Internetsucht in China:Schocktherapie für Online-Junkies

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Drastische Methoden: In China werden internetsüchtige Jugendliche unter einem Vorwand ins Krankenhaus gelockt - und dort mit Stromschlägen behandelt.

H. Bork

Mit Elektroschocks behandelt ein Krankenhaus in China internetsüchtige Jugendliche. Die Ärzte befestigen Elektroden an beiden Schläfen und an den Fingerspitzen der Patienten. Dann wird mit gezielten Stromstößen versucht, sie zu "heilen". Diese eher radikale Methode im "Volkskrankenhaus Nummer Vier" im Ort Linyi, Provinz Shandong, stößt nun allerdings auf Kritik. "Wer garantiert, dass die Stromschläge bei den Kindern keine Folgeschäden hinterlassen?", fragt eine Chinesische Jugendzeitung.

In China gibt es immer mehr Jugendliche, denen es schwer fällt, sich vom Computer loszureißen. (Foto: Foto: Reuters)

Auch in China gibt es eine wachsende Zahl junger Menschen, denen es immer schwerer fällt, sich vom Computer loszureißen. Ihre genaue Zahl ist unbekannt. Bei 300 Millionen Internetnutzern landesweit ist es jedoch eine sichere Annahme, dass die Volksrepublik auch bei dieser Statistik weltweit einen Spitzenplatz belegen dürfte. Von bis zu 20 Millionen Webnutzern mit suchtähnlichen Symptomen in der Volksrepublik ist die Rede. Allerdings gibt es keine offizielle Definition, ab wie vielen Stunden vor dem Bildschirm ein Mensch als "Internet-Junkie" einzustufen ist.

Unter einem Vorwand ins Krankenhaus gelockt

In Linyi sind viele Jugendliche offenbar gegen ihren Willen interniert und mit Elektroschocks "gefügig gemacht" worden. So steht es in einem Bericht des Reporters Guo Jianlong, der zunächst der Zensur zum Opfer fiel, nun aber im Internet zu lesen ist.

Guo berichtet von den Erlebnissen des 17-jährigen Teng Fei. Seine Eltern lockten ihn unter einem Vorwand in das Krankenhaus in Linyi. Sie wollten ihm helfen. Der Teenager wurde zum "Gesundheitstest" in den Raum 13 geführt. Dort wurde er dann solange mit schmerzhaften Stromstößen traktiert, bis er auf einem Formular seiner "freiwilligen Einweisung" zustimmte.

Wie der Reporter herausfand, werden die meisten der derzeit rund hundert Patienten gegen ihren Willen in der Klinik festgehalten. Innerhalb von zwei Stunden hätten die meisten in Raum 13 ihren Widerstand aufgegeben und das Formblatt unterschrieben. Teng Fei habe den Schmerz bereits nach einer halben Stunde nicht mehr ertragen, ist zu lesen.

Hunderte von Spezialkliniken gegen Internetsucht gibt es mittlerweile in China. Seit die Medien in schrillen Tönen vor der neuen Modekrankheit gewarnt haben, lässt sich damit viel Geld verdienen. Eine einzige Internetklinik könne im Jahr mehrere Millionen Yuan (mehrere hunderttausend Euro) verdienen, "während die Kinder chronische Ängste und ein psychologisches Trauma davontragen", schreibt ein Experte.

Teng Fei hatte schließlich Glück. Sein Vater sah ein, dass er einen Fehler gemacht hatte und holte den Jugendlichen nach anderthalb Monaten wieder ab. Allerdings hatte Teng bereits sieben Elektroschockbehandlungen hinter sich. Und 15.000 Yuan (rund 1700 Euro) "Behandlungskosten" plus eine Strafe für den Therapieabbruch von 5000 Yuan mussten bezahlt werden. In China sind das mehrere durchschnittliche Monatslöhne.

Die Internetklinik in Linyi steht unter der Leitung des 46-jährigen Psychiaters Yang Yongxin. Bis vor kurzem war er mit seinen alarmistischen Warnungen vor der Internetsucht ein landesweit gefeierter Liebling der Medien. Das zu lange Surfen der Kinder sei eine "tödliche Gefahr" für Kommunistische Partei und Nation, warnte er etwa. Mehr als 3000 Kinder hat er mit Stromstößen behandelt und dafür kräftig abkassiert.

Manche Kinder beißen um sich, wenn sie vom PC gezerrt werden

Inzwischen aber hat sich die öffentliche Meinung deutlich gegen ihn gewendet, auch wenn er sich mit Stellungnahmen zur Wehr setzt. Die Berichte in der Chinesischen Jugendzeitung seien "unwahr", behauptet er. Dass seine Stromstöße schmerzhaft seien, räumt er ein, doch seien sie mit nur ein bis fünf Milliampere keinesfalls gesundheitsschädlich, behauptet der Psychiater. Die Kritiker sind nicht überzeugt. "Gewisse Methoden gegen psychologische Störungen könnten unsere Kinder sowohl physisch wie mental beschädigen", schreibt der Blogger Hu Yong über Yangs Methoden.

Die Überforderung vieler Eltern könnte ein Grund für solche Exzesse sein. Manche Kinder beißen oder schlagen um sich, wenn sie von ihren Computerspielen weggezerrt werden sollen. Nicht nur Elektroschocks, auch andere rabiate Zwangsmaßnahmen finden daher Anhänger. Die Volksbefreiungsarmee betreibt in einer ihrer Kasernen in der Nähe von Peking ein "Trainingscamp" für Internetsüchtige, in dem mehrere hundert Online-Junkies marschieren lernen und ihre Spinde putzen.

© SZ vom 20.05.2009/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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