Jugendsprache:Affengeil hat ausgefetzt

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Der Jugendliche ist seinen Eltern ein 190 Zentimeter großes Rätsel. Ein noch größeres Rätsel ist allerdings die stetig wachsende Zahl der Wörterbücher zum rudimentären Verständnis der Pubertierenden.

Von Alex Rühle

Der pubertierende Jugendliche ist seinen Eltern ein 190 Zentimeter großes Rätsel. Was will er nur? Was sagt er uns? War das ein zustimmendes oder ein ablehnendes "Hmmm", mit dem er auf eine Frage geantwortet hat? Und was bedeutet "ischig"?

Ein noch größeres Rätsel ist dem Buchhandlungskunden allerdings die stetig wachsende Abteilung der Wörterbücher zum rudimentären Verständnis der pubertierenden Jugendlichen. "Wörterbuch der Jugendsprache", "Grund- und Aufbauschatz Kanakisch", "Duden-Wörterbuch der Szenesprachen" - wer kauft so was?

Anfang des 19.Jahrhunderts, kurz nachdem Jean-Jacques Rousseau das Lebensalter der "Jugend" in die Welt gesetzt hatte, fingen Studenten damit an, Lexika der von ihnen benutzten Ausdrücke herauszugeben.

Daniel Ludwig Wallis beginnt in seinem 1813 erschienenen Büchlein "Der Göttinger Student" ein eigenes Kapitel über "Gebräuchlichste Ausdrücke und Redensarten der Studenten" mit der Beobachtung: "Kürze und Derbheit sind das Gepräge der meisten Ausdrücke und Phrasen." Daran hat sich wenig geändert.

Anders ist es mit Wallis' Beobachtung über den Gebrauch der Jugendsprache: "Man muss selbst Student seyn, um Wohlgefallen daran zu finden. Sobald man der Burschenwelt entrueckt ist, fallen nach und nach die fremdartigen Woerter weg."

Heute versuchen viele Erwachsene trotz hochgradiger Entrückung von aller Burschenwelt weiterhin mit den fremdartigen Wörtern bei der Jugend zu punkten. Grauslig die Eltern, die meinen, mit neueren Anglizismen herumhantieren zu müssen.

Widerwärtig die Verlage, die Jugendslang-Lexika so bewerben: "Ein affengeiles Buch, das echt anfetzt, wer es sich reinzieht, wird mehr Durchblick haben."

Ob sich daraufhin irgendein Mensch Claus-Peter Müller-Thuraus "Lass uns mal 'ne Schnecke angraben" gekauft haben wird? Ein affengeiles Buch, das echt anfetzt: So etwas ist nicht Jugendsprache, sondern nur die medial gespiegelte Stilisierung des Phantoms Jugendsprache.

Jugendsprache, das klingt nach dem großen subkulturellen Gegenentwurf. Vielleicht war im 19. Jahrhundert, als es als linguistische Spielart einzig die deutschlandweit recht homogenen studentischen Ausdrücke gab, die Jugendsprache eine Art organisches Ganzes.

Heute wuchert vieles schnelllebig durcheinander, die Sprache der Jugendlichen hat diffus eklektizistische und flexible Formen angenommen. Wer Jugendliche mal mit einem der vielen Szenelexika konfrontiert, erntet Unverständnis, als habe er aus einem tschechisch-mongolischen Wörterbuch vorgelesen: Vieles von dem, was da steht, hat kein Jugendlicher je gehört.

Primelkopf? Sumpfnatter? Man muss kein linguistischer Jugendbeauftragter sein, um zu spüren, dass das Erfindungen eines überforderten Erwachsenen und keine Slangvokabeln sind. Als solche aber gibt sie Hermann Ehmann in seinem "Neuesten Lexikon der Jugendsprache" aus. Ein absurder Superlativ: Ein solches Lexikon darf nicht neu, es muss "neuest" sein, um überhaupt mithalten zu können. Viele Wortschöpfungen sind bei Drucklegung schon veraltet, andere Begriffe wie cool oder geil, die in solchen Wörterbüchern jedes Mal neu in die Länge und Breite erklärt werden, sind seit Generationen bekannt.

Dass sich diese Bücher trotzdem gut verkaufen, liegt an der "Prestigefunktion von Jugendlichkeit", wie die Sprachwissenschaftlerin Eva Neuland es formuliert: "Wissen über Jugendlichkeit enthält zugleich das Gebrauchswertversprechen, sich über dieses Wissen ein Stück der eigenen Jugendlichkeit zurückzuerobern."

Weshalb auch die Erwachsenen, wenn sie einen gerade kursierenden Begriff erhaschen, darin wie in einem matten Spiegel die eigenen Begriffe der Jugendzeit aufblinken sehen: "Krass sagt ihr? Bei uns war das schau." Verstanden haben sie damit nichts. Denn die Sprache der Jugendlichen besteht nicht aus einzelnen Trendvokabeln wie endkrass, korrekt oder fett. Sie de- und rekontextualisiert sprachliche Einheiten: Man spielt mit gerade aktuellen Slogans, Filmen, Titeln.

Und was ist mit den verfallsgeschichtlichen Lamenti, die die Sprache der Jugendlichen begleiten wie der Jammer Hartz IV? Wallis' Beobachtung vom derb-kurzen "Gepräge" trifft noch immer zu. Fraglich ist nur, ob die Sprache immer derber wird oder eben erfrischend rustikal bleibt.

Während der Linguist Peter Schlobinski behauptet, aggressive Brutalismen, Grobianismen und vulgäre Fäkalismen nähmen ständig zu, behauptet die Jugendforscherin Ingrid Kromer das Gegenteil: Es sei erstaunlich, wie höflich die SMS-Generation in ihren Mitteilungen miteinander umgehe. Mehr und mehr kann man aber aus der Ferne der Erwachsenenwelt den Eindruck gewinnen, dass jugendsprachliche Manierismen von der Unterhaltungsindustrie selbst gesteuert werden.

Der Musikkanal Viva präsentiert sich seinen jugendlichen Zuschauern geradezu als mediales Über-Ich: "Wir sind euer Fernsehen, eure Sprache, eure Farben und eure Musik", heißt es in einer Pressemappe. Wir sind eure Sprache: Das hat seinen wahren Kern. Medienfiguren wie Erkan & Stefan, die gerade wegen ihrer enormen Dummheit zu Kultfiguren werden, prägen das Sprechen der Jugendlichen heute mehr als jedes Buch.

(SZ vom 21./22.8.2004)

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