Live aus der Frittenbude:Ernst wie Pommes

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Wenn Olli Dittrich Bademantel und Schlappen anlegt, wird er zu Dittsche aus der kleinen Welt. Dann hängt er bei Pommesbrater Ingo rum, mit Schildkröte, der nur starrt. Und sie reden über dies und das. Ausgezeichnet. Beim WDR.

Von Hans Hoff

Wenn Olli Dittrich über seinen Beruf redet, dann formuliert er leicht Lebensanweisungen, die jeder Medienschaffende gerne unterschreibt. "Man muss den Leuten die Wahrheit zurückgeben", sagt der Schauspieler und: "Man muss den Dingen Platz lassen."

Ditsche in Bademantel, Unterhemd und Schluppen, Pommesbrater Ingo links und Schildkröte rechts. (Foto: Foto: WDR)

Das klingt wie tausend Mal gesagt oder aus dem Grundwortschatz eines gewieften Fernsehmanns abgeschrieben. Es gibt nur einen gravierenden Unterschied: Olli Dittrich meint das wirklich ernst. Er ist eine jener seltenen Gestalten, die das, was sie tun, aus vollem Herzen tun, die es schaffen, viel von dem, was das Geschäft mit den bunten Bildern prägt, auszublenden.

Dittrich verfügt nicht erst seit seinen erfolgreichen Tagen als Komiker bei RTL-Samstag-Nacht über die Gabe, in Figuren aufzugehen, seine eigene Persönlichkeit für die Zeit aufzulösen, in der er ein anderer ist.

Man hat das sehr schön gesehen bei verschiedenen Blind Date-Folgen, jenem telegenen Improvisationstheater, das nebenbei mehrfach die guten Seiten der Anke Engelke zeigte und zu Recht mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde.

Leider kann der Fortbestand von Blind Date beim ZDF als keineswegs gesichert angesehen werden. "Da weht uns gerade ein sehr komischer Wind entgegen", klagt Dittrich, und er klingt dabei ein bisschen einsam. Und ratlos. Wie einer, der eine Katastrophe auf sich zukommen sieht und nicht weiß, wie er reagieren soll.

Der steht dann einfach da, kann es nicht begreifen, und während er noch denkt, wird er überrollt. Es passt dazu, wenn sich Dittrich lebenstechnisch in rauen Gewässern verortet: "Ich muss immer kämpfen. Ich habe noch nie etwas geschenkt bekommen."

Da fügt es sich gut, dass Dittrichs andere Herzensangelegenheit gerade zu neuer Blüte heranreift. Sein schluffiger Antiheld Dittsche hat es beim WDR nicht nur in die nun beginnende zweite Staffel mit 26 versprochenen Folgen geschafft, er kommt jetzt sogar live auf den Sender.

Nicht "on tape", sicherheitshalber vorher ein bisschen geschnitten wie allerorten üblich. Nein, richtig live, jeden Sonntagabend vor Zimmer frei darf Dittsche ran und in Echtzeit jene Hamburger Pommesbude betreten, in der schon der Garküchenwart Ingo seiner harrt, mit dem sich dann ziemlich abstruse Dialoge über die Unmöglichkeit des Seins entspinnen.

Meist trägt Dittsche Bademantel überm Unterhemd und Schluppen. Dittsche ist ein Prolet, ein schüchterner zwar, aber letztlich doch ein Prolet. Er weiß eigentlich kaum etwas, hat aber das, was er als Wissen deklariert, zur Weisheit stilisiert, die er voller Inbrunst über die Theke schleudert.

Dittsche weiß halt Bescheid, weil er wahrscheinlich RTL 2 schaut und die Bild-Zeitung liest. Das sind die Quellen seiner Wahrheit, und dementsprechend fällt in der Regel sein Rückblick auf die wichtigen Ereignisse der vergangenen Woche aus.

"Solche Leute haben immer Informationen, die sonst niemand hat", sagt Dittrich über seine Figur, die inzwischen viele lieben, die gerade für den deutschen Fernsehpreis nominiert wurde, die aber manche auch hassen, weil sie glauben, einen wie Dittsche könne es im richtigen Leben gar nicht geben. Das fordert Dittrich allenfalls ein Achselzucken ab. "Man muss Flagge zeigen", sagt er und beruft sich auf echte Dittsches, die ihm die nötige Authentizität bescheinigt haben: "Die Leute erkennen sich da wirklich wieder."

Steht eine neue Sendung an, kann sich das WDR-Team um Dittrich immer auf eine - wohl eher unfreiwillige - Zulieferung stützen. Die ist dafür sogar umsonst: "Die Bild bietet kostenfrei die Redaktion", sagt der Hauptdarsteller. "Die bereiten das sehr schön für uns vor." Er weidet aus, was auf dem Boulevard an Dreck hinterlassen wurde.

In erster Linie verlässt er sich aber auf ein kleines eingeschworenes Team von Dittsche-Verstehern, das aus dem Dreck die richtigen Themen heraus filtert. "Die haben begriffen, wie Dittsche denkt", sagt er und hat solche, die meinten, sie müssten alles auf Pointe setzen, erst gar nicht beteiligt: "Man kann da niemanden gebrauchen, der Gags schreibt."

Dass Dittsche im Fernsehen so schön trist wirkt, hat natürlich nicht nur mit der unterschwelligen Traurigkeit des Protagonisten, sondern auch mit einem technischen Trick zu tun. "Das kann nicht Hochglanzfernsehen sein", sagt Dittrich, der bewusst so viel Farbe rausziehen lässt, dass nun eine gewisse DDR-Secam-Tristesse die Folge ist. In der hocken dann er, der Pommesbrater Ingo und Schildkröte - ein Dicker, der immer nur ins Nirgendwo starrt. Und sie reden über dies und das. Manchmal mehr dies, manchmal mehr das.

In solchen Momenten ist Olli Dittrich nicht bei sich, da ist er Dittsche, vom Herz bis zu den Füßen. "Wenn ich in der Figur bin, schalte ich mich restlos aus", sagt er, und man spürt beim Erzählen jene Freude, die ihn seinem Alter Ego so sehr verfallen lässt. "Ich habe die Unbekümmertheit nie verloren", sagt er, um dann aber nachzusetzen: "Höchstens mal als Außenreporter bei Wetten, dass...?". Das waren Momente, in die er nicht passte.

Oft Klamauk-Veranstaltungen, nach denen er sich erst wieder finden musste als Künstler. Die große Show ist nicht sein Ding. Ihm gehört die kleine Welt, das Zwischenmenschliche, die soziale Miniatur, der Dittsche eben.

Dittsche - Das wirklich wahre Leben, WDR, Sonntag, 22.30 Uhr.

© SZ vom 11./12.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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