Ideen gegen Alkoholexzesse:Rotwein für Kleinkinder

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Die Briten haben eine neue Idee, wie sie ihre Jugend vom Trinken abhalten: Sie wollen schon Kindern in kleinen Dosen Alkohol verabreichen - wie die Italiener.

Wolfgang Koydl

Hunde und frische Würste, Piranhas und blutende Wunden, Gas und offenes Feuer - es gibt Dinge im Leben, die sollte man nach Möglichkeit nicht zusammenbringen. Die Paarung "Briten und Alkohol" scheint ebenfalls in diese Kategorie zu fallen: Es ist besser, sie zu trennen.

Alkoholverbot in der U-Bahn - auch das ist eine neue Idee, die Jugend vom Trinken abzuhalten. Etliche Londoner protestierten. (Foto: Foto: dpa)

Denn das Land, das der Welt den Whisky, den Gin and Tonic und das Pub bescherte, hat sich stets ein besonders enges Verhältnis zu berauschenden Getränken bewahrt. Es lässt sich knapp in vier Worten zusammenfassen: Je mehr, desto besser.

Zwei Tage, nachdem die Londoner U-Bahn Schauplatz eines Massenbesäufnisses mit unappetitlichen und gewalttätigen Folgen geworden war, legten die Minister für Jugend, für Gesundheit und für Inneres Anfang der Woche neue Richtlinien vor, mit denen dem wachsenden Alkoholismus unter Minderjährigen begegnet werden soll.

Schon Neunjährige trinken oft regelmäßig, und der Alkoholmissbrauch zieht andere Probleme nach sich: vom Schulschwänzen über ungewollte Schwangerschaften bei Teenagern bis hin zu Gewalttätigkeit und Beschaffungskriminalität.

Das Modell Italien?

Kern der neuen Vorschläge ist freilich nicht etwa ein Alkoholverbot für Kinder. Stattdessen soll der Chief Medical Officer, der leitende medizinische Berater der Regierung, konkrete Vorschläge ausarbeiten, wie viel Bier oder Wein Eltern ihren Kindern unbedenklich verabreichen können - je nach Alter und Wochendosis gestaffelt. Jugendminister Ed Balls erklärte, dass das neue Maßnahmenpaket zu einer neuen Trinkkultur führen solle, die sich eher an der Lage in südeuropäischen Weinländern wie Frankreich, Italien oder Spanien orientiert.

Dort, so eine weit verbreitete Überzeugung in der britischen Öffentlichkeit, gäbe es keine alkoholisierten Jugendlichen wie im Vereinigten Königreich, weil schon Kleinkinder ein Gläschen Rotwein zum Mittagessen bekämen. "Eltern haben uns gesagt, dass sie an dieser kontinentaleuropäischen Methode interessiert sind, schon in jungem Alter kleine Mengen an Alkohol zu geben", erklärte Balls. Sie erwarteten nun von der Regierung konkrete Angaben über verträgliche Mengen.

Es war dieselbe Argumentation, mit welcher vor einem Jahr die Sperrstunden für Alkoholverkauf und -ausschank aufgehoben wurden. Dies würde, so die Begründung der Regierung, zu einer kontinentaleuropäischen Cafe-Kultur führen, wo Gäste sich nicht im Wettlauf gegen die Uhr zuschütten müssten, sondern in Muße ihr Gläschen Bordeaux schlürfen und gesittet den Heimweg antreten würden.

Viele britische Trinker freilich schienen diese Vision nicht zu teilen: Weder ist der Alkoholkonsum zurückgegangen, noch hat sich etwas an dem antisozialen Verhalten Betrunkener geändert.

Die Szenen, die sich am vergangenen Samstagabend in der Londoner U-Bahn abspielten, waren symptomatisch. Ursprünglich war "Die letzte Runde auf der U-Bahn", wie die Aktion auf Networking-Seiten im Internet getauft worden war, als fröhlicher Party-Protest gegen den neuen Londoner Bürgermeister Boris Johnson geplant gewesen. Er hatte verfügt, dass der Genuss von alkoholischen Getränken in U-Bahnen, Bussen oder Nahverkehrszügen ab 1. Juni unter Strafe gestellt wird. "Es soll nur Teil einer großen britischen Tradition sein", meinte Chris Mear, einer der Organisatoren der Sause im Guardian.

"Denn das Verbot scheint eine jener Maßnahmen zu sein, die man eigentlich nur ironisch feiern kann. Ein Thema für die Party gibt es nicht, aber wir wollen, dass die Sache eine gewisse Klasse hat. Die meisten Leute werden zwar Bier mitbringen, aber ich nehme einen Martini-Mixsatz mit." Und die Website Facebook hatte eine "adrett gekleidete, schrecklich zivilisierte, von Gin getränkte Party auf der Circle Line" versprochen.

Von Klasse oder zivilisiertem Verhalten war auf der Party dann freilich nichts zu spüren. Immerhin behielt Organisator Mear mit seiner Voraussage recht, dass die Mehrzahl der Trinker Bier, Apfelwein oder andere Billiggetränke mitbringen würden. Stellvertretend für viele sprach denn auch ein Trinker, der ankündigte, dass er so lange auf der Circle Line im Kreise fahren und trinken werde, "bis ich kotze".

Er blieb seinem Wort treu - ebenso wie viele andere. Sechs Bahnhöfe mussten geschlossen werden, zahlreiche Waggons wurden demoliert oder verunreinigt, 17 Personen wurden festgenommen, und mehrere U-Bahnfahrer tätlich angegriffen.

Bier ist billiger als Mineralwasser

Ob die neuen Richtlinien der Regierung von Premierminister Gordon Brown zum Alkoholkonsum Jugendlicher das Problem lösen können, wird von Experten freilich bezweifelt. Demnächst sollen Geschäfte und Kneipen schon dann strafrechtlich verfolgt werden können, wenn sie nur zweimal Alkohol an Jugendliche unter 18 Jahren verkaufen.

Strafen drohen auch Eltern, die ihre Kinder nicht vom Suff abhalten und Minderjährigen, die als "hartnäckige Trinker" eingestuft werden. Nick Clegg allerdings, der Führer der oppositionellen Liberaldemokraten, bezweifelte, ob eine Kriminalisierung von Trinkern der richtige Weg sei.

Frank Soodeen von der Wohltätigkeitsorganisation Alcohol Concern forderte die Regierung denn auch auf, etwas gegen die leichte Verfügbarkeit von Alkohol zu unternehmen. Daran wird sich freilich so schnell nichts ändern. Im Mai erhöhte Schatzkanzler Alistair Darling die Spirituosensteuer, um den Alkoholkonsum einzudämmen. Doch Supermärkte und Alkoholläden wollten ihre Kundschaft nicht vergrätzen und erhöhten die Preise nicht. Lagerbier ist mithin noch immer billiger als Mineralwasser.

© SZ vom 03.06.2008/bilu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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