Kleines Lexikon:Castro, Pristina und Chicago

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Es gab wieder interessante Wörter in dieser Woche - und unser Autor hat ihre Herkunft verfolgt. Bei einem Wort aber biss selbst er sich die Zähne aus.

Wolfgang Koydl

Soll keiner sagen, dass nicht auch kleine Länder ganz groß rauskommen können. Ob sich allerdings der Zwergstaat Liechtenstein diese Aufmerksamkeit gewünscht hätte, die ihm derzeit zuteilwird, ist eher fraglich. Wem der Name märchenhaft vorkommt, der liegt damit nicht ganz falsch, aber eben auch nicht richtig. Die Burg Lichtenstein (ohne e) auf der Schwäbischen Alb scheint nicht nur direkt einem Märchen entsprungen zu sein; sie wurde auch von Wilhelm Hauff in einem Roman verewigt.

Das Ortsschild von Vaduz. (Foto: Foto: dpa)

Das Stammschloss aber, nach dem die Steueroase im Rheintal benannt ist, liegt weiter östlich, bei Maria Enzersdorf in Niederösterreich, also nicht weit von Wien entfernt. Die Burg, die 1135 auf einem steilen Felsen errichtet wurde, trägt ihren Namen nach dem hellen Stein, aus dem sie erbaut wurde. Hier residierte die Adelsfamilie Liechtenstein, die eher unbedeutend, dafür aber umso ehrgeiziger war. Erst 1719 hatten sie Erfolg, als sie die Herrschaft Schellenberg und die Grafschaft Vaduz kauften. Sie waren zwar nicht besonders groß (so groß eben wie das heutige Liechtenstein), dafür aber reichsunmittelbar. Das bedeutete, dass sie nur den Kaiser über sich hatten, der die Liechtensteins dann auch prompt zu Fürsten beförderte.

Freilich dauerte es noch ein gutes Jahrhundert, bis der erste Fürst Liechtenstein seinen Wohnsitz in der Burg über der liechtensteinischen Hauptstadt Vaduz nahm. Der Name dieser Stadt passt übrigens - mit ein wenig Phantasie - zu den gegenwärtigen Skandalen mit deutschen Steuerflüchtlingen, egal welcher Theorie man folgt. Die eine geht vom Wort avadutg aus, einem verballhornten lateinischen aquaeductus. Und so wie über einen Aquädukt das Wasser fließt, so flutschten die schwarzen Gelder durch die Konten. Noch treffender im aktuellen Kontext wäre freilich der zweite Deutungsversuch: Vaduz wäre demnach aus dem lateinisch-alemannischen Valdutsch, dem Tal der Deutschen, entstanden. Für viele könnte es nun zu einem Tal der Tränen werden.

Am anderen Ende Europas hat sich diese Woche ein anderer Kleinstaat für unabhängig erklärt. Die etymologische Genese des Kosovo haben wir ja schon behandelt, schauen wir uns also heute die Albaner an, die in dem neuen Land und in benachbarten Albanien die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Der Name wurde der Region von Außenstehenden gegeben: alb ist die indogermanische Wurzel für weiß, und dem daraus resultierenden lateinischen albus verdanken wir nicht nur das Foto-Album sondern auch den Hogwarth-Chef Albus Dumbledore.

Da die Berge Albaniens oft von Schnee bedeckt sind, lag es nahe, sie die weißen Berge zu nennen. (Im Gegensatz übrigens zu den schwarzen Bergen nebenan - weshalb dieser Staat denn auch ganz logisch Montenegro heißt). Wem jetzt bei den Albanerbergen ein Licht aufgeht, bei dem stimmen die Kontakte: Richtig, auch die Alpen gehen auf dieselbe Wurzel zurück. Ähnlich gelagert, wenn auch basierend auf einer anderen Sprache, liegt, wie wir schon gesehen haben, der Fall beim Libanon.

In ihrer eigenen Sprache nennen die Albaner ihr Land freilich Shqipëria und sich selbst - welcher Karl-May-Leser wüsste es nicht - Skipetaren. Bei der Erklärung dieses Wortes scheiden sich die Geister entlang ideologisch-ethnischer Trennungslinien. Die Albaner leiten es vom albanischen Wort shqiponje, dem stolzen Adler ab, der auf ihrer Fahne prangt. Die Serben behaupten, Grundlage sei das serbische skrape = Geröll oder Felsengrund. Erfolglos habe ich übrigens nach dem Ursprung des Namens Pristina gesucht. Für Hinweise (ebenso wie für Fragen und Anregungen zu anderen Wörtern) ist diese Kolumne übrigens dankbar. (Die Adresse: wolfgang.koydl@sz-korrespondent.de. Oder natürlich unten in den Kommentaren)

Kein Kleinstaat, sondern vom weltpolitischen Einfluss her zeitweilig fast schon eine Weltmacht war zuweilen Kuba, wo der von Alter und Krankheit gezeichnete Diktator Fidel Castro nach jahrzehntelanger despotischer Herrschaft nun abgetreten ist. Von seinem Weltbild her war der Name seiner Insel absolut sinnvoll: denn die vor der Ankunft Christopher Columbus dort lebenden Ureinwohner der Arawak nannten ihr Eiland cubanacan - den Platz im Mittelpunkt. So dürfte wohl auch der Máximo Líder sein Land gesehen haben. Castro selbst ist übrigens ein weitverbreiteter spanischer Nachname. Ihn tragen all jene, deren Vorfahren aus einem der zahlreichen spanischen Orte dieses Namens stammen.

Diese Dörfer wiederum heißen so, weil in römischer Zeit dort ein Legionärslager ( castrum) lag. Fidel Castro musste nie etwas über sich ergehen lassen, was in Amerika Hillary Clinton, Barack Obama und John McCain seit Monaten bestehen und was sogar Pakistans Ex-Militärherrscher Pervez Musharraf erduldete: eine Wahl. Sie kommt vom wählen und das war einst dasselbe Wort wie wollen. Mit anderen Worten: Wenn ich etwas will, dann wähle ich es aus.

Verwandt ist außerdem das schöne Wörtchen wohl, das vielen anderen Begriffen Wohlklang verleiht: der Wohlfahrt und dem Wohlstand, der Wohltat und dem Wohlwollen, von wohlauf, wohlfeil und wohlgemut ganz zu schweigen. Das Adverb wohl alleine bedeutete zunächst nichts anderes als erwünscht oder nach Wunsch.

Alles andere als wunschgemäß verläuft indes derzeit die Vorwahlkampagne für Hillary Clinton. Auch in Wisconsin musste sie sich ihrem Rivalen geschlagen geben. Der windig-kalte Landstrich an den Großen Seen gehört zu jenen US-Bundesstaaten, die ihren Namen den indianischen Ureinwohnern und - indirekt - französischen Trappern und Fallenstellern verdanken, die als Erste die Indianersprachen aufzeichneten. Miskwasiniing bedeutete in der Sprache der Ojibwa einen Ort aus rotem Stein und beschrieb den Wisconsin-Fluss, der oft rote Erde führt. Der französische Waldläufer Jean Nicolet, der als erster Europäer 1634 die Gegend besuchte, umschrieb dies mit Ouisconsin. Später schlich sich Verwirrung ein, denn im modernen Ojibwe gibt es das noch ähnlicher klingende Wort wiishkoonsing. Das aber heißt "Der Ort, wo die kleine Bisamratte lebt".

Gut möglich, dass Hillary unfreundliche Gedanken entlang dieser Bedeutungsschiene beschlichen, als sie vom jüngsten Vorwahlsieg ihres Rivalen erfuhr. Immer mehr muss sie schließlich ihre Hoffnungen auf die sogenannten Super- Delegierten setzen, die beim Nominierungsparteitag der Demokraten an kein Wählervotum gebunden sind. Damit freilich sind diese Personen etymologisch betrachtet fast ein Widerspruch in sich selbst. Denn ein delegatus ist im Lateinischen ein mit gesetzlicher Vollmacht Beauftragter oder Abgesandter, mithin nicht jemand, der in eigener Regie Entscheidungen treffen kann. Zumindest sprachliche Grundlage eines jeden Legaten ist ein Gesetz - lateinisch lex.

Aus Wisconsins südlichem Nachbarstaat Illinois wurde ein neuer Amoklauf mit Toten und Verletzten gemeldet. Auch bei diesem Namen waren Franzosen Geburtshelfer. (Französisch ausgesprochen rollt Illinoah gut über gallische Zungen.) Der Begriff selbst freilich stammt aus der Sprache der Algonkin, wo man damit ausdrückte, dass jemand "normal" sprach, also die Landessprache beherrschte.

Ein Verband mehrer Stämme nannte sich denn auch selbst Illiniwek - wohl weil sie sich alle verstanden. In dieser Sprache gab es das Wort shikaakwa, mit dem man eine Sorte wilden Lauchs beschrieb, bevor man es - wohl wegen des starken Geruches der Pflanze - auf den Gestank des Streifenstinktiers übertrug. Keine sprachliche Verwandtschaft mithin, auf welche die Bewohner der größten Stadt von Illinois stolz sein könnten: Chicago leitet sich direkt vom übelriechenden Skunk ab.

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