Italien:"Von der Mafia befreite Erde"

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"Ein ganzes Volk, dass Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde." Immer mehr Menschen nehmen den Kampf gegen die Mafia auf. Es ist ein Kampf gegen die Gleichgültigkeit - und Gewöhnung ans Unrecht.

Julius Müller-Meiningen

"Es nähert sich immer jemand an, den du kennst, jemand aus der Grauzone", sagt Antonio Picascia. "Sie laden dich auf einen Café ein, beginnen ein unverbindliches Gespräch. Du denkst, es sind gute Bekannte. Und dann, dann sagen sie, was sie wirklich wollen. Von mir wollten sie, dass ich den Sohn des Bosses einstelle."

Freiwillige Helfer der Organisation Libera ernten Tomaten. (Foto: Foto: Julius Müller-Meiningen)

Es sei wie eine Versicherung, hätten sie gesagt. Und Picascia hat sich gedacht: Eine Versicherung schließt man gegen Schäden ab. Dann verstand er, dass ihn soeben die Camorra erpresst hatte.

Picascia ist ein 39-jähriger Unternehmer aus Céllole, einem kleinen Ort 80 Kilometer nördlich von Neapel. Er verkauft chemische Produkte, Spülmittel und Seifen zum Beispiel. Wie ihn gibt es Tausende Unternehmer in ganz Italien, die von der Mafia erpresst werden. Die meisten bezahlen oder tun das, was ihnen die Leute aus der Grauzone auftragen.

Bewunderung und Unverständnis

Picascia hingegen ist zu den Carabinieri gegangen und hat die Erpresser angezeigt. Die Polizei nahm vier Personen fest, es war Anfang 2007. Heute sitzen noch zwei von ihnen im Gefängnis, die anderen beiden wurden freigelassen. Bislang ist dem Unternehmer nichts passiert. In Céllole, seiner Heimat, schwanken die Menschen zwischen Bewunderung für den mutigen Mann und Unverständnis.

Schließlich bezahlen die meisten hier immer noch Schutzgeld. Es ist die Stille, die Gleichgültigkeit und die Gewohnheit an das Unrecht, die Picascia durchbrochen hat mit seinem Gang ins Polizeirevier. "Eigentlich ist es traurig, dass ich etwas besonderes bin, nur weil ich eine ganz normale Sache gemacht habe", sagt er.

Obwohl die Camorra in Kampanien, die Cosa Nostra auf Sizilien, die 'Nrangheta in Kalabrien und die Sacra Corona Unita in Apulien immer noch unzählige Unternehmen kontrollieren, denken immer mehr Menschen in Süditalien wie der Unternehmer Picascia.

Picascia meint, es seien die jungen Menschen, von denen der Wandel ausgehen müsse. In Palermo auf Sizilien zum Beispiel tapezierten Jugendliche im Juni 2004 die ganze Stadt mit Aufklebern, auf denen geschrieben stand: "Ein ganzes Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde".

80 Prozent der Unternehmen zahlen Schutzgeld

So wurde die Bewegung "Addiopizzo" geboren, deren Mitglieder das Bewusstsein der Sizilianer verändern wollen. Angeblich bezahlen 80 Prozent der Unternehmer immer noch den pizzo, wie das Schutzgeld genannt wird. Weil auch der Unternehmerverband in Sizilien sich dem Anti-Mafia-Kampf angeschlossen hat, gilt die Insel als Vorreiter der Bewegung. In Kampanien, dem Latium, in Kalabrien oder Apulien steht der zivile Kampf gegen die Mafia immer noch am Anfang.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich die Organisation Libera um Mafia-Besitztümer kümmert ...

"Gerade in Kampanien ist das Bewusstsein noch nicht besonders fortgeschritten", sagt der 38-jährige Miro Barbaro. Er sitzt in einem kleinen Laden in Rom, gleich gegenüber der Trajanssäule in der Nähe des Forum Romanum. Die Holzregale in dem Geschäft sind voller Lebensmittel: Spaghetti und Penne, Pesto und eingelegtes Gemüse, Wein, Öl und Kichererbsenmehl.

Der Unternehmer Antonio Picascia hat seine Erpresser angezeigt. (Foto: Foto: Julius Müller-Meiningen)

"Libera" nennt sich die seit 1995 bestehende Organisation, die auf ehemaligen Mafia-Gütern ökologischen Landbau betreibt. Kommt wieder ein Boss hinter Gitter, konfisziert der italienische Staat dessen Ländereien und stellt sie Organisationen wie Libera zur Verfügung. Insgesamt waren 7770 Mafia-Güter bis Ende 2007 in Italien beschlagnahmt. Libera betreibt Kooperativen in Sizilien, Kalabrien, Apulien und im Latium. Demnächst sollen zwei Standorte auf ehemaligen Camorra-Gütern in der Provinz Caserta geöffnet werden. Es ist die Gegend, aus der der Unternehmer Antonio Picascia stammt.

Etwa 100 Mitglieder hat Libera heute, sie sind unter anderem in Schulen und Universitäten aktiv und veranstalten in den Kooperativen internationale Ferienlager. Mitten in den Stadtzentren von Rom, Palermo und Neapel werden die ökologischen Produkte in den Libera-Läden verkauft, außerdem in Geschäften der Supermarktkette Coop.

Tomatensoße aus Sizilien, Pesto aus Kalabrien

Auf der Tomatensoße aus dem bekannten sizilianischen Mafianest Corleone klebt der Aufkleber "Von der von der Mafia befreiten Erde". Barbaro erklärt, dass auch das Kichererbsenmehl und das Korn, aus dem die Pasta produziert wird, von dort kommen. Das Peperoncino-Pesto stammt aus Kalabrien. Der Wein kommt von beschlagnahmten Weinbergen aus dem südlichen Latium und aus der Lombardei. Selbst dort, im Norden Italiens, besitzt die Mafia Güter. 600 Hektar beschlagnahmter Ländereien stehen den Kooperativen von Libera zur Verfügung.

Es passiert, dass Weinstöcke ausgerissen werden oder ein Feld in Flammen aufgeht. Dann haben sich die Nachkommen der Bosse noch einmal bemerkbar gemacht. Barbaro meint, man bräuchte nicht besonders viel Mut, um als Bürger gegen die Mafia zu kämpfen, sondern nur den Glauben daran, dass es richtig ist, was man tut.

In seinem Elternhaus in Palermo habe er bestimmte Werte vermittelt bekommen und dann die richtigen Freunde getroffen. Mit 18 half er in Palermo Kindern bei den Hausaufgaben, die im von der Mafia beherrschten Marktviertel "Il Capo" auf der Straße herumhingen. Und jetzt sitzt Barbaro in diesem kleinen Laden mitten in Rom. "Es reicht, wenn man nicht das Schicksal der Welt ändern will, sondern einfach etwas Konkretes tut", sagt er.

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