"Madrid braucht Ruhe":Madrid - Laute Nacht, eilige Nacht

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Hupkonzerte, Baustellen, Saufgelage und Müllabfuhr zur Geisterstunde-warum in Madrid nur überleben kann, wer eines bei sich hat: Oropax.

Von Peter Burghardt

Madrid, im Dezember - Der Meeresgott war auch schon an der Front, vergeblich. Monatelang legte Neptun, dessen Marmorfigur einen wichtigen Madrider Brunnen schmückt, auf Fotomontagen den Zeigefinger an den Mund.

Madrid ist eine Stadt, die niemals schläft. (Foto: Foto: AFP)

Leiser wurde es deshalb nicht. Nun hat die Verwaltung der spanischen Hauptstadt ein Baby in den Kampf geschickt. Auf Leuchttafeln, die gewöhnlich für Ausstellungen werben, liegt das Kleinkind selig schlafend in der Wiege-der Schnuller steckt allerdings nicht im Mund, sondern im linken Ohr.

Wie Oropax, das vermutlich die Eltern benutzen. "Madrid braucht Ruhe", steht auf dem Foto und dazu in Großbuchstaben, der Dramatik angemessen: "NEIN ZUR AKUSTISCHEN KONTAMINATION." Man möge bitte "an die anderen denken" und die Lautstärke senken. Damit "Madrid eine stillere Stadt wird und wir uns alle ausruhen können".

Das ist ein schöner aber unrealistischer Wunsch. Drei Viertel der drei Millionen Einwohner seien Werten ausgesetzt, die das von der Weltgesundheitsorganisation festgesetzte Maximum von 65 Dezibel überschritten, schätzt die sozialistische Opposition im Rathaus.

"Madrid besitzt den traurigen Titel, die lauteste Stadt Europas und eine der lautesten Städte der Welt zu sein", glaubt Fraktionsführerin Trinidad Jimenez.

Dieses Prädikat beanspruchen zwar auch Athen oder Istanbul für sich, doch zur Spitzengruppe gehört Spaniens Metropole bestimmt. Inzwischen konstatieren Experten, dass die schlimmste Umweltverschmutzung der Metropole ihr Lärm sei, dabei sind die Abgase ebenfalls beträchtlich.

Der Krawall entsteht zu den kuriosesten Tageszeiten und überwindet auf seinem Weg an die Trommelfelle Hindernisse wie Fensterscheiben mühelos.

Mehr Kneipen als in ganz Norwegen

Ein legendärer Ursprung sind die Nächte, damit hat sich Madrid ja Weltruhm erworben. Der Liedermacher Joaquin Sabina singt, allein um die Plaza Anton Martin gebe es mehr Kneipen als in ganz Norwegen.

Insgesamt sind es ungefähr 5000, sie werden vor allem von Donnerstag bis Sonntag von einer Völkerwanderung heimgesucht, dazu bilden sich noch gegen vier Uhr morgens sagenhafte Staus mit Hupkonzerten.

Nach Ende der öden Franco-Diktatur und in den Anfangszeiten des Filmemachers Pedro Almodóvar nannte sich die Freizeitentwicklung "Movida": Bewegung.

Inzwischen ist längst die "Marcha" daraus geworden: der Marsch, was eine Art Extremsport ist, den am Wochenende Hunderttausende betreiben. An einschlägigen Plätzen wie der Plaza Chueca hissen Mieter Protestplakate wie weiße Fahnen, sofern sie nicht frustriert das Weite suchen.

Gegen die wildesten Saufgelage (nach großen Flaschen "Botellon" genannt) erfanden die Ordnungshüter vor zwei Jahren eine Art Prohibitions-Gesetz, um Anwohner zu beruhigen und Vergiftungen vorzubeugen.

Schatzsuche?

Jenseits von Kneipen und Restaurants darf demnach ganztägig kein Alkohol getrunken-und nach 22 Uhr nicht verkauft werden. Es drohen Geldbußen, auch auffällige Lokalbesitzer werden bestraft.

Die Betreiber der populären Freiluftbar Atenas unter dem Königspalast mussten im September 120.000 Euro bezahlen und die Musik abstellen - "ein Exempel", hieß es aus der Stadtverwaltung.

Der liberalkonservative Bürgermeister ist aber auch kein Vorbild, denn andererseits fördert er das Chaos noch: Gerade wird wieder ein Rekord aufgestellt, was die Zahl der Baustellen in der Stadt betrifft, woran Baulöwen eine Menge Geld verdienen, Florentino Perez zum Beispiel, Präsident von Real Madrid.

Bestimmt suche man im Madrider Untergrund nach einem Schatz, hatte der Schauspieler Dany de Vito bei einem Besuch vermutet, beeindruckt von den vielen Gräben. Die Müllabfuhr wiederum rückt bevorzugt weit nach der Geisterstunde aus und verstopft Nebenstraßen, wobei tagsüber gar kein Durchkommen wäre, weil sich viele Autobesitzer partout nicht in die Metro setzen.

Ein Knattern, ein Rattern

Nur zögerlich werden neuralgische Stellen für den Verkehr geschlossen - zuletzt das so genannte Literatenviertel, in dem Miguel de Cervantes heute bestimmt keinen Don Quijote mehr schreiben könnte. Und über den Dächern, unter denen sich die Leute anschreien, rattert ständig der Polizeihubschrauber, natürlich am liebsten nachts.

Madrid sei eine der ungemütlichsten Städte des Kontinents, schimpft ein Architekt in einem Leserbrief an die Zeitung El Pais. "Ein immenses Nacht-Kasino." Die Kneipiers wollen dafür nicht geradestehen. Gegen weitere Lärmschutz-Verordnungen haben auch sie ein Logo entworfen: einen Kopfhörer mit abgeschnittenen Kabel.

© SZ vom 13.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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