Kinderschänder-Prozess:Dutroux gibt Hinweise auf Pädophilen-Netzwerk

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Marc Dutroux hat bei seiner ersten Gerichtsanhörung die ihm zur Last gelegten Morde geleugnet. Er räumte lediglich ein, vier der Mädchen entführt und zwei vergewaltigt zu haben. Die Entführungen seien auf Druck des Mitangeklagten Nihoul geschehen, der die Mädchen unbekannten Hintermännern zuführen wollte.

Der mutmaßliche Kinderschänder Marc Dutroux hat bei seiner ersten Gerichtsanhörung die ihm zur Last gelegten Morde geleugnet. Mit fester Stimme nahm Dutroux am Mittwoch vor dem Schwurgericht in Arlon erstmals Stellung zu den Anklagepunkten.

Marc Dutroux weist alle Schuld am Tod der Mädchen von sich. Links neben ihm seine Ex-Frau Michelle Martin und der mutmaßliche Komplize Michel Lelièvre. (Foto: Zeichhung: AP)

"Ich kann nicht die ganze Verantwortung auf mich nehmen", sagte der bereits als Kinderschänder verurteilte 47-Jährige.

"Aber einen Teil akzeptiere ich", endete er seine mehr als dreistündige Aussage. "Hätte ich nicht all dem zugestimmt, was ich getan habe, würden sie wahrscheinlich noch leben." Sie, das sind vier Mädchen im Alter von acht bis 19 Jahren. Die Geschehnisse seien "bedauerlich, mit all ihren Folgen", räumte Dutroux ein.

Die achtjährigen Mädchen Julie und Mélissa sowie die 17 und 19 Jahre alten Freundinnen An und Eefje seien ohne sein Zutun zu Tode gekommen, betonte Dutroux am dritten Tag seines Prozesses im südbelgischen Arlon.

In seiner Aussage präsentierte er sich aber zumeist als ahnungsloses Opfer und unwissender Mitläufer.

Lediglich an der Entführung der zur Tatzeit im Mai 1996 zwölfjährigen Sabine und der 14-jährigen Laetitia im August desselben Jahres sei er beteiligt gewesen. Beide habe er auch vergewaltigt.

Alle anderen Vorwürfe, die Morde an An und Eefje sowie an seinem Komplizen Bernard Weinstein, die Verschleppung von Julie und Melissa im Juni 1995 und deren Vergewaltigung sowie eine Verantwortung für deren Tod stritt er ab.

An der Entführung von An und Eefje im August 1995 sei er nur am Rande beteiligt gewesen. Auch den Mord an den beiden Mädchen An und Eefje legte er einem mutmaßlichen Komplizen zur Last. Dieser habe die Mädchen mit Betäubungsmitteln eingeschläfert und sie auf einem von Dutroux' Gartengrundstücken begraben.

Die Verschleppung habe sein mitangeklagter Komplize Michel Lelièvre organisiert - unter Beteiligung zweier Polizisten.

Mit dieser Aussage bekräftigte Dutroux die seit langem kursierende Vermutung, dass der Dutroux-Skandal weit größere Kreise zog als bislang bekannt. Als Beweis führte Dutroux den mitangeklagten Brüsseler Geschäftsmann Michel Nihoul an.

"Nihoul hat mich gebraucht"

Der habe im Sommer 1995 die beiden achtjährigen Julie und Melissa zu ihm gebracht und ihn gebeten, die Mädchen unterzubringen. Dass sie entführt wurden, davon habe er zunächst nichts gewusst.

"Nihoul hat mich gebraucht", gab Dutroux zu Protokoll. Deshalb habe er Julie und Melissa in seinem Haus untergebracht. Die beiden Mädchen hätten die meiste Zeit im Zimmer seiner eigenen Kinder verbracht, die mit ihrer Mutter Michelle Martin in einem anderen Haus gewesen seien. Angerührt habe er Julie und Melissa nicht, sagte er und widersprach damit den Ausführungen der Anklage.

Nach seinen eigenen Worten fand er sie verhungert in seinem Kellerversteck, als er im März 1996 aus dem Gefängnis entlassen wurde. Dort hatte er unter anderem wegen Diebstahl eine gut dreimonatige Haftstrafe abgesessen. Er beschuldigte seine Ex-Frau, sich nicht wie beauftragt um die Kinder gekümmert zu haben.

Nihoul habe später die Entführung weiterer Mädchen quasi in Auftrag gegeben, führte Dutroux seine Version der Geschehnisse weiter aus. Und der, so legte er nahe, habe die Kinder an ein Pädophilen-Netzwerk vermitteln wollen. Damit unterstrich Dutroux die immer wieder aufkommende Vermutung, dass er und seine Mitangeklagten nicht isoliert handelten, wie dies die Anklage festgestellt hat.

Anwalt: Von hoher Stelle geschützt

Für Dutroux' Anwalt Ronny Boudewijn ist allein die Tatsache, dass Nihoul kurz vor Prozessbeginn auf freien Fuß gesetzt wurde, Beweis genug, dass dieser von hoher Stelle geschützt werde. Angeführt wurden zudem immer wieder rätselhafte Todesfälle von Zeugen sowie der Selbstmord eines beteiligten Staatsanwaltes.

Bereits am Morgen hatte der Anwalt angekündigt, dass Dutroux "etwas Neues" sagen werde. Er rechne damit, dass Dutroux neue Namen von Schuldigen nennen werde, sagte Boudewijn. Dies sei neben der Urteilsverkündung der wichtigste Prozesstag für die Verteidigung. "Wir werden die Wahrheit heute hören oder nie."

Auch die Familien der Toten setzten große Erwartungen in die erste Aussage des Hauptangeklagten. "Das ist der Tag der Wahrheit", sagte der Anwalt der Familie Marchal, Paul Quirynen. "Das ist die letzte Chance für ihn (Dutroux), die Wahrheit zu sagen." Doch nach Dutroux' Aussage dürfte die Eltern der ermordeten Mädchen kaum schlauer, geschweige denn zufrieden gestellt worden sein.

Dutroux ergriff um 09.15 Uhr das Wort. Er stand dem Vorsitzenden Richter Stéphane Goux Rede und Antwort. "Ich stehe zu ihrer Verfügung", sagte der Angeklagte mehrfach, als habe er dem Gericht mit seinem Erscheinen einen Gefallen getan. Goux bemühte sich, den zwölf Geschworenen komplizierte Sachverhalte zu erklären. Dabei fiel Dutroux dem Richter mehrfach ins Wort, um ihn zu korrigieren.

Über weite Strecken sprach der Hauptangeklagte mit fester Stimme. Brüchig wurde sie nur ein einziges Mal, als Dutroux zugab: "Ich habe Fehler gemacht. Ich habe sogar Verbrechen begangen."

Die drei Mitangeklagten, Dutroux' mutmaßlicher Komplize Lelièvre, Exfrau Martin und Nihoul lauschten meist teilnahmslos. Angesichts der schweren Vorwürfe griff Nihoul lediglich mehrfach zum Telefon, um aus der schusssicheren Kabine mit seinem Anwalt zu telefonieren. Und Martin rang mit den Tränen, als Dutroux über die Umstände des Todes von Julie und Melissa berichtete.

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