Jürgen Fliege in der Kritik:Als würde er den Fußpilz einschleppen

Einst galt er als Menschenflüsterer, heute buhlt Jürgen Fliege verzweifelt um Gehör. Wer dem angekanzelten Fernsehpfarrer lauscht, erfährt: Nicht Kirchenkritik und Kräuterwässerchen sind schuld am persönlichen Sündenfall - sondern ein ehemaliger Weggefährte, der zum Gegner wurde.

Matthias Drobinski, Bad Wörishofen

Der Nieselregen lässt an diesem Vormittag die Kurstadt ergrauen, passend zu der Stimmung des Mannes an der Stirnseite des dunklen Tisches. Sein Gesicht ist schmaler geworden, und die Haare sind grau, aber es ist doch Jürgen Flieges Fernsehgesicht und Markenzeichen geblieben, das da zeigt, wie es leidet. Falten bilden sich immer wieder über der Nasenwurzel, die Augen schweifen auf der Suche nach Blickkontakt. Schaut nicht weg! Hört mich an!

Landeskirche leitet Disziplinarverfahren gegen Juergen Fliege ein

Kräuterwassermixtur für 39,90 Euro, Gott und Kirche "erst mal scheißegal" - Jürgen Fliege macht sich zur Zeit nicht viele Freunde.

(Foto: dapd)

Nein, Fliege geht es nicht gut. Bei "Flieges 3. Wörishofener Herbst", in dem von ihm herausgegebenen Magazin Fliege als "der Kongress, über den ganz Deutschland spricht" angekündigt, sind Referenten wie die frühere Grünen-Abgeordnete Barbara Rütting abgesprungen. Für die Veranstaltung, auf der man Theologen, Künstlern, Heilern und Engelforschern begegnen kann, haben sich nur 350 Dauergäste angemeldet; das sind nicht mehr als im vergangenen Jahr, die Sache könnte im Minus enden.

"Hat Fliege einen an der Klatsche?"

Die Kurverwaltung behandelt Fliege mittlerweile, als würde er den Fußpilz in sämtliche Kneippanlagen einschleppen, dabei bringt er der Stadt zusätzliche Übernachtungsgäste. Die Medien spotten. "Hat Fliege einen an der Klatsche?" fragte neulich Bild am Sonntag. Und jetzt macht auch noch die evangelische Kirche im Rheinland Ärger, deren Pfarrer der 64-jährige Fliege ist. Sie hat ein Disziplinarverfahren gegen den einstigen Fernsehpfarrer eingeleitet.

Offiziell darf keine der beiden Seiten verraten, was in dem Einschreiben mit Rückschein steht, das der Postbote Anfang Oktober bei Fliege in Tutzing ablieferte. Angeblich geht es um einen Satz, den die Welt am Sonntag zitiert: Gott und Kirche seien "erst mal scheißegal", soll er einem Paar gesagt haben, das sich von ihm trauen lassen wollte, ohne Kirchenmitglied zu sein. Es geht außerdem um einen Artikel im Fliege-Magazin über Kirchenaustritte, mit einem Info-Kasten am Ende: "Wie trete ich aus der Kirche aus?" Das ist nun nicht sehr nett gegenüber der evangelischen Kirche, aber auch kein zwingender Grund für ein Disziplinarverfahren.

Im Hintergrund steht die gesamte Entwicklung Flieges, die eine zunehmende Entfremdung von der evangelischen Kirche erkennen lässt. Da ist etwa das Fläschchen mit Sprühkopf, gefüllt mit "Fliege-Essenz", einer Kräuterwassermixtur, über die der Pfarrer den Segen gesprochen hat: zu bestellen für 39,90 Euro plus 5,95 Versandkosten über Flieges Homepage. Dreimal täglich vor dem Essen ein paar Sprühstöße in den Mund geben und "Glaube, Hoffnung, Zuversicht" murmeln, schon geht's im Leben besser.

Oder der "Mauertrockner" für 4000 Euro, für den er geworben hat und dessen Hersteller Mitglied bei Scientology sind. Oder der Wörishofener Herbst mit Vorträgen wie "Lebendiges Wasser in der Krebstherapie", mit Heilern, Handauflegern und Engeldeutern - interviewt in der Fliege-Talkshow, ausgestrahlt bei eher entlegenen Sendern, beworben im Fliege-Magazin, wo sie wiederum in Anzeigen für sich werben.

In Konkurrenz zur Kirche

Jürgen Fliege, so lautet der Vorwurf hinter dem Verfahren, ist nicht mehr der populäre Seelsorger und Menschenflüsterer, den die ARD bis vor sechs Jahren präsentierte. Er ist zum Anbieter auf dem Esoterikmarkt geworden, ein Selbstvermarkter seines Namens, in zunehmender Distanz, ja sogar Konkurrenz zu der Kirche, die ihn ordiniert hat, für deren Spitze er auch schon als erfolgreicher Fernsehpastor oft nur Hohn und Spott übrig hatte. Die Kirche des damaligen evangelischen Ratsvorsitzenden Klaus Engelhardt sei "keine fünf Mark" Kirchensteuer wert, höhnte er 1995 - solche Sätze sind in der Kirche unvergessen.

Ein bisschen redet Jürgen Fliege an diesem Morgen über seine Tagung, vor allem aber wehrt und erklärt er sich. Er gehe dort hin, wo die Ausgetretenen seien, die die etablierte Kirche nicht mehr erreiche, "jeden Tag treten 1000 Menschen aus, ein ganzer ICE-Zug voll", ruft er.

Missverstanden und verletzt

Die Kirche sei gut, wenn es um Gerechtigkeit geht, schlecht aber, wenn die Frage im Raum stehe, "ob Krankheit und Tod eine Gottesbotschaft sind". Jesus sei ein Heiler gewesen, Pfarrer Kneipp habe in Wörishofen heilen wollen - warum sollte er da nicht Heiler zu seinem Kongress einladen. Und der Mauertrockner? "Bei mir funktioniert er", sagt Fliege. Und so, wie sein Großvater einst standhaft bei Juden gekauft hätte, wolle er jetzt nicht Menschen boykottieren, bloß weil sie Scientologen seien.

Bleibt noch die Fliege-Essenz. Der Verkauf sei nach 118 Flaschen gestoppt worden, nicht mehr als fünf Euro habe er daran verdient - und verkaufe nicht auch die katholische Kirche Weihwasser, zum Beispiel aus Lourdes? Wobei, so denkt man bei sich, es den Katholiken nicht einfiele, eine Papst-Benedikt-Essenz oder ein Erzbischof-Zollitsch-Wasser zu vermarkten.

Er hat ja eigentlich über die Pressekonferenz hinaus nicht mit Journalisten reden wollen, zu sehr fühlt er sich missverstanden, zu sehr ist er verletzt. Beim ZDF-Moderator Markus Lanz sei er regelrecht niedergemacht worden, den Welt am Sonntag-Autoren Benjamin von Stuckrad-Barre habe er ins Haus gelassen, und dann habe der den flapsig gemeinten Satz aus dem Seelsorgegespräch mit dem Brautpaar zitiert.

Aber dann steht der Reporter da und muss zum Zug und humpelt ein bisschen - "ich fahre Sie nach München", sagt er. Er fährt ein älteres Audi-Cabrio mit glänzendgesessenen Ledersitzen, auf der Autobahn bleibt er mit Tempo hundert hinter den Lastwagen. Auf der Fahrt erzählt er eine Geschichte.

Es ist die Geschichte von Nickel und ihm. Sie haben zusammen studiert, sie haben sich gemeinsam gegen die Kirchenleitungen aufgelehnt, sie waren links, Sozialpastoren, die mit den Stahlarbeitern demonstrierten. Der Nickel, sagt er, der ist politisch geblieben. Er, der Jürgen aber, habe zunehmend gespürt, dass ein Pastor für die Dinge jenseits des Politischen da sein müsse.

Nikolaus Schneider, der Nickel, ist nun Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland und Präses der rheinischen Kirche, also der oberste Herr des Disziplinarverfahrens gegen den Jürgen. Man hat sich auseinandergelebt.

Und warum geht er dann nicht? "Ich bin Pfarrer bis zum Tod", sagt Jürgen Fliege. München. Ein Blick, ein Händedruck. "Mit dem Segen", sagt er zum Abschied.

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