Kunst:Der Mist braucht Platz

Lesezeit: 3 min

Mist hinterm Rahmen: Die Zwischenlagerung des eigentlich für die Biogasanlage bestimmten Misthaufens durch die örtliche Landwirtschaft. (Foto: deutschbaselitz-rundweg.de, Düvell)

Der Maler Georg Baselitz muss gewürdigt werden - findet ein Künstler in dessen Geburtsort Deutschbaselitz. Die sächsischen Mistbauern sehen das anders.

Von Martin Zips

Dass moderne Kunst gerade auf dem Land kaum verstanden wird, ist ein böses Vorurteil. Kunst im Stall, Kunst beim Dorffriseur, Kunst in der Eisdiele - da gibt es so viele großartige Ansätze. Im sächsischen Deutschbaselitz nahe Bautzen und Hoyerswerda etwa verläuft ein fünf Kilometer langer, mit Kunstwerken reich gespickter Rundwanderweg. Ein echter Tourismusmagnet für einen nur 470 Einwohner großen Ort. Der von einem Verein initiierte Weg führt rund um das alte Schulhaus, in dem 1938 Hans-Georg Kern geboren wurde, welcher heute als Georg Baselitz weltbekannt ist. Einer dieser ganz großen Künstler, den uns die Peripherie geschenkt hat.

Von einer Stelle aus kann der Kunstfreund besonders gut in Richtung des Baselitz'schen Geburtshauses blicken. Vorbei an den Bäumen des Sandteichwegs, an die sich Kenner aus dem Baselitz-Frühwerk sofort erinnern. Und damit die um Deutschbaselitz herumstreifenden Kunstfreunde diese Stelle auf keinen Fall verpassen, hat sie der Berliner Bildhauer Rainer Düvell vor fünf Jahren mit einem zwischen Bäumen aufgespannten Holzrahmen markiert. "Der Rahmen ist die äußere Einfassung von Bildern", steht auf dem Schild daneben. Er habe "die Wirkung, Inhalte zu erhöhen und zusammenzufassen". Durch Düvells Rahmen sieht man das Baselitz-Dorf und den Sandteichweg und muss sich zum Betrachten noch nicht mal auf den Kopf stellen. Der Bildhauer Düvell spricht von einer "Inwertsetzung des Malers und der Landschaft".

Vorher: Der von dem Berliner Bildhauer Rainer Düvell entworfene Holzrahmen - mit freiem Blick auf Baselitz' Geburtsort. (Foto: Andreas Frank/dpa)

"Was der macht, das ist doch sowieso alles Mist"

Blöd nur, dass die örtliche Agrargenossenschaft jetzt einen riesigen Misthaufen gleich hinter Düvells mit öffentlichen Geldern geförderten Rahmen gekippt hat. Den sieht der Einrahmende naturgemäß als Zeichen dafür, dass der Maler Baselitz "die Leute hier noch immer total abtörnt". Nach dem Motto: "Was der macht, das ist doch sowieso alles Mist." Der Prophet, meint er, gelte eben nichts im eigenen Land. Das erkenne man auch daran, wie die Kreisstadt Kamenz, zu deren Verwaltungsbereich Deutschbaselitz gehört, den Rundweg mehr und mehr zuwuchern lässt. Kamenz, das wird im Online-Grußwort des Bürgermeisters deutlich, sieht sich tatsächlich auch dem Geist eines anderen großen Sohnes verpflichtet: Gotthold Ephraim Lessing, 1729 in Kamenz geboren.

Zu ihm gibt es hier noch wesentlich mehr hübsch Eingerahmtes. Vielleicht nehmen sie Baselitz in seiner alten Heimat ja immer noch übel, dass er einst nach Westberlin zum Studieren ging (in der DDR hatten sie ihn nämlich wegen "gesellschaftlicher Unreife" von der Kunsthochschule verwiesen). Vielleicht finden sie es hier auch nicht gut, dass der Maler aus Protest gegen die Verschärfung des deutschen Kulturgutschutzgesetzes jüngst Leihgaben aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden entfernen ließ und mittlerweile nach Österreich gezogen ist. Zielte der Misthaufen etwa genau darauf ab?

"Ach, von Protest kann doch überhaupt keine Rede sein", sagt Bernd Preuß, Chef der zuständigen Agrargenossenschaft Liebenau e. G. Nach acht Jahren Betrieb müsse derzeit die Biogasanlage saniert werden und der stinkende Mist halt irgendwo anders hin. Und zwar weder aufs Getreidefeld noch in die Nähe des Ortes. "Und dass da dieser Holzrahmen hängt, daran hat von uns niemand gedacht, das muss ich jetzt ehrlich sagen. In der Regel ist der im Sommer auch so zugewachsen, dass da sowieso niemand durchblickt."

SZ JetztCollagen
:Brite macht U-Bahn-Altpapier zu Kunst

Ein Kopf voller Schmetterlinge und ein Sumo-Ringer zum Aufbacken: Der Brite Adam Hale klebt fantasievolle Collagen aus den Gratis-Zeitungen, die in der Londoner Subway liegenbleiben.

Baselitz kommentiert nichts

Der Mist soll nun erst einmal liegen bleiben. Bis Ende Juli, Anfang August. Was wohl der Künstler zu alldem sagt? Ob er sich von seiner alten Heimat noch genug geliebt fühlt? Gehört hat er jedenfalls schon, von dem Odel-Hügel. Das wird deutlich, als man Georg Baselitz am Telefon dazu befragt. "Aber ich werde das wirklich nicht kommentieren!"

Nichts trifft einen Schöpfer mehr als Ablehnung. Im hessischen Dietzenbach sah sich jüngst eine verdiente Künstlerin wegen ihres Entwurfs für eine tierische Skulptur im Verkehrskreisel in die Ecke gedrängt. Die Bürgerinitiative "Bürger gegen den Ratten-Kreisverkehr" fuhr schwere Geschütze gegen sie auf. Und in Oberhausen mussten - wegen zahlreicher Beschwerden - gleich drei Aktbilder einer Malerin im Foyer des Rathauses abgehängt werden. "Das ist respektlos gegenüber mir als Künstlerin", sagte die Künstlerin. Brachte aber nichts.

Die Frage in Deutschbaselitz freilich ist: Wer bewahrt die Holzrahmen und anderen Skulpturen auf dem Baselitz-Rundweg vor Gülle, Kraut und Ungeziefer? "Den umgekippten Kahn auf dem Feld, den Trichter auf der Wiese - das verrostet doch alles", meint Agrargenosse Preuß. Rahmenbauer Düvell sieht das ähnlich: "Die Pflege ist Sache der Stadt. Ich versteh das nicht: Die haben das Geburtshaus dieses weltbekannten Künstlers und machen nichts draus."

Insofern hat so ein stinkender Misthaufen am Ende dieser Geschichte dann doch etwas sehr Vereinendes. Für Deutschbaselitz, die sächsische Landwirtschaft und alle Künstler dieser Welt.

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kunstprojekt "Web 0.0"
:Besser als das Internet: ein Dorf in Italien

In Civitacampomarano ist der Empfang mies und das Netz lahm. Aber dank eines Kunstprojekts gibt es eine Whatsapp-Telefonzelle, einen Gmail-Briefkasten und die Tinder-Knutschecke.

Jetzt entdecken

Gutscheine: