Klatten-Erpresser Sgarbi:In dubio pro Gigolo

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Egon Geis wird einen Herrn verteidigen, den die Welt nur als den Gigolo kennt: Helg Sgarbi, den Verführer und mutmaßlichen Erpresser von Susanne Klatten. Ein Besuch bei dem Frankfurter Staranwalt.

Bernd Kastner

Immer wieder steht er auf, geht hin und her in seinem Konferenzraum, dann denkt er nach über sein Leben, setzt sich hin, lehnt sich zurück, steht wieder auf, räsoniert über die Macht von Richtern und den Respekt unter Juristen. Der freundliche Herr mit dem spärlichen Haar steht dann ganz neben sich.

Könnte als Zeugin geladen werden: Susanne Klatten. (Foto: Foto: ddp)

Das liegt nicht etwa an seinen 77 Jahren, das liegt an dem gewaltigen Wandgemälde, zehn Meter lang ist es bestimmt, vor dem er auf und ab geht. Das Werk zeigt ihn in jungen Jahren, als der Vollbart noch voll war, wie er überlebensgroß in schwarzer Robe und mit ausladender Geste vor der Richterbank steht. Die Richter blicken genervt auf den Mann herab, der da auf sie einredet, und man kann sich ausmalen, wie er gerade einen von denen da oben wegen Befangenheit ablehnt.

Ein Ruf wie Donnerhall

Anfang kommenden Jahres wird die ganze Republik, und nicht nur die, auf diesen Mann schauen. Egon Geis, Rechtsanwalt aus Frankfurt, wird einen Herrn vor dem Münchner Landgericht verteidigen, den die Welt nur als den Gigolo kennt: Helg Sgarbi, Verführer von Susanne Klatten, mutmaßlicher Erpresser von Deutschlands reichster Frau.

Egon Geis unterbricht keineswegs seine Rente, um noch einmal einen großen Auftritt hinzulegen, wie er es so oft getan hat. Als er Alt-Nazis verteidigte, die Juden deportieren und töten ließen; als er Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger per Gerichtsvollzieher in den Zeugenstand zitierte; als er Beate Klarsfeld vertrat, die eben diesen Kanzler geohrfeigt und einen Nazi genannt hatte. Das alles hat vor Jahrzehnten einen Ruf wie Donnerhall begründet. Heute verteidigt Geis zwar kaum mehr Mörder oder Unterwelt-Gestalten, dafür nimmt er sich mehr der Wirtschaftskriminalität an. Da geht es dann um Millionen.

Wie auch im Fall des Charmeurs aus der Schweiz. Sgarbi soll vier wohlhabende Frauen um den Finger gewickelt und dann um viel Geld gebracht haben. Das hätte wohl funktioniert, hätte er nicht mit verfänglichen Fotos bei der Herrin von BMW noch mehr abkassieren wollen, sodass sein Opfer sich mit einer Anzeige aus der Affäre retten musste. Angeklagt ist der 43-Jährige unter anderem wegen gewerbsmäßigen Betrugs und versuchter gewerbsmäßiger Erpressung. Der Anwalt Till Gontersweiler hat seinen Frankfurter Kollegen dazugeholt, die beiden sind ein eingespieltes Team.

Ehe einer auf die Idee kommt, das sei die Masche eines Selbstdarstellers, sagt Geis, wie er vor seinem eigenen Abbild sitzt und den Richtern den Rücken zukehrt, etwas Grundsätzliches. Dass er "ein sehr kritisches Verhältnis" zur Strafjustiz habe, "ein sanftes negatives Vorurteil": "Es finden sich sehr viele Machtmenschen dort." Seine Aufgabe sieht er auch darin, zu verhindern, "dass Macht in Gewalt ausufert".

Es war die Pflichtverteidigung eines ehemaligen SS-Hauptsturmführers, die den jungen Geis Anfang der 60er schlagartig bekannt machte. Der Angeklagte war damals Chef des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz und angeklagt des Mordes an Juden. Danach hat die Justiz Geis noch mehrmals als Pflichtverteidiger von Altnazis engagiert, und der Anwalt ist stolz darauf. Weil er seine Verteidigung dazu genutzt habe, dem Land zu zeigen, dass sein Mandant nur einer ist von vielen, ein typischer Vertreter einer braun geprägten Generation, die es wieder nach weit oben gebracht hat. "Das ist rübergekommen."

Lesen Sie auf Seite 2 über die "Kampfjahre" des Anwalts

Historiker werden diese These zu überprüfen haben, unstrittig aber dürfte etwas anderes sein: Der Mann gilt als Wiederentdecker des Paragraphen 220 der Strafprozessordnung. Der erlaubt es einem Angeklagten, auch gegen den Willen des Richters einen Zeugen zu laden. Als Geis wieder mal einen mutmaßlichen Judenmörder verteidigte, wollte er den Kanzler befragen, der wegen seiner Rolle in der NS-Zeit umstritten war.

Ein unruhiger Mann

Also zitierte er Kiesinger herbei, 1968 war das. Die Republik blickte staunend auf diesen jungen Anwalt, der so frech war und so schillernd, der zwischen seinen Auftritten noch genug Zeit hatte für das Leben. Am liebsten mit Bier und auch mit Frauen. "Schlitzohrig, schlau, schlawinerhaft", nannte der Stern 1974 in einer Reihe über Deutschlands größte Strafverteidiger den dreifachen Vater. "Rücksichtslos bis zur Gürtellinie" - aber eben nicht drunter.

Das waren die "Kampfjahre", sagt der alte Geis über den jungen, "ich war ein unruhiger Mann". Gewisse Charaktereigenschaften ändern sich nie, "Sie können aus einem Geis kein Lamm machen." Aber, und da beugt er sich vor und wird leise: "Man sieht auch, wo man überzogen hat im Leben." Heute denke er mehr nach über sein Tun, und so erinnert er sich eines Richters, dem er Jahre nach einem Prozess wieder begegnete. Es war einer jener, die er einst mit Erfolg abgelehnt hatte, und jetzt erzählte ihm der Besiegte, dass ihn das seine Beförderung zum Gerichtspräsidenten gekostet habe. "Dann tat mir der Mann leid. Da hat Geis gedacht: Das wolltest du auch wieder nicht." Geis spricht gerne in der dritten Person über Geis.

Dass er die letzten Jahre nicht mehr so im Fokus der Medien stand, liegt nicht etwa an seinen neun Enkeln. Er sitzt noch immer jeden Abend bis spät am Schreibtisch, geht dann zum Italiener, wo er sich mit seiner Frau verabredet, seiner zweiten, die 24 Jahre jünger ist als er. Nein, die vermeintliche Ruhe liegt an seinen Mandanten. Wenn es um Ärztepfusch geht oder gegen Finanzjongleure, dann steigt die Öffentlichkeit irgendwann aus, zu kompliziert. Bloß Geis, der freut sich weiterhin, erst recht, wenn er einem Gericht arg zugesetzt hat.

Und jetzt also Sgarbi und Klatten, die große Bühne noch einmal, da muss doch Vorfreude aufkommen. "Was heißt freuen?", fragt Geis und spricht von "gewisser Spannung". Er schilt den Medienrummel, die via Italien veröffentlichten Unterlagen, das nutze keinem. "Man kann", sagt Geis, der schon viele Deals ausgehandelt hat, "einen solchen Prozess sehr strittig führen."

Das könnte man wie die Ankündigung eines voyeuristischen Schauspiels deuten, schließlich geht es um Intimes und Peinliches. Lieber aber sei ihm, er könne "in Ruhe" seine Arbeit machen. Das kann man dem alten Kämpfer glauben oder auch nicht, sicher aber ist, dass auch die Ruhe bei ihm nicht langweilig wäre. "Es macht Spaß", sagt Geis.

Auch der Auftritt für den Gigolo.

© SZ vom 24.12.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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