Interview:"Die Experimentierfreude hat gelitten"

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Weblogs sind die großen Gewinner des fünften Grimme-Online-Awards. Jury-Mitglied Christoph Neuberger beklagt allerdings, dass Qualität und Innovation im Internet nur schwer zu finden sind.

Interview: Arno Makowsky

Christoph Neuberger, geb. 1964, lehrt seit 2002 als Professor für Kommunikationswissenschaft (Schwerpunkt Journalistik) an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit drei Jahren ist er Mitglied der Jury des Grimme Online Awards.

Christoph Neuberger (Foto: N/A)

SZ: Herr Neuberger, Sie haben für den Online Award wochenlang Internet-Seiten auf Qualität geprüft. Fällt man da nicht irgendwann in tiefe Depressionen?

Neuberger: Nein, so schlimm war es nicht. Viele Seiten habe ich schon gekannt, Neuentdeckungen kommen zwar vor, aber sind gar nicht so häufig. Außerdem begutachtet die Jury nur 28 Publikationen, der Rest wird von der Nominierungskommission vorsortiert. Insgesamt gab es übrigens mehr als 1400 Vorschläge.

SZ: Aus welchem Bereich kamen die interessantesten Angebote?

Neuberger: Unsere drei Kategorien sind Information, Kultur und Unterhaltung und Wissen und Bildung. Wie in den letzten Jahren waren unter den Nominierten sehr viele fernsehbegleitende Online-Auftritte und davon die meisten von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Die spannendsten Dinge passieren im Moment aber bei den partizipativen Angeboten.

SZ: Sie meinen die so genannten Weblogs, die Internet-Tagebücher.

Neuberger: Genau. Interessant ist zum Beispiel BILDblog, in dem sich Medienjournalisten mit der Bildzeitung beschäftigen, Schlagzeilen überprüfen, Hinweisen ihrer Leser nachgehen. Das hat ein hohes Niveau, die Beiträge sind auch sehr gut geschrieben. Anfangs waren Blogs private Tagebücher, die online geführt wurden. Nach dem 11. September tauchten Blogs auf, die sich mit politischen Fragen und Nachrichtenthemen befassten. Augenzeugen berichteten über Katastrophen wie den Tsunami.

SZ: Welche Qualität haben die Online-Seiten der Printprodukte?

Neuberger: Seit der Krise der New Economy stagniert dieser Bereich. Die Online-Redaktionen sind verkleinert worden, die Experimentierfreude hat gelitten. Deshalb tut sich im Pressebereich im Moment wenig. Allerdings gibt es Ausnahmen, zum Beispiel Spiegel Online, das auch einen Grimme-Spezialpreis bekommen hat.

SZ: Was zeichnet eine gute Website aus?

Neuberger: Bei journalistischen Angeboten prüfen wir zunächst mal: Wo kommt das Angebot her? Ist das wirklich Journalismus oder nur die Imitation von Journalismus, wie ihn zum Beispiel viele Unternehmen praktizieren. Man will im Online-Auftritt von dem Glaubwürdigkeitsbonus des Journalismus profitieren. Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen sind oft schwer zu trennen. Dann kommt natürlich die Frage, ob die Möglichkeiten des Internets innovativ genutzt werden.

John Malkovich überreicht den Intel-Publikums-Preis. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Welche Möglichkeiten meinen Sie?

Neuberger: Zunächst die Multimedialität, also zum Beispiel die Verwendung von Bild- und Tonaufnahmen. Da kommt es nicht darauf an, ob man das technisch perfekt beherrscht, sondern ob es journalistisch sinnvoll eingesetzt wird. Spiegel Online ist hier führend. Allerdings sind die führenden amerikanischen Angebote wie CNN oder Chicago Tribune noch einen Schritt weiter. Dann geht es um Interaktivität, um Vernetzung, um ständige Aktualisierung.

SZ: Welche Potentiale, die das Medium bietet, weden nicht genutzt?

Neuberger: Vieles in Richtung Multimedialität ist heute machbar, es fehlt aber am Geld. Nehmen Sie die Seite Drei der Süddeutschen Zeitung. Eine Reportage von dieser Seite im Internet umzusetzen, ist sehr aufwendig.

SZ: Wie würde das gehen?

Neuberger: Man könnte statt nur Text und einem Foto auch Videos und Tonaufnahmen zeigen. Man könnte Dokumente und Hintergrundmaterial zeigen.

SZ: Seit zehn Jahren gibt es Online-Angebote. Ist die Qualität unterm Strich besser geworden?

Neuberger: Ja, durchaus. Insgesamt haben aber speziell deutsche Zeitungsverlage die Entwicklung verschlafen. In den USA waren die Einbrüche bei den Anzeigen bei weitem nicht so stark. Man hat dort gemerkt, dass es Abwanderungsbewegungen ins Internet gibt und haben selbst entsprechende Rubrikenmärkte im Internet geschaffen.

SZ: Werden Zeitungen und Zeitschriften irgendwann völlig durch Online-Produkte ersetzt?

Neuberger: Nur dann, wenn im Internet qualitativ hochwertige Produkte entstehen. Solange die kaum einer anbietet, weil sie nicht finanzierbar sind, sehe ich die Gefahr einer Verdrängung nicht.

SZ: Nimmt das Internet Einfluss auf die herkömmlichen Zeitungen, haben sich also die Printprodukte deshalb verändert?

Neuberger: Es gibt Studien, die gezeigt haben, dass solche Zeitungen am erfolgreichsten waren, die sich visuell zwar dem Fernsehen angepasst haben, gleichzeitig aber mehr Hintergrund, mehr Informationen geliefert haben. Das kann man auch beim Internet feststellen. Die aktuellen Tabloid-Zeitungen imitieren das Internet allerdings auch inhaltlich. Das ist aber kein guter Weg, finde ich. Besser wäre eine crossmediale Vernetzung, also eine Verbindung zwischen den beiden Medien. Zum Beispiel durch Internet-Hinweise in der Zeitung. Oder mit Themenpaketen aus der Zeitung im Internet.

SZ: Noch einmal zum Grimme Online Award. Welchen Stellenwert hat dieser Preis aus Ihrer Sicht?

Neuberger: Die Stärke des Preises ist, dass er unabhängig und neutral ist. Jeder kann sich bewerben, das Verfahren ist transparent. Er wird oft als der renommierteste Preis der Branche bezeichnet.

SZ: Profitieren die Preisträger denn selbst davon? Fernsehmacher, die Grimme-Preisträger sind, werden ja überall hofiert.

Neuberger: Das schon, aber es gibt auch eine andere Seite. Wir haben eine Untersuchung gemacht, bei der sich gezeigt hat, dass sich der Preis für einige Fernsehmacher auch negativ ausgewirkt hat. Die mussten sich anhören: Der kann nur für Arte einen Kunstfilm drehen, der ist nicht kommerziell genug. Wie sich das beim Online-Preis entwickelt, wird sich zeigen.

SZ: Der Online-Publikumspreis wird immer von einem Star überreicht, der aber nicht aus der Online-Welt, sondern meistens aus Hollywood kommt. Ist das Internet nicht fähig, selbst Prominenz hervorzubringen?

Neuberger: Ich glaube, das ändert sich gerade. Es gibt schon einige sehr prominente Blogger in den USA. Das Internet bietet für viele die Chance, als publizistische Persönlichkeiten aufzutreten und sich dadurch zur Marke zu machen. Da ist Deutschland noch ein paar Jahre hinterher.

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