Liebesgeschichte (12):Fahrt mit Zuschlag

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Ein Taxameter erinnert im Regal an die erste gemeinsame Fahrt. (Foto: privat)

Das Taxameter im Regal soll Chrissi daran erinnern, dass sie bei Wollwie noch eine Rechnung offen hat. Aber Wollwie findet, in 37 Jahren liebevoller Ehe sind alle Rechnungen längst beglichen. Eine neue Folge der SZ-Reihe.

Von Martin Zips

Das Taxameter steht immer noch im Regal. Klar, denn es soll Chrissi daran erinnern, dass sie bei Wollwie noch eine Rechnung offen hat. Eigentlich. Chrissi schuldet Wollwie eben noch immer diese beiden Fahrten: vom Taxistand "Rathaus" in Wuppertal-Elberfeld rüber zum Italienisch-Kurs.

Berufliches und Privates soll ja strikt getrennt werden, aber der Beruf des Taxifahrers hat es eben so an sich, dass einem viele Menschen begegnen; und was, wenn da etwas ist, zwischen Taxifahrer und Fahrgast? Es ist der 8. Mai 1979, Taxifahrer Wollwie Brunecker ist Chrissi, die heute auch Brunecker heißt, schon vorher einmal aufgefallen. In Wuppertal begegnet man sich immer wieder mal, vor allem, wenn die eine bei der Bundesbahn arbeitet und der andere mit dem Taxi vor dem Bahnhof steht. Er, 26-jähriger Kommunikationsdesign-Student mit Nebenjob, hält also am Taxistand, dann steigt sie bei ihm ein. Eigentlich wäre die alte Dame vor ihr dran gewesen, aber da Chrissi unbedingt zu Wollwie will, schiebt sie ihren Hund vor. "Entschuldigen Sie", sagt sie zu der Frau. "Ich muss mit meinem Spitz zum Tierarzt. Darf ich vielleicht vor?"

Wollwie Brunecker sagt, er habe damals ausgesehen wie der Schlagersänger Wolfgang Petry. Schnurrbart, lange lockige Haare, Jeansjacke - heute optisch eine Katastrophe. Aber damals ist so einer hip, und Chrissi freut sich über ihren coolen Chauffeur, klemmt ihren Spitz unter sich auf den Fußabstreifer unter dem Beifahrersitz. "Bis nachher", sagt sie, als sie angekommen sind (natürlich nicht beim Tierarzt, sondern an der Sprachschule), und verlässt das Auto. Offenbar hatte sie vor, den Betrag erst abends zu begleichen.

Am Abend steht Wollwie wieder vor der Sprachschule. Die beiden fahren los - auf ein Getränk ins "Parkschlösschen". An Wollwies freiem Tag verabreden sie sich wieder, und ab da sind sie ein Paar.

Irgendwann aber muss Wollwie bekennen, dass er den Taxi-Job auch wegen dieser Weltreise macht, die er schon seit Monaten plant. Afrika, Asien und die Sowjetunion, eine Reise über mehrere Monate. Von unterwegs schreibt er ihr sehr, sehr viele Briefe. Ihre Antworten schickt sie an die Postämter der Orte, die als nächstes auf Wollwies Liste stehen. Manchmal telefonieren die beiden, einmal treffen sie sich unterwegs. Dann sind sie wieder getrennt. Monatelang.

1980 landet Wollwie am Flughafen in Berlin. Chrissi holt ihn ab. Es ist so romantisch wie am ersten Tag. Ihre Geschichte geht weiter. Heute sind Wollwie und Chrissi seit 37 Jahren verheiratet, haben einen "fantastischen, 31 Jahre alten Sohn". Das Taxameter von damals steht im Regal. Es zeigt einen Fahrpreis von zwei Mark, plus 25 Pfennig Zuschlag. Wollwie sagt: "Mit ihrer wunderbaren Fröhlichkeit, Leichtigkeit und Unbekümmertheit hat meine Traumfrau die offene Rechnung doch schon längst beglichen."

Jedes Paar hat seine Geschichte . In dieser Reihe erzählt das SZ-Panorama die Liebesgeschichten seiner Leser. Schreiben Sie eine E-Mail an liebesgeschichte@sz.de oder einen Brief an Süddeutsche Zeitung, Panorama, Hultschiner Straße 8, 81677 München. Wir sind gespannt.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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