Krematorium in Rheinland-Pfalz:Ihr sollt tanzen, auch auf Gräbern

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Memento mori: Am Tag der offenen Tür kann der Krematoriums-Besucher auf einer Hüpfburg Zerstreuung finden. (Foto: oh)

Eigentlich ist das Rhein-Taunus-Krematorium ein Ort der Ruhe. Ein Ort, an dem sich Trauernde von geliebten Menschen verabschieden. Einmal im Jahr aber gibt es Blechkuchen, Grillwürste und wummernde Bässe aus dem Festzelt.

Von Jana Felgenhauer, Dachsenhausen

Im Partyzelt neben dem Krematorium tanzt ein einsamer Saxofonspieler. Draußen stehen Menschen am Imbissstand und knabbern zärtlich Bratwürste aus weichen Brötchen. Deftiger Zwiebelgeruch weht in den angrenzenden Wald. Viele Besucher sind 60 plus und tragen beigefarbene Funktionskleidung, so selbstverständlich wie Privatschüler ihre Schuluniformen. Gegenüber vom Imbissstand wackelt eine Hüpfburg unter der Last tobender Kinder. Ab und zu fahren Autos auf das Gelände und werden zwischen Tannen und Dixi-Klos geparkt. Dann wird die Musik lauter, ein Leichenwagen rollt vorbei.

Auch heute wird im Krematorium gearbeitet.

Das Rhein-Taunus-Krematorium liegt auf einem Waldstück, der nächstgelegene Ort ist Dachsenhausen, ein Kaff im hügeligen Rhein-Lahn-Kreis. Um dort hinzukommen, müssen sich Linienbusse durch schmale Straßen quetschen, wo sie in Nahkämpfe mit Reisebussen geraten. Und jetzt also findet hier Folgendes statt: ein Tag der offenen Tür. Er beginnt mit einem ökumenischen Gottesdienst im Bierzelt. Ein Pfarrer zitiert Bibelverse, die Band spielt moderne Kirchenlieder. Eigentlich ist "Uptodate" eine Partyband, die seit zwölf Jahren durch Deutschland tingelt. Bei der Sachsenwahl Ende August haben sie für die CDU gespielt, auch Angela Merkel war dabei, für den Tag der offenen Tür nun gab es bestimmte Vorgaben: "Wir sollen Gute-Laune-Musik spielen, damit die Leute tanzen und singen", sagt Sängerin Carmen Baumann. Lasziv schwingt sie ihre Zigarette: "Es soll ein fröhlicher Tag werden." Ein fröhlicher Tag?

Ein Gebäude, zu dem täglich Leichenwagen rollen, in dem Hunderte Tote in Kühlräumen gelagert und letztendlich zu Asche verbrannt werden: Sollte ein Krematorium mit Friedhofsgelände nicht ein Ort sein, an dem man sich im Stillen an geliebte Menschen zurückerinnert? Ein Ort, fernab von heimeligen Blechkuchen, penetranten Wurstdämpfen und wummernden Festzeltbässen? Genau das aber, die Volksfestatmosphäre, gehört zum Plan von Karl-Heinz Könsgen, dem Chef des Krematoriums. Der Plan ist: dem Ort des Schreckens seinen Schrecken nehmen.

Memento mori: Am Tag der offenen Tür kann der Krematoriums-Besucher auf einer Hüpfburg Zerstreuung finden. (Foto: oh)

Feuerbestattungen sind ein lukratives Geschäft, die Leute geben viel Geld aus für die Einäscherung ihrer Angehörigen, zwischen 340 und 500 Euro kann das kosten. Die Nachfrage ist groß: Gerade finden Bauarbeiten statt, neue Kühlräume kommen hinzu und ein Spezialofen für Menschen, die bis zu 450 Kilo wiegen. Geschmacklos findet Könsgen sein Fest nicht. Er fragt: Wieso keine Musik, wieso nicht auch Kaffee und Kuchen anbieten? Cafés seien auf vielen Friedhöfen längst Standard, sagt er. In Hamburg, in Berlin sowieso, auch in München soll bis 2016 ein neues Krematorium entstehen, mit Café und Meditationsgarten.

Der Chef des Krematoriums sponsort auch Tanznachmittage für Senioren

Jedes Jahr veranstaltet Familie Könsgen diese Mischung aus Volksfest und Werbeveranstaltung. Mit Führungen durch das Krematorium möchte der ehemalige Bauunternehmer Karl-Heinz Könsgen Klischees aus den Köpfen fegen: "Die Leute denken, da steht einer neben dem Ofen und schaufelt wahllos Aschereste in die Urnen. Das stimmt natürlich nicht." Dass die meisten Menschen die Gedanken an den Tod lieber ganz weit von sich wegschieben, versteht der 58-Jährige nicht. "Wenn sie ein Auto kaufen wollen, überlegen die Leute wochenlang, aber wen sie bei ihrer Beerdigung dabeihaben wollen, planen sie nicht", sagt er in derbem Kölsch, das ein bisschen verschlagen klingt. Das Rhein-Taunus-Krematorium gibt es seit 2001, damals stieg die Zahl der Einäscherungen langsam an. Um das Projekt zu finanzieren, brauchte es einen Investor, da kam Könsgen ins Spiel. "Das war mal etwas anderes, da hatte ich Lust zu", sagt er.

Seine eigene Beerdigung soll ein Sommerfest werden, wo alte Freunde zu Karnevalsmusik abrocken.

Auf die Idee mit der Band kam Könsgen durch seinen Freund Klaus Gal. Gal ist Pfarrer im Ruhestand, 70 Jahre alt, ein Bart dicht wie ein Eisbärpelz. Er organisiert in Essen die Rentnerdisko "Rock am Stock". Menschen im Alter zwischen 70 und 93 tanzen da regelmäßig zu Schlagern, von Nana Mouskouri bis Helene Fischer. Manche kommen am Stock, manche schieben Gehwägen vor sich her. "Das ist eine Lücke, die wir füllen", sagt Gal. "Auch alte Leute tanzen gern, sie wissen nur nicht wo." Für die Partyreihe verkauft er Karten für einen Euro. Um die Kosten zu decken, ist er aber auf Hilfe angewiesen, und die bekommt er von Könsgen.

Tanznachmittage für alte Leute, die von einem Krematorium gesponsert werden? Auf ihren Event-Plakaten erwähnen das die Veranstalter lieber nicht. Auch vibrierende Bässe am Krematorium scheinen den meisten Besuchern am Tag der offenen Tür nicht ganz geheuer zu sein. Tanzen sieht man hier lange keinen. Wenn man so über das Gelände schaut, stellt man fest: Mehr Stock als Rock.

Auf den Bierbänken vor dem Zelt sitzt ein Ehepaar mit seinen Enkelkindern. Sie kommen gerade von einer Baumarkteröffnung, die Kinder sind wie Marienkäfer geschminkt. Eine Besucherin steht an einem Stehtisch und mampft Kuchen. Sie findet die Veranstaltung "makaber", möchte aber trotzdem eine Führung durch das Krematorium machen, sagt sie, "damit ich sehe, wie ich mal ende". Auf Verwandte verlassen, die später mal ihr Grab pflegen, möchte sie sich lieber nicht. "Wer geht denn sonntags noch auf den Friedhof?" Allein ist sie mit ihrem Plan nicht: 50,5 Prozent der Deutschen entscheiden sich für eine Feuerbestattung.

Menschen kommen nicht in den Himmel, sagt die Mutter. Sie kommen in die Erde

Vor dem Rundgang durch das Krematorium stehen die Menschen Schlange. Eine Frau hat ein dreijähriges Mädchen auf dem Arm, blonde Locken, pink verpackt. "Wir gehen ganz natürlich mit dem Thema um und haben ihr erklärt, dass Menschen nicht in den Himmel kommen, sondern in die Erde". Die Familie hat ein Bestattungsunternehmen in einem Nachbarort. Bald stehen sie in einem der leeren Räume, in denen 500 Särge Platz haben - Kühlschränke für Menschen sozusagen. Später lernt die Gruppe, wie die Öfen und die Aschemaschinen funktionieren. "In einem guten Monat machen wir 2000 Leichen", sagt der Mitarbeiter. In einem Job wie diesen muss man die Dinge wohl pragmatisch sehen, wobei: Die letzten acht Betriebswarte haben das Handtuch geschmissen. Täglich mit Leichen zu tun zu haben, das ist nicht einfach.

In einer Halle steht ein Sarg vor einem Ofen, daneben ist ein kleines Büro. Der sogenannte letzte Gang der Toten führt dort an Kunstpflanzen und Kopierpapier vorbei. An der Wand hängt ein großes Foto von Überresten, die nicht im Ofen verbrannt wurden. Beckenknochen und künstliche Gelenke werden so zu moderner Kunst im Krematorium.

Draußen im Partyzelt tanzt inzwischen jemand. Die Band spielt "It Never Rains in Southern California", die Tanzenden sind Arno und Luise Kammerer. Ihr Sohn verunglückte im Juli mit 47 bei einem Motorradunfall und wurde hier auf dem Urnenfriedhof beigesetzt. Seitdem kommen die Eltern jedes Wochenende her. Die Mutter weint, als sie von ihrem Sohn erzählt. "Dass wir heute hier getanzt haben, das hätte ihm gefallen."

© SZ vom 23.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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