Interview:"Ich bin ein Langweiler-Mädchen"

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VIVA-Moderatorin Sarah Kuttner spricht über Politikerphrasen, ihre Ausgehfaulheit und kotzende Karnevalisten.

Von daniel-erk.jetzt.de und dirk-schoenlebe.jetzt.de

Über dem Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg scheint die Sonne. Es ist Samstagmittag, auf dem Platz und vor den Cafés sitzen junge Berliner und frühstücken. Sarah Kuttner, 25, ist bestens gelaunt, als sie das Café betritt. Sie hat allen Grund: Am heutigen Montag startet ihr Abendtalk beim Musiksender VIVA - außerdem kommt sie gerade aus dem Urlaub und ist in ihrer Heimatstadt Berlin, was immer seltener vorkommt. Sie beginnt sofort zu plaudern, und als sie entdeckt, dass zwei Diktiergeräte auf dem Tisch liegen, erzählt sie, wie sie, als sie noch für den Berliner Jugendsender "Radio Fritz" arbeitete, mal fast ein Interview mit Kylie Minogue vermasselt hätte. Aber irgendwann kommen dann auch wir wieder zu Wort.

jetzt.de: Wie war's denn im Urlaub?

Sarah Kuttner: Schön. Ich war fünf Tage am Meer, das reicht dann auch, weil ich nicht länger am Strand rumliegen kann. Ist langweilig. Aber ich bin richtig schön braun geworden. Sieht man, oder?

jetzt.de: Ja, schon.

Sarah Kuttner: Ich bin ein Pauschalurlaub-Fan. Ich muss keine Ausflüge "ins Landesinnere" machen. Es soll warm sein, ein Pool muss da sein, das Meer, ein Hotel, die Leute sollen sich bitte um alles kümmern. Ich möchte am Flughafen in so einen Scheiß-Bus gesetzt, irgendwo abgeworfen und dann wieder eingesammelt werden. Ich will nur entspannen. Und lesen.

jetzt.de: Was hast du gelesen?

Sarah Kuttner: Quatschbücher. Mädchenbücher. Liebeskram. Ich will einfach unterhalten werden. Schlimm, oder? Ich habe am Flughafen ein Buch gesehen, die Autorin hieß Sarah, und der Titel lautete "Ich bin gekommen". Musste ich mir kaufen, klar, oder?

jetzt.de: Klar.

Sarah Kuttner: Außerdem habe ich mir gerade das "Lexikon der Serienmörder" gekauft. Da sind die 450 wichtigsten Serienmordfälle der Welt drin, alphabetisch und nach Kontinenten geordnet, immer eine oder anderthalb Seiten pro Fall. Das ist der Wahnsinn. Man stumpft total ab. Durch Europa bin ich inzwischen durch, jetzt fange ich mit Nordamerika an. Frauen lese ich da gar nicht mehr, weil Frauen immer vergiften, und wie öde ist das bitte?

jetzt.de: Liest du auch Zeitung?

Sarah Kuttner: Nur als Vorbereitung auf die Sendung. Ich bekomme es nicht hin. Es interessiert mich einfach nicht. Ja, ich finde das selbst doof. Aber ich finde es noch viel schlimmer, wenn jemand behauptet, er lese das alles und macht es dann doch nicht.

Ich versuche schon, die Tagesschau zu sehen. Ich möchte nie im Leben, dass jemand kommt und mir sagt: "Übrigens ist heute das passiert", und ich kann nur sagen: "Oh, aha, warum wusste ich nicht, dass da schon wieder "ne Atombombe hochgegangen ist?"

jetzt.de: Würdest du sagen, du bist gut informiert?

Sarah Kuttner: Ich bin nicht genug informiert. Das klingt so doof, aber ich bin so beschäftigt mit meinem eigenen Leben, ich muss Sachen privat auf die Reihe kriegen und schauen, dass ich glücklich bin - und dann schaffe ich es einfach nicht immer, eine Tageszeitung zu lesen. Das ist vielleicht auch ein blödes Prioritäten setzen. Es ist schon arm, wenn man gar keine Ahnung hat.

jetzt.de: Gehst du wählen?

Sarah Kuttner: Klar. Das ist ja wohl das Mindeste.

jetzt.de: Und woher weißt du, wen du wählen willst?

Sarah Kuttner: Das ist tatsächlich schwierig. So was ist auch eher ein Bauchgefühl. Man kann die Wahlprogramme gepflegt vergessen, die sind ja wie Werbung. Wenn ich wissen will, was ein geiler Schokoriegel ist, schau ich mir auch nicht die Schokoriegel-Werbespots an. Ich weiß eher, was ich nicht will und wähle dann aus dem, was noch übrig bleibt, das aus, was mir am logischsten erscheint.

jetzt.de: Wie war es dann, als du die Politiker Laurenz Meyer und Franz Müntefering für VIVA interviewt hast?

Sarah Kuttner: War doch klar, dass Müntefering und der Meyer mir erzählen, wie super "ihr Schokoriegel" ist. Und wenn ich dann gesagt habe, dass da doch auch Konservierungsstoffe drin sind, haben die gesagt, "Nein nein, ist total gesund". Aus denen bekommst du nichts raus.

jetzt.de: Und trotzdem wurdest du für die Interviews gelobt, sie haben dein Image weiter gefördert.

Sarah Kuttner: Welches Image?

jetzt.de: In fast jedem Porträt über dich steht entweder "frech" oder "Berliner Schnauze".

Sarah Kuttner: Wahrscheinlich bin ich das auch. Ich mag nur die Ausdrucksweise nicht. "Berliner Schnauze" können nur Leute schreiben, die nicht aus Berlin sind. Und "frech" - huhu! Ich bin es vielleicht, aber das so aufzuschreiben finde ich bescheuert. Ich benutze solche Worte nicht. Frech ist, wenn man ein Portmonee an einen durchsichtigen Faden bindet und über die Straße zieht.

jetzt.de: Was bist du dann?

Sarah Kuttner: Ich bin wahrscheinlich nicht auf den Mund gefallen und sage auch meine Meinung. Ich sage Eko Fresh eben, wenn eine Textzeile in seinem Song nicht klargeht. Das finden die Leute dann vielleicht frech.

jetzt.de: Für viele bist du auch die VorzeigeJugendliche.

Sarah Kuttner: Vielleicht für Journalisten. Ich will diese Verantwortung aber nicht haben, diese Vorbildfunktion. Es gibt noch total andere, total nette Jugendliche. Mir ist es wirklich egal, was die Oma von irgendjemandem über mich sagt. Ich stehe nicht für die Jugend.

jetzt.de: Sondern?

Sarah Kuttner: Ich mache da nur einen Job. Und wenn Leute anfangen zu rauchen, weil ich rauche, sind die selber schuld. So weit müssen Menschen denken können, finde ich.

jetzt.de: Okay. Keine Vorzeige-Jugendliche, keine Berliner Göre. Aber du bist zumindest Berlinerin.

Sarah Kuttner: Ja, ich wohne direkt in dieser Straße hier. Ich bin in Friedrichshain geboren und in Mitte aufgewachsen, direkt am Fernsehturm quasi, und wohne jetzt in Prenzlauer Berg. Ich habe fast mein ganzes Leben hier gelebt. Aber es ist nicht mein Kiez, ich finde das Wort Kiez gruselig.

jetzt.de: Wie oft bist du noch in Berlin?

Sarah Kuttner: In letzter Zeit immer seltener, aber die vergangenen zwei Jahre waren so HälfteHälfte. Da drehte ich ein bis zwei Wochen VIVA Interaktiv im Monat, den Rest hatte ich frei und war zu Hause. Ab sofort werde ich nur noch an den Wochenenden hier sein.

jetzt.de: Wenn du in Berlin bist, was machst du am liebsten?

Sarah Kuttner: Die Leute sehen, die ich hier mag. Auto fahren. Einkaufen. Nichts Besonderes.

jetzt.de: Und das Nachtleben in Berlin?

Sarah Kuttner: Ich bin generell kein Nachtlebentyp. Ich habe kein Nachtleben. Hmm, was daran klingt falsch? (sie lacht) Ich gehe nicht aus, gehe nicht tanzen. Ich gehe mit Freunden ins Kino oder ins Café, schaue DVDs an, aber ich mache nicht Party. Die Leute sind immer überrascht, weil sie denken, dass alle VIVA-Mäuschen so Party-Menschen sind. Ich bin ein Langweiler-Mädchen. Sarah Kuttner: langweilig. Übrigens: Ich glaube, ein Aufnahmegerät streikt gerade. Stellt euch vor, wie schlimm das wäre, wenn ich Kylie Minogue wäre.

jetzt.de: Wie, du bist nicht Kylie Minogue? Was machen wir dann hier?

Sarah Kuttner: Wie, ich bin nicht Kylie Minogue? Was mache ich dann hier? (die Diktiergeräte laufen jedenfalls)

jetzt.de: Du hast eine zweite Wohnung: in Köln.

Sarah Kuttner: Köln muss sein und wird jetzt auch mehr - wegen der neuen Sendung.

jetzt.de: Wird Köln langsam zur zweiten Heimat?

Sarah Kuttner: Es wird besser. Das erste halbe Jahr war der Horror, das ganze erste Jahr war schwer, und irgendwann gewöhnt man sich einfach dran. Je mehr ich da bin, desto mehr sehe ich es schon als zweites Zuhause. Aber eben als zweites. Ich habe da jetzt auch ein Auto. Aber mit Berliner Kennzeichen. Dafür kann ich inzwischen Kölsch. Das ist hart. Ich wollte nie, dass das passiert.

jetzt.de: Wo wohnst du denn in Köln?

Sarah Kuttner: Ziemlich zentral. Das ist gerade an Karneval super - wenn man rauskommt, haben einem mehrere Leute vor die Haustür gekotzt und gepullert. Mein großer innerer Auftrag ist, beim nächsten Karneval Fotos zu machen von den geilsten Kostümen. Ich habe jemanden gesehen, der sich als Burger verkleidet hat, indem er sich ein Fladenbrot auf den Kopf gebunden hat, da drunter ein Blatt Salat und unten am Kinn noch mal das Gleiche. Und ansonsten aber einfach Jeans und Hemd trug. Großartig.

jetzt.de: Als was gehst du?

Sarah Kuttner: Ich gehe nie, Karneval ist überhaupt nicht meins. Ich bin einer von den asozialen Menschen, die daneben sitzen und sagen "Mein Gott, wie Scheiße" und über die Leute lachen.

jetzt.de: Aus Berlin kommst du, an Köln hast du dich gewöhnt. Wo könntest du dir noch vorstellen zu wohnen?

Sarah Kuttner: In München gar nicht, vielleicht noch in Hamburg. Ich finde die ganze bayerische Mentalität nicht warm genug. Ich brauche auch eher Meer als Berge. Hamburg fand ich schon super, bevor ich überhaupt da war, dann hatte ich zwei Jahre lang meine große Liebe in Hamburg und bin mit der Stadt dann sehr warm geworden.

jetzt.de: Könntest du auch auf dem Land leben?

Sarah Kuttner: Nein, ich langweile mich doch so schnell.

jetzt.de: Aber wenn du sowieso nicht ausgehst, ist es doch egal, wo du die DVDs anschaust.

Sarah Kuttner: Ja. Nein. Es ist so ein idiotisches Kopfding. Die Möglichkeit zu haben, alles machen zu können. Ich nutze die nicht, aber ich weiß, wenn ich wollte, könnte ich raus und tanzen gehen.

Auf dem Land wüsste ich, ich habe diese Möglichkeit nicht, und das würde mich wohl kurz panisch machen. Ich finde es hübsch auf dem Land, mein Papa hat ein Haus bei Schwedt, er "zwingt" mich immer, dahin zu kommen. Ich fahre da auch total gerne hin, gehe dann aber abends auch gerne wieder.

jetzt.de: Natur verliert also gegen Großstadt.

Sarah Kuttner: Ich finde Natur schon hübsch, aber ich will da nicht leben.

jetzt.de: Und wie wäre es außerhalb Deutschlands?

Sarah Kuttner: Ich war mal für ein Jahr in London, das war dann für diese Zeit mein Zuhause. Aber inzwischen fühle ich mich dort gar nicht mehr so sonderlich wohl - wenn ich jetzt dorthin komme, bin ich einfach ein ganz normaler Tourist. Und das ist ein bisschen so, als ob du deinen Exfreund triffst, und ihr versteht euch noch gut - aber er hat jetzt einfach eine andere Freundin. So geht mir das mit London auch. Ich komme hin und fühle mich ein bisschen wie die Exfreundin.

© SZ vom 2.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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