Kinderarbeit:Steinbruch statt Schule

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Millionen Kinder in aller Welt werden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Gesetzliche Verbote werden missachtet, auch deshalb, weil viele Familien ohne den Verdienst der Kinder nicht überleben könnten.

Von Arne Perras

Sie schuften in Gerbereien, wo Laugen die Hände zerfressen. Sie hämmern Steine für den Straßenbau. Sie malochen in staubigen Minenschächten, und sie basteln mit explosiven Chemikalien an Feuerwerkskörpern. Es gibt viele Beispiele für gefährliche Kinderarbeit in der Welt, vor allem in den Armutsregionen des Südens.

In den schlimmsten Fällen werden Jungen und Mädchen in die Knechtschaft gezwungen, als Sexsklaven verkauft oder als Kindersoldaten an die vorderste Front geschickt. Das UN-Hilfswerk Unicef prangert diesen Missbrauch seit langem an.

Es gibt weltweite Kampagnen für den Schutz solcher Kinder, zum Beispiel das Netzwerk "Global March", das seit Montag im italienischen Florenz einen dreitägigen Welt-Kongress gegen Kinderarbeit anhält. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) fordert, dass die schlimmsten Formen der Ausbeutung überall abgeschafft werden. Doch schnelle Erfolge sind in diesem mühsamen Kampf nicht zu erringen.

Kinderlohn sichert Überleben

Das liegt vor allem daran, dass die Familien dieser Kinder meist in der Armutsfalle stecken. Arbeit, so hart sie auch sein mag, macht oft wenigstens ein Überleben möglich. Derzeit werden etwa 211 Millionen Menschen im Alter zwischen 5 und 14 Jahren als Kinderarbeiter eingestuft.

Die große Mehrheit davon lebt in Asien. In Afrika muss jedes dritte Kind arbeiten, die meisten von ihnen in der Landwirtschaft.

In einer ILO-Studie rechneten Ökonomen kürzlich vor, wie stark Produktivität und Löhne in diesen Ländern steigen könnten, wenn man in die Ausbildung von Kindern investieren würde, anstatt sie frühzeitig in den Arbeitsprozess einzubinden. Der Gewinn für die Volkswirtschaften würde die Kosten der Abschaffung von Kinderarbeit um ein Vielfaches übertreffen.

Der mögliche Zuwachs für diese Ökonomien sei "enorm", verkündete ILO-Vertreter Frans Roeselaers bei der Vorstellung der Analyse.Soweit die Theorie.

In der Praxis erweist sich dieser Wandel als kompliziert, denn in einer ersten Phase von etwa 15 Jahren müssten Staaten und Familien zunächst einmal gewaltige Kosten tragen, bevor sie später die Früchte ihrer Investitionen ernten könnten. Dafür fehlen in den meisten Ländern die finanziellen Mittel und oft auch der politische Wille. Arme Eltern sind kaum in der Lage, aus eigener Kraft in die Bildung ihrer Kinder zu investieren.

Der Schulnotstand in der Dritten Welt ist nach wie vor gewaltig. So ist etwa in Afrika die Zahl der nicht eingeschulten Kinder seit dem Jahr 1990 von 41 auf 45 Millionen gestiegen. Nach Unicef-Angaben fehlen jährlich etwa fünf bis sieben Milliarden Dollar, um die Ausbildung in den Entwicklungsländern zu verbessern.

Der Soziologe Manfred Liebel, der an der Technischen Universität Berlin über Kinderarbeit forscht, warnt davor, pauschal auf die Abschaffung aller Formen von Kinderarbeit zu dringen. Wer bloß auf Verbote setze und glaube, man könne alles durch entsprechende Gesetze regeln, der mache es sich zu einfach. "Oft ist die Alternative ,Schule statt Steinbruch' nur eine Fiktion." Wer wolle, dass Kinder nicht mehr arbeiten, müsse andere Perspektiven auch tatsächlich möglich machen und nicht nur darüber reden.

Außerdem werde in der Debatte im reichen Westen häufig übersehen, dass sich "Arbeit und Bildung bei Kindern nicht immer ausschließen müssen". In Bolivien gebe es zum Beispiel Schulen, die ihre Unterrichtszeit am Erntezyklus orientierten, sodass die Kinder bei der Feldarbeit helfen können.

In Gesprächen mit betroffenen Kindern aus Entwicklungsländern hat Liebel erfahren, dass die jungen Leute ihre Arbeitseinkünfte oft brauchen, um die Schule bezahlen zu können. Man müsse, so Liebel, auch prüfen, ob Kinder bei bestimmten Arbeiten nicht auch einiges lernen können und so Fähigkeiten erwerben, die Überleben helfen. "Kindern, die auf der Straße als Verkäufer arbeiten, ist nicht gedient, wenn sie von der Polizei abgeführt werden, weil ihre Arbeit illegal ist."

In Florenz sind nun ehemalige Kinderarbeiter aus aller Welt zu einer Konferenz zusammengekommen, um mehr internationale Unterstützung für die Interessen der Kinder einzufordern. Dabei sollen die jungen Leute selbst von ihren Erfahrungen berichten. Die Organisatoren von "Global March" haben im Vorfeld des Kongresses harsche Kritik an der italienischen Regierung geübt, weil sie viele Visa-Anträge für Kinder aus Afrika und Asien abgelehnt habe. Deshalb kann jetzt nur ein kleiner Teil der eingeladenen jungen Leute teilnehmen. Die Gastfreundschaft Italiens hatten sich die Mitarbeiter von "Global March" etwas anders vorgestellt.

© SZ vom 11.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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