Kinderwagen:BMW, Bentley, Bugaboo

Lesezeit: 4 min

"Sprint" und "Jet" sind weder Motorräder noch Sportautos, sondern Kinderwagen. Die sind längst Statussymbole und Designerware geworden. Vielleicht sind sie sogar die besseren Autos.

Sie heißen Roadster, und so sehen sie auch aus: Kraftpakete auf drei Rädern, die durch den Park pflügen, als wären sie auf der Autobahn.

Das waren noch Zeiten - unbeschwert, konsumlos: der Trabant als Kinderwagen. (Foto: Foto: ddp)

Sie glänzen mit Metallspeichenrädern und mit Feststellbremsen, mit 5-Punkt-Sicherheitsgurten oder individuell verstellbaren Rückenlehnen.

Und mittendrin quäken Kleinkinder. Der Spaziergänger reibt sich die Augen: High-Tech-Maschinen haben den gemütlichen Kinderwagen von einst ab- und das Versprechen der mobilen Gesellschaft für alle eingelöst.

Die Beschleunigung des Lebens beginnt, bevor der Mensch krabbeln kann. Wie sehr Design und Technik der Jüngsten mittlerweile aufgerüstet haben, erkannt man bereits an den Namen ihrer Schlitten.

Chromglänzende Seitenteile und tiefergelegte Chassis

Es muss schon ein "Sprint" sein oder ein "Jet", wenn Papa oder Mama mitsamt Nachwuchs über Stock und Stein düsen.

Lange lag er im Windschatten des Automobils, nun geht er als stromlinienförmiges Lifestyle-Produkt auf die Überholspur: Der Kinderwagen ist das definitive Distinktionsmerkmal.

Was auch immer Stylisten an Karosserien für die Großen entwickelten, erst der Kinderwagen hat sie en miniature adaptiert und vervollkommnet. Chromglänzende Seitenteile und tiefergelegte Chassis, Kotflügel oder Zierleisten - ganz wie es die Moden vorgaben.

Nichts aber hat die Entwicklung vom Weidenkorb zur Laufmaschine so beschleunigt wie die Gesellschaft selbst. Automobil und Kinderwagen sind Brüder im Geiste, Kraftfahrzeuge eben.

Kinderwagen als Drehzahlmesser

1860 erfindet Jean Joseph Étienne Lenoir den 3-Takt-Gasmotor, rund zehn Jahre zuvor brachte der Stellmacher Ernst Albert Naether das beräderte Kinderkörbchen auf den Weg.

Für Kultmarken wie Bugaboo gibt es längst begeisterte Fahrberichte in Online-Foren, wie man sie vor einigen Jahren nur Sportwagen zugetraut hätte.

Er "flitzt nur so durch den Verkehr, um die Kurven (mit einem minimalen Radius), durch die Supermarktkasse (schmaler als andere Wagen), in die S-Bahn (einfach hochzuheben) und in den Kofferraum", schwärmt ein Besitzer. Der Kinderwagen hat sich zum Drehzahlmesser unserer Zeit weiterentwickelt.

Klein, wendig und ungemein flexibel, das war das Erfolgsrezept des rund neun Kilo schweren Leichtgewichts Bugaboo Frog, der vor fast einem Jahrzehnt die Welt der Baby- und Kleinkinderwagen eroberte.

Der Kombi mit Babyschale und Sportwagensitz verzichtete auf Plüsch-Touch und Bärchen-Aufdrucke und versprach pure Technik mit Schnapp- und Schubverschlüssen, austauschbaren Rädern und verstellbarer Schubstange, als wollte der damals 34-Jährige Designer Max Branenburg sagen: Niedlich sind die Kleinen selbst, da kann der Rahmen ruhig praktisch ausfallen.

Kinderwagen, zweckentfremdet. (Foto: Foto: ddp)

Der Erfolg gab dem niederländischen Industriedesigner Recht. Mit dem Chamäleon unter den Kinderwagen erwirtschaften 280 Mitarbeiter rund 50 Millionen Euro Umsatz. Auch der Nachfolger Gecko soll vom Trend zu hochwertigen Fahrzeugen jenseits der 500 Euro-Grenze profitieren.

Denn derzeit zerfällt die mobile Kleinkindgesellschaft in zwei Gruppen. Die einen werden in preiswerten Fabrikaten asiatischer Produktion herumgeschoben, die anderen gleiten in Luxus-Offroad-City-Buggys übers Kopfsteinpflaster.

Luxus-Offroad-City-Buggys

Im 840 Millionen Euro schweren Markt für Kinderwagen lassen sich die im Schnitt immer älteren Eltern ihren Kinderwagen auch immer mehr kosten. Mit dem weißen "By Bas Kosters" scheint aber selbst Bugaboo den Bogen überspannt zu haben.

Die auf tausend Exemplare limitierte Karosse wird für 1500 Euro vertrieben. Da ist für viele Schluss mit Design. Auch beim Einsteigermodell sorgt der "Bentley der Prominenz" für Aufmerksamkeit.

Gleich, ob David Beckham ihn vor sich herschiebt, Jude Law oder die halbe Crew von "Sex in the City": Die Botschaft auf vier Rädern lautet: Bugaboo ist das ultimative Statussymbol, weil der Cityflitzer das Private mit dem Öffentlichen ganz natürlich verbindet.

Kein Accessoire, keine Golduhr könnte solche Präsenz entfalten. Seither gilt auch für die kleinsten Straßenkreuzer: Die Marke ist Thema. Die Marke ist Leben. Und zwar mit weit reichenden Folgen.

"Teutonia" - eine Schande

Gegen den "Bugaboo-Zwang in Berlin" schreibt eine 22-jährige Mutter ziemlich genervt: Erst bemerkte sie "diese erniedrigenden Blicke von Pärchen mit einer Sorte Kinderwagen."

Zwei Monate habe sie sich "das mit angeschaut und dann hat's gereicht. Ich habe mich dazu genötigt gefühlt, für 800 Euro einen Kinderwagen ohne Zubehör zu kaufen." Nun findet die Bugaboo-Berlinerin wieder keinen Anschluss: "Ich habe sogar Schwierigkeiten, eine Freundin in meinem Alter zu finden, weil die sich in meiner Gegenwart schämen müssen, nur mit einem 'Teutonia' rumzufahren."

Kinderwagen sind Trendartikel, Lifestyleprodukte und High-Tech-Flitzer in einem, deren Verkaufsprospekte klingen, als müsste man erst einen Führerschein für die Schubfahrzeuge erwerben.

Pimp my perambulator

"Aluminium-Gestell, extra leicht. Lufträder, absolut kippsicher. Schieber fünffach höhenverstellbar"; so tritt ein Jogger im Verkaufsprospekt auf. Die geländegängigen Maschinen haben die klassische Dreiheit aus Korb, abnehmbarer Tragetasche und Fahrgestell ebenso erweitert wie ihr großer Gegenspieler, der Buggy.

Bereits 1965 schuf der britische Flugzeugkonstrukteur Owen Maclaren einen kompakt faltbaren Sportwagen mit lenkbaren Vorderrädern und kreierte so einen Verkaufsschlager.

Wer heute unvorbereitet eine Runde in der Kinderwagenabteilung dreht, kommt sich vor wie vor zehn Jahren in einem Radlshop. Nur, dass kein verschwitzter Mechaniker auftaucht, der kopfschüttelnd den mitgebrachten Drahtesel begutachtet.

Motz den Kinderwagen auf, "Pimp my perambulator", könnte eine MTV-Show heißen, die die coolsten Straßenfeger vorstellt, mit aufgesprühten Flammen an den Seiten und extrabreiten Chromfelgen.

PS = Papas Stärke

"Perambulator", Gerät zum Umherziehen, Grenzen erkunden, heißt die Kinderkutsche auf Englisch. Dazu passt, dass Wissenschaftler des Talaris-Instituts schon vor Jahren lernende Babys im Kinderwagen prognostizierten, frei nach dem Motto, die erste Klasse beginne gleich nach der Geburt: "Kinder sind sofort lernbereit, das ist unser Überlebensinstinkt."

Ob die Kleinen nun die Vorzüge von einzeln aufgehängten Metallspeichenrädern reflektieren oder einfach nur froh sind über die frische Luft, ist hingegen nicht bekannt. Auch nicht, ob auf einen Bugaboo später der Mercedes folgt.

Unsere Welt rollt auf vier Reifen. Keine Ahnung, warum die Natur das Rad nicht erfunden hat, der Mensch jedenfalls ist ihm gnadenlos verfallen. Und mit ihm den Verlockungen der Geschwindigkeit, den quietschenden Pneus, die sich am Asphalt festsaugen.

Knapp 100 Jahre nach Marinettis testosterondampfenden Elogen vom Rennwagen "auf Kartätschen" stellen wir fest: Den ultimativen Mobilitätskick bietet der Kinderwagen.

Der Buggy ist das bessere Auto, ein ökologisch korrektes Kraftfahrzeug angetrieben von einem PS (Papas Stärke), ein Schaustück für die Mobilisierung letzter Reserven. Beste Vorraussetzungen für automobile Träume in Zeiten berstender Autobahnen.

© SZ vom 17.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: