"Kannibale von Rotenburg":Chronik eines angekündigten Todes

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Um zu beweisen, dass er "auf Verlangen" tötete, schildert Armin Meiwes vor Gericht detailliert, wie es zur Schlachtung seines Opfers kam.

Hans Holzhaider

Armin Meiwes, der "Kannibale von Rotenburg", hat sich sorgfältig vorbereitet auf den zweiten Prozesstag vor dem Landgericht Frankfurt. Er hat ein Manuskript, von dem er seine Aussage abliest. Seine Verteidiger lesen mit, es soll nichts schief gehen bei diesem zweiten Prozess.

Armin Meiwes (Foto: Foto: AP)

Dem Angeklagten droht eine lebenslange Freiheitsstrafe, nachdem der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Kassel - achteinhalb Jahre wegen Totschlags - aufgehoben hat.

Auf zwei Dinge kommt es der Verteidigung besonders an. Erstens: Dass Armin Meiwes in der Nacht zum 10.März 2001 den 43-jährigen Ingenieur Bernd B. tötete, schlachtete und das Fleisch verzehrte, entsprach dem ausdrücklichen und ernsthaften Wunsch des Opfers.

Zweitens: Der Film, den Meiwes von dem Geschehen in jener Nacht aufnahm, diente nicht, oder jedenfalls nicht vorrangig, dem Zweck der eigenen sexuellen Befriedigung.

"Ich hoffe bloß, dass du nicht schlapp machst"

Um das glaubhaft zu machen gibt Armin Meiwes eine Schilderung seiner Bekanntschaft mit dem späteren Opfer Bernd B. und des Ablaufs der Tatnacht, die an Detailliertheit weit über seine Aussage im ersten Prozess vor dem Landgericht Kassel hinausgeht.

Umfänglich zitiert er aus dem Chat-Verkehr mit Bernd B., der sich über mehr als ein Jahr hinzog. In drastischen, völlig unzweideutigen Wendungen habe B. seinen übermächtigen Wunsch geäußert, sich den Penis abtrennen, schlachten und aufessen zu lassen. "Ich hoffe bloß, dass du nicht schlapp machst und es auch wirklich durchziehen kannst", zitiert Meiwes.

Auch die Idee, eine Videokamera mitlaufen zu lassen, stamme von B. und nicht von ihm, beteuerte Meiwes. Auch nach vollzogener Verstümmelung habe B. mit größtem Nachdruck darauf bestanden, dass kein Arzt gerufen werde und dass Meiwes ihn töten solle, sobald er das Bewusstsein verloren habe. "Ich wollte ihm helfen; töten wollte ich ihn nicht", sagt Meiwes.

"Mir wäre es lieber gewesen, er hätte sich selbst getötet". Die Minuten unmittelbar vor der Tötung habe er anders in Erinnerung, als sie auf dem Video zu sehen seien. Er sei damals überzeugt gewesen, B. sei schon an dem immensen Blutverlust gestorben.

Trotzdem sei ihm der erste Stich "ungeheuer schwer gefallen". Erst als er sich später den Film angesehen habe, habe er zu seinem Schrecken festgestellt, "dass er noch flach atmete". Diese Szene, "die auch für mich sehr schrecklich ist", habe er sich später nicht mehr angeschaut.

Meiwes gibt zu, dass er bei der Erinnerung an die Schlachtung onaniert habe, der Film habe dabei aber keine Rolle gespielt: "Der lief nur im Hintergrund." In den 21 Monaten zwischen der Tat und seiner Verhaftung im Dezember 2002 hatte Meiwes seinen Angaben zufolge noch eine Reihe weitere Kontakte zu potenziellen Opfern, die aber zu keinen Gewalthandlungen mehr führten. "Ich habe niemanden zu irgendetwas gedrängt oder genötigt", beteuert er.

An alle, die von ähnlichen Phantasien geplagt werden wie er selbst, appelliert der Angeklagte, sich einem Arzt oder Psychiater anzuvertrauen.

Erst seine Gespräche mit dem Gefängnispsychologen hätten ihn von der ungeheueren Last befreit, die er sein Leben lang mit sich herumschleppen musste. Allein in Deutschland, sagt Meiwes, gebe es nach seiner Schätzung "einige zehntausend" Menschen mit kannibalistischen Phantasien.

© SZ vom 17.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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