Mode:London Fashion Week: Messies im kalten Polar

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"Menschen, die zurückgezogen leben und Dinge horten" - so erklärt Designer Christopher Kane, weshalb seine Models Kopftücher aus Plastik tragen. Aber kann es solche Waghalsigkeiten noch geben, wenn die Kollektion gleich nach der Show zum Verkauf angeboten wird? (Foto: Neil Hall/Reuters)

Während der Londoner Modewoche dreht sich alles um "See now, buy now"-Kollektionen, die sofort zu haben sind. Nicht alle Designer wollen da mitmachen.

Von Dennis Braatz

Es ist ein stürmischer Nachmittag in London, als der Milliardär und Mode-Unternehmer François-Henri Pinault zur Show von Christopher Kane einläuft. Die Publikumsränge sind bereits knallvoll, für Society-Fotos ist keine Zeit mehr. Drei Minuten Smalltalk mit der First Lady Samantha Cameron und Vogue-Chefin Anna Wintour lässt er sich aber nicht nehmen, mitten auf dem Laufsteg, wohlbemerkt.

Die Gäste blicken gespannt auf diese Szene: Ausgerechnet er, der Kering-Boss, Chef also von Bottega Veneta über Gucci bis Saint Laurent und auch von Christopher Kane, hat erst vor ein paar Tagen erklärt, bei der großen Fashion-Revolution nicht mitmachen zu wollen; dass vor allem Guccis Kollektionen (die derzeit begehrtesten der Welt) nicht direkt nach der Show verkauft werden, sondern wie gehabt erst sechs Monate später. Wer lange warten muss, lautet seine Logik, verspüre ein größeres "Verlangen" auf die Produkte.

Das Umdenken angezettelt hatte vor ein paar Wochen Burberry. Ab September will man dort nur noch "See now, buy now"-Kollektionen vorstellen, weil heutzutage nun mal alles schneller gehen muss als früher, so will es auch der Kunde. Immer mehr Designer springen seitdem auf den Zug auf, Tom Ford, Paul Smith und Tommy Hilfiger zum Beispiel. Die meisten von ihnen sitzen in Großbritannien. Klar, dass man da auf der am Dienstag zu Ende gegangenen London Fashion Week nicht nur die Zukunft der Branche, sondern auch sich selbst gefeiert hat. Blöd nur, dass ausgerechnet Pinaults Schützling Christopher Kane die stärkste Kollektion von allen ablieferte.

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Asymmetrisch geschnittene Kleider und Röcke aus schwarzer Seide. Darauf, wahllos verstreut, baumelnde Schmuckstein-Anhänger. An den Säumen sitzen Federborten. Hier und da eine rote Blumenbrosche und Kopftücher aus Plastik. Das klingt so verschroben wie Kanes Thema: "Menschen, die zurückgezogen leben und Dinge horten", wie er backstage erläutert. Messies also, zum Soundtrack übrigens von Grauzone ("Ich möchte ein Eisbär sein, im kalten Polar"). Das ward niemals zuvor auf dem Laufsteg oder im Geschäft gesehen, und genau das macht es so faszinierend. Wenn aber bald jede Kollektion direkt nach der Show fertig produziert zum Verkauf angeboten wird, dann wird es solche Kunstgriffe vielleicht nicht mehr geben. Weil man nur noch das macht, was ohnehin schon immer gut lief.

Nicht mal Naomi Campbell löst Blitzlichtgewitter aus

So ist es jetzt bei Burberry, wo selbst Stargast Naomi Campbell und Mädchenschwarm Nicholas Hoult kein richtiges Blitzlichtgewitter mehr auslösen können. Einige Teile der neuen Kollektion sind bereits erhältlich, ein kleiner Testlauf für September sozusagen. Die Models tragen die Haare schräg im Gesicht, Boots und kleine Schultertaschen aus Python- und Glattleder-Patchwork. Es gibt überraschend junge Glitzerkleidchen, darüber aber so ziemlich alles an Outerwear, was das Archiv zu bieten hat: weite und enge Parkas, karierte Wollmäntel, wattierte und nicht wattierte Lammlederjacken, Military-Zweireiher und einen Pelzmantel. Hier soll also wirklich jede Frau was für den nächsten Winter finden.

Ähnlich ist es bei Erdem, dem Blumenprint-Künstler, der seine knöchel- und wadenlangen Kleider mit oder ohne Rüschen immer weniger weiterentwickelt, weil sie sich so immer verkaufen. Mary Katrantzous Entwürfe sind zwar jedes Mal anders bunt und detailliert, am Ende stecken aber jede Saison Patches auf hauchzarter Spitze und ein hellblaues Hemd im Bleistiftrock.

Modewochen sind Seismografen ihrer Zeit. Das sah man in London nicht nur daran, dass viele Designer den Ausstieg vom alten Schauen- und Kollektionssystem angezettelt haben und immer weniger riskieren wollen. In der ganzen Stadt, in den Pubs und auf den Titelseiten der Zeitungen geht es gerade um den "Brexit". Noch vier Monate, dann stimmen die Briten darüber ab, ob ihr Königreich die Europäische Union verlassen soll. Das passte für viele Stylisten natürlich zusammen, vor allem, weil die hiesige Modebranche selten so selbstbewusst aufgetreten ist. Ihre Botschaft: Wir haben es mit unseren Designern endlich dahin geschafft, wo Italien und Frankreich schon lange sind. Jetzt schaffen wir's auch allein.

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Schließlich ist neben Victoria Beckham auch Alexander McQueen nach über 15 Jahren in Paris zurück an der Themse. Obgleich aus einem rein praktischen Grund. Weil die McQueen-Designerin Sarah Burton in wenigen Tagen ihr drittes Kind bekommt, wollte sie nicht mehr reisen. Egal, für London sollte es der wichtigste Fashion-Moment seit Langem werden: Mäntel und Kleider mit Aufnähern in Form von Uhren, Schmetterlingen und Einhörnern, schwarze Lederkleider und Bondage-Elemente. Supertransparente Roben, bestickt mit Pailletten und Blumen. Das alles ist zwar nicht brandneu, aber keine andere Kollektion ist dramaturgisch so gut aufgebaut und handwerklich so perfekt gemacht wie diese. Allerdings gilt auch hier mal wieder, dass die Kollektion niemals so fantastisch ausgesehen hätte, wenn sie schon am Morgen nach der Show den Härtetest am Kunden hätte bestehen müssen. McQueen gehört übrigens ebenfalls zu Pinaults Kering-Konzern.

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Von Dennis Braatz

Am Ende bringt es die Show von Mulberry am besten auf den Punkt. Das Label ist eigentlich spezialisiert auf Taschen. In den letzten zwei Jahren hat ein neuer Kreativdirektor namens Johnny Coca den Relaunch der Laufsteg-Kollektion vorbereitet, eine moderne Variante des Brit-Chic. Gezeigt werden viel tragbare Outerwear, Glitzer und Blumenkleider. Es gibt aber auch kurze Lederkleider, supertransparente Roben und Schmucksteine. "Ich wollte möglichst viele britische Einflüsse in der Kollektion vereinen, Coolness und Exzentrik", so Coca. So richtig wollen sie zusammen nur keinen modernen Brit-Chic ergeben. Vielleicht braucht der neue Kreativdirektor einfach noch etwas Zeit, um sich zu finden. So ist das gerade auch mit der Londoner Mode.

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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