Interview:Ist Zähneputzen gleich nach dem Essen falsch?

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"Nach dem Essen Zähneputzen nicht vergessen", lautete einst der Grundsatz für den Hausgebrauch der Zahnbürste. Der Göttinger Zahnmediziner Thomas Attin hält das teilweise für überholt.

SZ: Sie behaupten auf Grund neuer Messungen, dass Zähneputzen direkt nach dem Essen gefährlich sei. Warum?

Zahnschmelz, die härsteste körpereigene Substanz, muss einige Jahrzehnte halten. (Foto: dpa)

Attin: Nahrungsmittel, die Säuren enthalten, greifen den Zahnschmelz an. Weil die Säure Kalzium und Phosphat aus dieser harten Schutzschicht herauslöst, wird diese weicher und angreifbarer. Wer jetzt die Zähne mit der Bürste bearbeitet, wird auch den Schmelz ein Stück weit abreiben. Und dieses Material ist verloren, es bildet sich nicht nach.

SZ: Soll man deshalb etwa ganz auf das Zähneputzen verzichten?

Attin: Natürlich nicht. Wenn Sie eine halbe bis eine Stunde warten, hat das Gebiss Gelegenheit, Kalzium und Phosphat erneut aufzunehmen, zu "remineralisieren", und wieder hart zu werden.

SZ: Von welchen Nahrungsmitteln sprechen Sie?

Attin: Obst wäre zu nennen, weil es viele Fruchtsäuren enthält. Dasselbe gilt für Fruchtsaftgetränke und Früchtetees. Sehr säurehaltig sind auch Limonaden.

SZ: Andere Zahnärzte werfen Ihnen vor, Sie würden mit solchen Ratschlägen die Menschen verunsichern. Das Phänomen sei lange bekannt; es komme aber darauf an, eine Putzroutine zu entwickeln.

Attin: Da muss ich widersprechen. Wie unsere Testergebnisse zeigen, sollte man diesen Mechanismus nicht unterschätzen. Dass die Zähne durch falsches Putzen spürbar kleiner werden, haben wir bei unseren Probanden gemessen. Das gilt übrigens auch, wenn Sie zu fest schrubben statt zu kreisen. Jeder fünfte Deutsche hat daher Erosionsschäden. Ein stabiler Schmelz ist aber ein wichtiger Schutz gegen Karies.

SZ: Wie soll sich denn der Normalbürger verhalten, der nach dem Frühstück keine halbe Stunde Zeit hat zu warten, bis er endlich Zähne putzen darf?

Attin: Statt nach den Mahlzeiten kann man die Zähne vor dem Essen putzen, so überraschend das klingt. Entscheidend ist, dass die Zahnbeläge und Plaques mit der Bürste entfernt werden. Dann sitzen auch keine Bakterien mehr auf den Zähnen, die sich an den Essensresten stärken und den Schmelz durchlöchern.

SZ: Lässt sich die Wartezeit zwischen Essen und Zähneputzen verkürzen?

Attin: Wenn Sie sich den Mund nach dem Essen mit Milch ausspülen, beschleunigt das die Erholungszeit der Zähne auf schätzungsweise 20 bis 30 Minuten. Das Kalzium der Milch erleichtert die Einlagerung von Mineralien. Auch Kaugummikauen hilft, weil es den Speichelfluss anregt. Immerhin muss Ihr Schmelz 70 Jahre lang halten, unter enormen chemischen und mechanischen Belastungen. Das ist der Mühe wert.

Prof. Dr. Thomas Attin ist Direktor der Abteilung für Zahnerhaltung der Universität Göttingen.

© Interview: Michael Brendler - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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