ICE-Unfall:Geliebte Krise

Die Deutschen sind offenbar gerne pessimistisch. Aber auch wenn die Umstände des ICE-Unfalls bislang ungeklärt sind: Es gibt keinen Grund zur Beschwörung der Apokalypse.

Hans Leyendecker

In Deutschland gibt es manchmal einen geradezu ekstatischen Pessimismus, eine seltsame Lust an der Krise. Untergangsszenarien gelten als Ausweis des kritischen Bewusstseins, wer besonders Schlechtes erwartet, ist meist auf der sicheren Seite. So geisterten am Freitag Spekulationen durch die Republik, der in Köln entgleiste ICE 518 sei nur knapp einer Katastrophe entgangen - Eschede Nummer II. Warum sonst soll die Bahn 61 Züge aus dem Verkehr ziehen?

Kontrolleure, Servierer und Wohlfühl-Agenten - Zugbegleiter sind heutzutage alles gleichzeitig. (Foto: Foto: dpa)

Auch wenn die Umstände des Unfalls bisher nicht geklärt sind, so gibt es dennoch keinen Grund zur Beschwörung der Apokalypse. Die Feststellung, dass die Bahn aus der Katastrophe von Eschede, bei der vor zehn Jahren 101 Menschen starben, gelernt hat, ist keine Bagatellisierung.

Sicherer als Autofahren

Die Züge werden seitdem durchleuchtet, wie es schon vor dem 3. Juni 1998 hätte gemacht werden müssen. Mit Ultraschall, Protokollen und der neuesten Technik. Drei Milliarden Kilometer haben die ICE seitdem zurückgelegt. Bis auf einen Unfall in Brühl hat es keine größeren Unglücke mehr gegeben. Zugfahren ist weitaus sicherer als die Fahrt mit dem Auto.

Das enthebt die Bahn natürlich nicht der Pflicht, sich intensiv mit der Frage zu beschäftigen, warum Hinweisen von Zuggästen auf merkwürdige Fahrgeräusche nicht gleich mit der notwendigen Akribie nachgegangen worden ist.

Zugbegleiter sind heutzutage Kontrolleure, Servierer und Wohlfühl-Agenten - da mag man schon genervt sein, wenn Passagiere wieder mal Geräusche gehört haben wollen. Fahrgäste aber dürfen erwarten, dass solche Hinweise nicht einfach abgetan werden. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Es ist ein Anfangsverdacht, nicht mehr.

© SZ vom 12.07.2008/sma/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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