Marco aus Uelzen:Ein Urteil, viele Unzufriedene

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Der Uelzener Schüler Marco ist in der Türkei wegen sexuellen Missbrauchs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Zu einem Ende kommt seine Geschichte damit nicht.

Kai Strittmatter, Istanbul

Ein Urteil. Und noch immer kein Ende. So sieht Marco Weiss sich selbst: Ein ganz normaler Junge, der unbeschwert aufwuchs und noch im Frühjahr 2007 dachte, sein Leben werde unbeschwert weitergehen. "Welch ein Irrtum!", wird er eineinhalb Jahre später schreiben: "Mein Foto ist um die Welt gegangen. Der Spiegel hat eine Titelgeschichte über mich gedruckt. Ich habe einen diplomatischen Konflikt zwischen Deutschland und der Türkei ausgelöst, habe die Kanzlerin und ihren Vizekanzler beschäftigt, habe Millionen Deutsche mit meinem Schicksal berührt."

Und es wird weiter Schlagzeilen geben. Denn so sehen die türkischen Richter den heute 19jährigen: Schuldig des sexuellen Missbrauchs einer minderjährigen Britin. Am Mittwoch fällte das Gericht in Antalya sein Urteil: Zwei Jahre, zwei Monaten und 20 Tagen Haft. Sie setzten die Strafe zur Bewährung aus. Die Richter urteilten, Marco Weiss habe in den Osterferien 2007 die damals 13jährige Britin Charlotte sexuell missbraucht. Die beiden hatten sich in der Disco im Urlaubsort Side kennengelernt. Marco Weiss sagt, sie habe sich ihm gegenüber als 15jährige ausgegeben, auf ihrem Hotelzimmer sei man sich näher gekommen. Die Anzeige erstattete später Charlottes Mutter. In der Aussage Charlottes hieß es, Marco sei zudringlich geworden, während sie geschlafen habe.

Der damals 17jährige Deutsche besteht bis heute darauf, es sei lediglich zu einem einvernehmlichen Austausch von Zärtlichkeiten gekommen. Mit ihrem Urteil blieben die Richter zwar weit unter den von der Anklage verlangten acht Jahren Freiheitsstrafe, die türkischen Verteidiger von Marco Weiss reagierten dennoch enttäuscht. Sie kündigten an, in Revision zu gehen, sie hoffen noch immer auf einen Freispruch. Ein parallel laufendes Verfahren gegen den Schüler in Deutschland war schon im Mai eingestellt worden. Damals erklärte die zuständige Staatsanwaltschaft in Lüneburg, der Verdacht des sexuellen Missbrauchs habe sich nicht bestätigt. Weder Marco Weiss noch die Britin Charlotte wohnten der Verhandlung in Antalya bei.

Noch Jungfrau

Ihren Optimismus hatten die Verteidiger auch auf ein Gutachten des Rechtsmedizinischen Institutes des Justizministeriums gegründet. Das Gutachten, hieß es im letzten Jahr, räume den Verdacht auf Vergewaltigung endgültig aus. Schon der Klinikarzt, der Charlotte in der fraglichen Nacht untersucht hatte, hatte im August 2007 ausgesagt, das Mädchen sei noch Jungfrau. Der Arzt berichtete allerdings von Spermaspuren auf der Haut des Mädchens.

Der Fall Marco Weiss hatte hohe Wellen geschlagen und kurzzeitig zu einer ernsten Verstimmung im deutsch-türkischen Verhältnis geführt. Vor allem der langen Dauer der Untersuchungshaft und der Haftbedingungen wegen: Marco Weiss teilte sich eine Zelle, eine Dusche und eine Toilette mit 30 Mithäftlingen. Die immer lauter werdenden Forderungen deutscher Politiker, den Schüler sofort aus der Haft zu entlassen, verärgerten viele Politiker und Juristen in der Türkei: Sie erinnerten daran, dass gerade die EU der Türkei gegenüber immer wieder auf die Unabhängigkeit der Justiz poche und jede Einmischung der Politik in die Justiz verurteile.

Es ist noch lange nicht vorbei

Erst kurz vor Weihnachten 2007, nach fast 250 Tagen in Untersuchungshaft durfte der damals 17jährige seine Zelle erstmals verlassen und heim nach Deutschland reisen. Wenig später veröffentlichte er ein Buch, das sich ein paar Wochen in den Bestsellerlisten hielt: "Meine 247 Tage im türkischen Knast". Seine deutschen Anwälte legten nach Erscheinen des Buches ihr Mandat nieder, Rechtsanwalt Michael Nagel klagte über "unverantwortliche Beratung von Seiten Dritter" und schloss eine negative Auswirkung auf das laufende Verfahren nicht aus.

Nicht nur Marcos Verteidiger sind mit dem Urteil nun unzufrieden. Auch Charlottes Anwalt Ömer Aycan sagte, er wolle in Revision gehen. Aycan fordert zehn Jahre Haft. Es ist noch lange nicht vorbei.

© SZ vom 17.09.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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