Jürgen Trittin:Der Minister auf dem Trockenen

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Das kleine, fensterlose Haus sieht unscheinbar aus. Es liegt auf einem künstlich angelegten Hügel, daneben fließt träge die Elbe. Das Wasser ist gerade mal einen Meter und 30 Zentimeter tief, es hat über Monate hinweg zu wenig geregnet, man könnte durch den Fluss waten. Vor einem Jahr lag der Wasserspiegel acht Meter höher.

Von Philip Grassmann

(SZ vom 9./10.08.2003) Das fensterlose Haus war bis zum Dach in den schmutzigbraunen Fluten verschwunden - mit verheerenden Folgen. Denn in dem Gebäude im tschechischen Ort Obristvi waren die Pegel untergebracht, die den Anstieg des Elbe-Hochwassers messen sollten. Die Gewalt des Wassers zerstörte sie, was ein Grund dafür war, dass niemand so richtig vorhersagen konnte, wie hoch die Flutwelle sein würde, die da auf Dresden zurollte.

Ein Jahr nach der Katastrophe macht Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) auf seiner Sommerreise durch die ehemaligen Hochwassergebiete Station in Obristvi; er weiht die neu aufgebaute Messanlage ein. Der Hubschrauber landet nur wenige Meter von dem Haus entfernt auf einer Wiese, die vor zwölf Monaten metertief unter Wasser stand.

Mit einer Million Euro hat die Bundesrepublik den Wiederaufbau der Messstation gefördert, und sie soll wohl auch ein Symbol dafür sein, wie bedeutsam die grenzüberschreitende Zusammenarbeit für die Bundesregierung bei der Hochwasservorsorge ist. Die Flut vor einem Jahr, die extreme Dürre in diesen Sommermonaten.

"Der Fluss braucht mehr Raum"

Für den Umweltminister sind das zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Wetterextreme werden wegen des Klimawandels in den kommenden Jahren noch zunehmen, sagt er; lange Trockenperioden würden mit kürzeren, aber dafür intensiveren Regenzeiten wechseln.

Trittin geht es deshalb vor allem darum, durch Vorsorge die Folgen der Wetterexteme zu mildern - zum Beispiel durch breitere Flussläufe, die in Extremfällen größere Wassermengen aufnehmen könnten, so dass Flutwellen niedriger ausfallen.

Platz dafür gäbe es an vielen Flußabschnitten genug, konnte sich der Minister überzeugen. Im Hubschrauber flog er von der Havelmündung die Elbe entlang bis nach Magdeburg. Hinter den Deichen, die oft nahe am Ufer stehen, erstreckten sich fast überall nur weite Ackerflächen. Häuser oder Siedlungen sah man von oben dagegen kaum. "Der Fluss braucht mehr Raum - und hier ist er auch vorhanden", sagte Trittin beim Blick hinunter.

Neues am "Bösen Ort"

Bisher allerdings gibt es nur zwei Vorhaben an der Elbe, bei denen der Deich geöffnet und zurückverlegt wird: ein Auenwald in der Nähe von Dessau in Sachsen-Anhalt und der "Böse Ort" bei Lenzen in Brandenburg. Dort, an einer scharfen Flussbiegung, drücken die Wassermassen bei Hochwasser besonders stark auf den Deich.

Er wird deshalb auf einer Länge von 6,2 Kilometern begradigt und um einen Kilometer zurückverlegt, so dass die Wassermassen eine 400 Hektar große Fläche überfluten können. 16 Millionen Euro sind dafür vorgesehen, die Bauarbeiten sollen 2007 beendet sein.

Möglich war das Projekt aber nur, weil ein örtlicher Bauer bereit war, die Flächen zu verkaufen. Bei den meisten Landwirten stoßen solche Vorhaben dagegen auf wenig Gegenliebe. Sie wollen ihr Land lieber behalten um weiter Ackerbau zu betreiben. Verkaufen lohnt nicht, sagen sie.

Die Flut 2002 definiert das Wort "Überschwemmungsgebiet"

Trittin ist sich dieses Problems durchaus bewusst und hat wohl auch deshalb bei seinem Gesetzentwurf zum Hochwasserschutz das Gewicht vor allem auf das andere große Problem entlang der Flüsse gelegt: die Siedlungs- und Gewerbeflächen in potenziellen Überschwemmungsgebieten.

Trittin will als Konsequenz aus der Hochwasserkatastrophe Bauvorhaben dort künftig gesetzlich verbieten. Zwar gilt dieses Verbot eigentlich schon seit den siebziger Jahren. Großzügige Ausnahmeregelungen haben es aber ermöglicht, dass die Ausnahme zur Regel wurde.

In dem Gesetz wird auch erstmals definiert, was ein Überschwemmungsgebiet ist: Maßstab dafür soll das höchste Hochwasser der vergangenen hundert Jahre sein. Ackerbau soll in Überschwemmungsgebieten mit Ausnahme von Grünlandnutzung ebenfalls verboten werden, allerdings erst von 2013 an. Mit einem kleinen Kunstgriff hat sich Trittin dabei an dem Umstand vorbeigemogelt, dass Hochwasserschutz eigentlich Ländersache ist. Der Bundesminister setzt mit seinem Artikelgesetz nur den Rahmen, den die Länder dann in Eigenregie ausfüllen müssen.

Touristen statt Schiffe

Gerade die Kompetenzverteilung ist beim Hochwasserschutz ein Problem. Denn in der Regel profitiert nicht das Bundesland von den Schutzmaßnahmen, die es selber finanziert, sondern das weiter flussabwärts liegende Nachbarland, in dem dann eine niedrigere Hochwasserwelle ankommen würde. So ist es nicht verwunderlich, dass ein Land nur die Projekte unterstützt, die ihm auch direkt einen besseren Schutz bringen.

Denken in größeren Maßstäben ist dagegen die Ausnahme. "Im Prinzip bin ich überzeugter Föderalist", sagt Trittin, "doch in diesem Fall wäre es besser, wenn der Bund die Hoheit über den Hochwasserschutz hätte." Doch für eine Grundgesetzänderung, da macht sich Trittin keine Illusionen, würde es keine notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit geben. Immerhin, das geplante Gesetz verpflichtet die Länder auch, Hochwasserschutzpläne zu entwickeln.

Um auch die staatenübergreifende Zusammenarbeit zu verbessern, erarbeitet gegenwärtig die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe einen "Aktionsplan Hochwasser", der im Herbst von der Vollversammlung der Anrainerstaaten verabschiedet werden soll. Ziel ist unter anderem, die Hochwasservorhersage zu verbessern, Niederschläge am Boden länger zurückzuhalten. Ähnliche Pläne gibt es bereits für den Rhein, für die Oder, die Maas, die Mosel und die Saar.

Naturschutz wird künftig stärker berücksichtigt

Auch beim Ausbau der Bundeswasserstraßen will die Bundesregierung andere Maßstäbe setzen. Die Ausbaupläne von Donau, Elbe und Saale wurden vorerst auf Eis gelegt, der Bau des Saale-Seitenkanals oberhalb von Magdeburg wurde auf 2016 verschoben. Bei den Unterhaltungsmaßnahmen, etwa dem Bau von Buhnen, soll der Naturschutz künftig stärker berücksichtigt werden.

Am unteren Lauf der Havel wird man voraussichtlich vom kommenden Jahr an beobachten können, wie einem ausgebauten Fluss wieder der natürliche Lauf zurückgegen wird. Von 2006 an soll der Flussabschnitt keine Bundeswasserstraße mehr sein. Statt Schiffen soll er künftig vor allem Touristen anziehen.

(sueddeutsche.de)

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