Kriminalität:Beihilfe zum Selbstmord

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Eine junge Frau will sich vom Hochhaus stürzen. Eine Gruppe jugendlicher Gaffer feuert sie an, zu springen, ihnen werde kalt. Nun ermittelt die Polizei.

Bernd Dörries

Die junge Frau stand auf dem Dach des Hochhauses und unten schrien die Jugendlichen, sie solle doch endlich springen. Ihnen werde langsam kalt. Das Lörracher Rathaus ist ein etwa zwanzigstöckiges Gebäude, ein kalter Verwaltungsbau, mitten in der Stadt, neben der Post und dem Bahnhof.

Der Platz vor dem Hochhaus ist zur Mittagszeit recht belebt und so dauerte es am Montag nicht lange, bis dort viele Menschen standen, die auf das Dach des Hauses schauten.

Auf eine 21-jährige Frau, die am Rand der Dachterrasse stand. Ein Mitarbeiter des Rathauses hatte sie dort gegen elf Uhr entdeckt und erst versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Dann rief er die Polizei.

Unten auf dem Platz kamen immer mehr Gaffer zusammen, mehr als Hundert sollen es zum Schluss gewesen sein, sagt die Polizei. Eine Gruppe von Jugendlichen begann damit, die Frau zum Springen aufzufordern. ,,Mach doch, du Angsthase. Uns wird es kalt.'' Und vieles mehr. Die Mehrheit der Umstehenden hätte auf dieses ,,Gejohle'' nicht reagiert.

Die Polizei versuchte die Jugendlichen zurückzudrängen, sprach Platzverweise aus. Es wurde laut und chaotisch. Oben auf dem Dach versuchten psychologisch geschulte Einsatzkräfte der Polizei die Frau zu überreden, ihr Vorhaben aufzugeben.

Unten auf dem Platz waren die Jugendlichen nicht zur Ruhe zu bringen. Eine Gruppe Obdachloser schaltete sich ein und forderte sie auf, endlich zu verschwinden.

,,Man kann sagen, dass die Obdachlosen die Einzigen waren, die so etwas wie Zivilcourage gezeigt haben'', sagt der Sprecher der Lörracher Polizei, Dietmar Ernst. Mit dem Ergebnis allerdings, dass zwischen den Wohnsitzlosen und den Jugendlichen eine ,,wilde Schlägerei'', so Ernst, ausbrach.

Die Polizei war mit Einsatzkräften der Bundes- und Bereitschaftspolizei vor Ort und versuchte, das Chaos zu beenden. Die junge Frau stand zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Stunden auf dem Dach, mal direkt an der Brüstung, mal saß sie auf dem Rand.

Hinter ihr ein Arzt und ein Therapeut. Die 21-Jährige, so weiß man nun, hat in der Vergangenheit bereits Suizidabsichten geäußert. ,,Das Vorhaben war durchaus ernst zu nehmen, das hätte auch jeder auf dem Platz mit ein bisschen Grips merken müssen'', sagt Ernst.

Vor dem Rathaus drohte die Situation außer Kontrolle zu geraten. Die Polizei hatte einige Jugendliche in Gewahrsam genommen, andere aus der Gruppe versuchten, sie wieder zu befreien und gingen auf die Polizei los. Fünf Beamte wurden verletzt. Der Bereich wurde schließlich weiträumig abgesperrt.

Nach fast vier Stunden konnte die Frau zur Aufgabe überredet werden. Sie ist in ärztlicher Behandlung. Die Polizei ermittelt bisher gegen elf Jugendliche zwischen 16 und 19 Jahren.

Nach Angaben des Polizeisprechers Ernst sind sie Schüler des Berufsvorbereitenden Jahres und bereits wegen Gewaltdelikten auffällig geworden. Gegen sie wird nun unter anderem wegen Bedrohung, Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter Gefangenenbefreiung ermittelt.

Den Tatbestand der Beihilfe zum Selbstmord gebe es nicht, sagt der Polizeisprecher.

© SZ vom 8.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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