Interview:"Sie müssen schon fragen, dann kriegen Sie Antworten"

Lesezeit: 8 min

Renzo Rosso hat 1978 die DIESEL-Jeans erfunden. Alexander Gorkow sprach mit dem Modemacher, der aussieht wie ein geschlauchter Hardrockmusiker und nicht lang herumschwafelt.

Renzo Rosso wurde 1955 im Nordosten Italiens geboren und gilt als einer der eigenwilligsten Mode-Unternehmer. Nach seiner Ausbildung in einer Schule für Industrielle Textilherstellung gründete er 1978 die Jeans- und Freizeitkleidungsmarke DIESEL.

1985 zahlte er seine Teilhaber aus, seitdem ist er Alleininhaber. Weltweit macht DIESEL heute einen Umsatz von circa 700 Millionen Euro. DIESEL fördert zahlreiche Initiativen in der Mode-, Musik- und Kunstwelt, zum Beispiel den "International Talent Support" (ITS), einen Award, der jährlich in Triest vergeben wird.

Das Grand Hotel Duchi D'Aosta liegt an der schönen Piazza Unità d'Italia in Triest. In Harry's Bar sitzt Renzo Rosso in einem Ledersessel und schaut aus wie ein geschlauchter Hardrockmusiker. Müde. Lieb. Barfuß. Nicht groß, aber kräftig. Er bewegt sich tapsig. Er wirkt unverstellt und einfach.

Von diesem Vierschröter wird man keine Gedankengirlanden bekommen und auch kein Geschwafel. Ein paar Weisheiten fürs Leben aber. Und dann sind da diese kristallnen Augen, die bei aller Müdigkeit so klar ins Leben blicken.

SZ: Sie sehen nicht aus wie ein Modemacher.

Renzo Rosso: Danke.

SZ: Sie sehen aus, als würden Sie in einer Rockband spielen.

Rosso: Danke, danke. Sie meinen, ich schaue aus wie ein Mensch mit einem simplen Gemüt? Sie haben Recht. Ich bin ein Bauernjunge aus Norditalien. Ich mache mir da nicht viele Gedanken.

SZ: Worüber?

Rosso: Na, was mein Äußeres angeht. Ich trage die Haare zum Beispiel so, weil ich sie nach dem Duschen nicht in Form bringen muss. Alles hängt so 'rum.

SZ: Natürlich sieht das so auch cool aus.

Rosso: Natürlich.

SZ: Männer mit regelrechten Frisuren sind sowieso albern, oder?

Rosso: Jeder wie er mag. Meine hängen so 'rum. So, wie ein Rockmusiker ...

SZ: ... wie ein guter Rockmusiker natürlich, keiner von der üblen Sorte ...

Rosso: Schon gut, wirklich. Danke für das Kompliment. Ich bin ja damit aufgewachsen. Led Zeppelin, Pink Floyd. Die Zeit halt.

SZ: Die späten 60er, die frühen 70er.

Rosso: Ja. Allerdings...allerdings.

SZ: Sie wirken so sonderbar, wenn Sie auf Awards oder Catwalks neben diesen kapriziösen Herren herumstehen.

Rosso: Ich wirke proletarisch daneben?

SZ: Nun, sagen wir: heterosexuell.

Rosso: Ich würde mich auch selbst als recht heterosexuell bezeichnen. Aber wissen Sie, in der Modewelt spielt das eine oder das andere die geringfügigste Rolle. Hier verbünden sich Designer, die äußerlich wirken wie Feuer und Wasser. Einfach deshalb zum Beispiel, weil sie gemeinsame Interessen haben, oder die selben Botschaften, weil sie sich begeistern, weil sie ähnlich durchgedreht sind. Lustig. Kreativ. Auch deshalb verehre ich Karl Lagerfeld. Wir mögen uns. Er ist unglaublich intelligent.

SZ: Sie waren 1968 13 Jahre alt.

Rosso: Und ich lebte in einem Dorf. Ich kam in die Pubertät. Ich glaube, die ganze westliche Welt kam in die Pubertät, oder? So. Und dann änderte sich alles. Und die Mode änderte sich eben auch. Die Leute, die ich anhimmelte, die ein paar Jahre älter waren als ich, die trugen die unglaublichsten Sachen. Die Hosen hingen tief auf den Hüften, die Hemden der Mädchen flatterten herum, man kann sich heute nicht mehr vorstellen, was das für ein Schock war. In einem Dorf in Norditalien. Sehr katholisch, hehehe!

SZ: Sie aber fanden das alles sexy.

Rosso: Sehr sexy. Die Mädchen. Ja.

SZ: Diese Zeit hat Sie als Designer beeinflusst? Ist '68 die Wegmarke?

Rosso: Si! 1968 war ich ein Rebell. Ein kleiner Rebell zwar. Aber ein Rebell.

SZ: Sind Sie immer noch einer?

Rosso: Womöglich.

SZ: Auch politisch?

Rosso: Was meinen Sie?

SZ: Sie wollen sich nicht äußern. Geschäftsleute haben damit große Probleme!

Rosso: Sie müssen schon fragen, dann kriegen Sie Antworten.

SZ: Nun, der wunderbare Designer Marc Jacobs verkauft in seinem Laden in New York Sticker mit der Aufschrift: "Nobody died when Clinton lied" - für einen amerikanischen Designer mutig, finde ich.

Rosso: Finde ich auch. Für einen Amerikaner.

SZ: Sie sind eine große Nummer im US-Markt, vor allem an der Ostküste ist es cool, Diesel zu tragen. Können Sie sich Abfälliges über den Präsidenten leisten?

Rosso: Naja, natürlich kann ich das. Nur was, wenn es, sagen wir: wohlfeil klingt?

SZ: Also lieber nicht.

Rosso: Nein, nein, ich meine: es ist auch leicht, gegen Bush zu sein, oder? Wir müssen den Terrorismus bekämpfen, ja. Aber bin ich für Bush? Nein, bin ich nicht.

SZ: Und wie stehen Sie als alter Rocker zu Ihrem Regierungschef, dem überaus aparten Silvio Berlusconi?

Rosso: Noch eine politische Frage. Was für ein Interview. Hören Sie mal, ich bin nur ein Schneider, ein Fabrikant, aber gut...

SZ: Los, sagen Sie mal...

Rosso: Nun, Berlusconi regiert für italienische Verhältnisse schon lange. Sehr lange.

SZ: Das freut Sie, nicht wahr? Kontinuität!

Rosso: Früher wusstest du bei uns gerade, wie man den neuen Regierungschef schreibt, da wurde er schon wieder abgelöst. Sie wissen, dass wir Italiener ein kooperatives Verhältnis zur Anarchie haben.

SZ: Mögen Sie Berlusconi?

Rosso: Der Rebellentest.

SZ: Genau.

Rosso: Ich denke, dass seine Kontinuität möglicherweise positiv ist.

SZ: Hat er noch mehr gute Eigenschaften?

Rosso: Möglicherweise nicht. Nein. Keine, die sich für Italien auszahlen würden.

SZ: Aus seinem Kabinett heraus werden gelegentlich deutsche Touristen beleidigt, eine große Unverschämtheit!

Rosso: Ja. Und natürlich auch sehr dumm.

SZ: Was haben wir Deutschen schon Geld in Italien gelassen! So eine Sauerei!

Rosso: Eben, ja.

SZ: Wie rebellisch sind Sie als Firmenchef?

Rosso: Ich bin heute eher lästig als rebellisch. Fragen Sie meine Angestellten, die werden Ihnen was vorjammern.

SZ: Ihre Angestellten reden von Ihnen wie von einem Halbgott.

Rosso: Ah, sehr gut! Ich liebe es, Dinge immer wieder anders zu machen. Und wenn Diesel mit einer Strategie Erfolg hat, wenn alle denken, hey Renzo, so machen wir jetzt weiter, so läuft's ja komfortabel, dann geht es mir darum, die Dinge schon wieder anders zu machen. Ich meine: Jeder redet heute von Rebellion. Eigentlich aber geht es mir nur darum, nicht gemütlich zu werden, es geht um: den Willen.

SZ: Wie kommt ein kleiner Dorf-Rocker dazu, Mode zu kreieren?

Rosso: Wie gesagt, die Kleidung damals, dieses verrückte Zeug, das die Leute trugen, das hatte eine unglaubliche Faszination für mich. Eines Tages fing ich selbst an, Jeansstoffe mit Steinen zu bearbeiten. Ich habe mich mit den Steinen halbtot gerubbelt. Ich wollte, dass die Jeans benutzt aussehen, cool - nicht so steif.

SZ: So fing alles an?

Rosso: Ja.

SZ: Die Kleider waren Ihnen zu steif?

Rosso: Natürlich, nicht nur mir waren sie zu steif. Alle Leute, die ich damals kannte, behandelten ihre neuen Klamotten sofort so, dass sie danach benutzt aussahen.

SZ: Sie kamen mehr von der mechanischen Seite demnach. Nicht so sehr, sagen wir, von der Chi-chi-Seite.

Rosso: Absolut. Ich habe an allem herumgebastelt damals. An Hosen. An Motorrädern.

SZ: An...

Rosso: Ja, Frauen, hehe...

SZ: Wollt ich gar nicht sagen.

Rosso: Ach was, schon okay.

SZ: Sie hätten Mechaniker werden können.

Rosso: Ich bin eigentlich nie was anderes gewesen: Mechaniker und Geschäftsmann. Ich habe ewig an Motorrädern herumgebastelt, aufgeschraubt, was eingesetzt, wieder zusammengeschraubt, wieder aufgeschraubt, was rausgenommen, wieder zusammengeschraubt. Ja. So.

SZ: Warum?

Rosso: Damit es cooler aussieht, das Motorrad. Und damit es schneller fährt.

SZ: Wie sah der Weg vom Motorrad- zum Kleidungsmechaniker aus?

Rosso: Eigentlich war das ein und dasselbe. Sagen wir so: Ich wollte ein cooleres Motorrad aus meinem Motorrad machen. Dann wollte ich coolere Jeans aus meinen Jeans machen. Also dachte ich mir: Wieso kreierst du nicht Klamotten, die von Anfang an unsteif aussehen, cooler halt, benutzt, und die aber noch neu sind, hochwertig, nicht im klassischen Sinne kaputt also. So ging es los. Wenn Sie so wollen, war das die Geburtsstunde des Vintage-Looks. Ich war allerdings, nachdem ich die Modeschule besucht hatte, der einzige, der an diese Idee glaubte.

SZ: Der einzige?

Rosso: Alle wollten coole, zerrubbelte Jeans, aber kein normaler Mensch glaubte daran, dass sich damit Geld verdienen ließe. Also umgab ich mich mit Verrückten.

SZ: Sie haben 1978 mit nichts angefangen, heute macht Diesel Mega-Firmen wie Levis in den USA das Leben schwer. Dabei hatten Sie nie fette Sponsoren...

Rosso: Ja.

SZ: Achtung, eine super Frage: Wie lautet das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Rosso: Du brauchst eine Idee, nur eine Idee. Und dann den absoluten Willen. Das ist alles.

SZ: Gut, die eine Idee hatten Sie. Es begann mit zerrubbelten Jeans, später kamen ja noch Shirts, Jacken dazu, aber bleiben wir mal bei den Jeans. Nun zum Willen!

Rosso: Okay. Ich habe mir damals in den Siebzigern einen Ford Transit gekauft und bin mit dem durch ganz Europa gefahren.

SZ: In dem Transit hingen Ihre Hosen?

Rosso: Ja, alles voller Hosen. Ich und ein Kompagnon haben die Stoffe gekauft, wir haben das nähen lassen, dann haben wir es bearbeiten lassen. Rubbelrubbelrubbel.

SZ: So dass die Hosen benutzt aussahen.

Rosso: Richtig.

SZ: Wann war das?

Rosso: Mal überlegen...1975 war ich mit der Modeschule fertig, danach halt. Ab 1975! Ein Shop nach dem anderen, eine Schau nach der anderen. Immer in dem Transit. Rom, Mailand, Paris, Düsseldorf, Skandinavien. Immer rein in die Läden mit unseren Hosen, wieder raus aus den Läden. Wir sind nachts gefahren, morgens standen wir in den Läden. Hundemüde. Aber mit unserem schönsten Lächeln.

SZ: Wie lief das in den Läden ab?

Rosso: Ich bin rein mit ein paar Hosen. Habe den Leuten in dem Shop gesagt: "Gib mir zwei Meter in Deinem Regal." Die Leute sagten: "Wieso sollten wir das tun?" Ich sagte: "Weil ich Dir eine gute Rendite mache. Du wirst mit meinen Hosen auf den zwei Metern mehr verdienen als mit den Hosen, die da jetzt hängen!"

SZ: Was haben die Inhaber gesagt?

Rosso: Die sagten: "Deine Hosen sind nicht neu." Darauf ich: "Doch, die sind neu, die haben nur verschiedene Waschungen hinter sich. Sie sind bearbeitet worden. Sie halten länger als die Hosen, die da jetzt hängen, und dies, obwohl die Hosen, die da jetzt hängen, neuer aussehen." Da sagten die Leute: "Aber Deine Hosen sehen aus wie benutzt." Und ich: "So sollen sie auch aussehen." Der Inhaber: "Renzo, wieso sollen wir Hosen verkaufen, die nicht neu aussehen?" Ich: "Weil Deine Kunden diese Hosen so wollen, sie finden das so cool." Der Verkäufer wieder: "Wieso sollten meine Kunden Hosen cool finden, die benutzt aussehen?" Darauf ich: "Weil sie sie so wollen!" - So ging das hin und her, immer und ewig, mein Gott.

SZ: Was für ein Wahnsinn...

Rosso: Ja, da musst Du dann durch, Mann.

SZ: Sie haben denen versprochen, dass die von den Hosen mehr verkaufen als von den anderen, die sie dort hängen hatten.

Rosso: Ja.

SZ: Und das hat geklappt?

Rosso: Ich habe ihnen noch eine Sicherheit gegeben: Wenn sie meine Hosen nicht loswerden, zahle ich die Differenz zu dem, was sie dort bisher verkauft haben.

SZ: Sie müssen gelegentlich finanziell ins Schwimmen gekommen sein.

Rosso: Es gab Nächte, da habe ich nicht geschlafen - auch nicht in dem Ford Transit. Da geht man dann im Kopf die Zahlen durch.

SZ: Sie müssen heute sehr froh sein, nicht verzweifelt aufgegeben zu haben.

Rosso: Ja, und es hätte ja Anlässe gegeben. Ich habe mir nur, wenn es nicht mehr klappte, stets neue Leute gesucht. Die den Willen haben! Du musst dir Bremser fernhalten, umgib dich niemals mit Leuten, die bremsen! Leute, die immer alles Scheiße finden und noch nicht eine spannende Idee in ihrem Leben gehabt haben. Mit denen kommst Du keinen Meter weiter!

SZ: Fehlt Ihnen bei den Jungen heute manchmal Idealismus?

Rosso: Nein, überhaupt nicht.

SZ: Entschuldigen Sie, aber es hat eine gewisse Tradition bei uns, auf diese Frage mit einem schneidigen "Ja" zu antworten.

Rosso: Nein, ich bekomme die Frage ja öfter mal gestellt. Aber die jungen Leute heute sind kreativer denn je. Es sind doch die Alten, die ständig Angst haben, die die Bedenken hin und herwägen. Ich glaube fast, dass die Alten heute noch mehr Angst vor der Jugend haben als zu der Zeit, als ich jung war. Das ist bitter: Manchmal habe ich den Eindruck, die Generation, die 1968 so agil an Veränderungen arbeitete, schaut heute besonders missmutig auf die Jugend. Und ich schwöre Ihnen: Jede Firma, die nicht auf die Jugend setzt, ist bald tot. Die Alten bremsen.

SZ: Renzo Rosso, auch Rebellen neigen mitunter dazu, melancholisch zu werden...

Rosso: Oh, ich bin auch nicht an jedem Tag...

SZ: Nein, nochmal: Man hat Sie für verrückt gehalten, es ging Ihnen ans Geld. Wieso haben Sie nie hingeschmissen?

Rosso: Nein, niemals.

SZ: Warum nicht?

Rosso: Niemals hätte ich hingeschmissen.

SZ: Kapiert. Warum nicht?

Rosso: Sie wissen, dass ich aus einem kleinen Dorf in Norditalien komme.

SZ: Der Rebell aus dem Dorf, ja.

Rosso: Das Dorf war sehr, sehr katholisch.

SZ: Ah, der Stolz!

Rosso: Man darf niemals sein Gesicht verlieren! Am Ende habe ich immer gesagt: "Renzo, you are a man of honour!" Sie lächeln.

SZ: Das hat was großartig Westernmäßiges.

Rosso: Ich meine das ernst, verstehen Sie?

SZ: Rebellion und Religion - in Ihnen vereint.

Rosso: Si. Bene!

© SZ am Wochenende 2./3.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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