidnappern über wesentlich höhere Summen tot aufgefunden, Hunderttausende Demonstranten protestierten danach gegen die Unsicherheit. Sogar der Ruf nach der Todesstrafe wird laut. Laut einer Umfrage glauben 63 Prozent der Mexikaner, dass ihr Staatschef den Horror nicht in den Griff bekommt.

Auch Washington ist beunruhigt. US-Funktionäre warnen vor Reisen in einige Gegenden Mexikos, mit dem seit 1994 ein Freihandelsabkommen besteht. Die Drogenkriminalität im Süden gehört zu den größten Problemen der Regierung Barack Obamas in der Umgebung. Im Rahmen des Plan Mérida will das State Department Mexikos Regierung milliardenschwere Militärhilfe leisten, doch das Konzept hat schon in Kolumbien versagt. Obama und Hillary Clinton werden umdenken müssen.

Die USA und auch Europa sind ja wesentlich an dem Drama jenseits des Rio Grande beteiligt. US-Amerikaner und Europäer sind die wichtigsten Abnehmer geschmuggelter Rauschmittel, und viele Maschinenpistolen mexikanischer Todesschwadronen stammen aus US-Läden.

Vorläufig setzt das Geschäft so viel Geld um, dass die Narcos störenden Polizisten, Politikern oder Richtern zwei Möglichkeiten geben: Plata o plomo. Geld oder Kugel.

© SZ vom 24.02.2009/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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