Humanitäre Katastrophe in Birma:Nach dem Zyklon droht zweite Todeswelle

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Trinkwassermangel, Hunger, Krankheiten: Eine Woche nach dem verheerenden Wirbelsturm warnt die Weltgesundheitsorganisation vor einer Folgekatastrophe in Birma. Nach UN-Angaben erreichten Helfer bislang nur ein Viertel der Zyklon-Opfer - denn das Militärregime lässt immer noch kaum Hilfe von Außen zu.

Nach dem Wirbelsturm Nargis mit 100.000 Toten droht Birma eine zweite Todeswelle. Eine Woche nach der Katastrophe leide das Land an einem Mangel sauberen Trinkwassers und dem Ausbruch ansteckender Krankheiten, teilte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit.

Birmanische Soldaten entladen ein russisches Transportflugzeug mit Hilfsgütern. (Foto: Foto: Reuters)

Wundinfektionen, chronischer Durchfall und Erkrankungen wie Malaria und Denguefieber bedrohten die Bevölkerung. Den Menschen drohe ohne medizinische Hilfe der Tod, sagte Greg Beck vom International Rescue Committee. "Das ist die zweite Katastrophe nach dem Zyklon."

Mitarbeiter der Hilfsorganisation Humedica berichteten aus der Haupstadt Rangun, die Lage in der zerstörten Stadt sei an Dramatik und Traurigkeit kaum zu überbieten: "Es gibt keine Nahrungsmittel und kein sauberes Trinkwasser mehr. Die physisch und psychisch angeschlagenen Menschen verhungern und verdursten. Mit jeder Minute, die ohne internationale Hilfe vergeht, sterben Menschen, die gerettet werden könnten."

Viele Patienten litten unter Durchfall und Entwässerung, sagte ein birmanischer Arzt über die Lage in Labutta, einer der am schwersten betroffenen Orte im Irrawaddy-Delta. Es gebe kaum Kochsalzlösung für Infusionen, die gegen das Austrocknen helfen könnten. Verschmutztes Wasser stelle wegen drohender Cholera ein großes Problem dar, sagte der Arzt weiter.

Auch Blutvergiftung sei unter den Patienten weit verbreitet. Sehr viele Menschen hätten durch die vom Sturm herumgewirbelten Trümmer Fleischwunden erlitten. "Das sind Verletzungen, die wir noch nie zuvor gesehen haben", fügte der Arzt hinzu. In Labutta warteten die Menschen am Samstag noch immer auf Hilfe.

UN-Generalsekretär fordert Kooperation

Von den 1,5 Millionen bis zwei Millionen notleidenden Menschen in Birma haben nach Angaben der UN bisher erst etwa eine halbe Million Hilfslieferungen erhalten. "Wir sind mit einer großen Langsamkeit der Bürokratie konfrontiert", sagte ein UN-Sprecher in Bangkok, Richard Horsey.

"Bisher haben wir nur ein Viertel der betroffenen Bevölkerung erreicht, das geht viel zu langsam." Die birmanischen Behörden seien nicht auf Hilfseinsätze dieser Größenordnung vorbereitet.

Das Militärregime in Birma begann am Samstag mit der Verteilung internationaler Hilfsgüter an die notleidende Bevölkerung. Auf die Kisten wurden aber die Namen führender Generäle geschrieben - ein offenkundiger Versuch, aus der internationalen Hilfe propagandistisches Kapital zu schlagen. Die Vereinten Nationen schickten drei weitere Flugzeuge und mehrere Lastwagen voller Hilfsgüter. Mehrere Nachrichtenagenturen meldeten, dass ausländische Katastrophenexperten und Experten aber nach wie vor nicht einreisen durften.

Britische Hilfsorganisationen berichteten hingegen von kleinen Fortschritten bei der Hilfeleistung in Birma. Blockaden und Verzögerungen, die die Arbeit in den vergangenen Tagen erschwert hätten, seien langsam aufgehoben worden, teilte das Katastrophen-Komitee DEC, in dem Hilfsorganisationen aus Großbritannien zusammengeschlossen sind, mit.

Die Situation sei "ein wenig besser" als zuvor. "Viele Hilfsorganisationen sind jetzt am Ort - aber es geht nur langsam voran." Mitarbeitern würden nun Visa ausgestellt.

Hilfsorganisationen melden kleine Fortschritte

Flugzeuge des Roten Kreuzes konnten nach Angaben des DEC in Birma landen und wurden von den Behörden abgewickelt. Weitere sieben Flugzeuge mit Schaufeln, Moskitonetzen und Kraftstoffkanistern sollten zwischen Samstag und Montag ankommen.

Matthias Schmale, Direktor des britischen Roten Kreuzes, sagte: "Heute wurden unsere Bemühungen, Personal und Hilfsgüter in die betroffenen Regionen zu bringen, nicht blockiert." Aber die Fortschritte seien immer noch "frustrierend langsam und zu gering".

Die Kinderhilfsorganisation Save the Children erklärte, ihre Mitarbeiter hätten inzwischen Hilfe an etwa 72.000 Zyklon-Opfer verteilt. Sorgen mache ihnen aber weitere Regenstürme, die Birma nach Vorhersagen kommende Woche erreichen sollten.

Am Vortag hatte das Komitee von einer "Epidemie mit apokalyptischen Ausmaß" gewarnt. In den vergangenen Tagen hatte das DEC mehr als vier Millionen Pfund (etwa 5,1 Millionen Euro) an Spenden gesammelt. Es wird davon ausgegangen, dass in der betroffenen Region etwa 19 Millionen Menschen leben, davon zwei Drittel Kinder.

Die Organisationen versuchen, unter anderem Nahrungsmittel, Medikamente und Wasseraufbereitungstabletten, Unterkünfte sowie Plastikplanen nach Birma zu bringen. Bislang hatte das birmanische Regime zwar Hilfslieferungen angenommen, aber darauf bestanden, diese selbst im Land verteilen zu wollen.

Referendum trotz Chaos

Frankreich kündigte an, eine eigene Hilfsaktion für die Zyklon-Opfer in Birma organisieren und dafür ein Kriegsschiff einsetzen zu wollen. In Birma sind nach Medienberichten derweil auch die ersten russischen Hilfsgüter eingetroffen. In der Stadt Rangun sei am Morgen ein Transportflugzeug vom Typ Iljuschin Il-76 mit etwa 30 Tonnen Zelten und Decken gelandet, meldete die Agentur Itar-Tass.

Die Hilfsgüter würden der Regierung in Birma übergeben, die selbst die Verteilung übernehme. Internationale Hilfsorganisationen wollen sich hingegen nicht auf die reine Ablieferung von Hilfsgütern einlassen. Sie haben Sorge, dass das Militär mit den Nahrungsmittelspenden zunächst die eigenen Soldaten verpflegen will.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte die Regierung in Birma dringlich zu rückhaltloser Kooperation bei der Nothilfe für die Opfer des Wirbelsturms auf. Die Vertreter der Hilfsorganisationen müssten "ohne jede Behinderung" so schnell wie möglich ins Land gelassen werden, sagte Ban UN-Angaben zufolge am Freitag in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia.

Die Militärjunta begann ungeachtet internationaler Kritik am Samstag mit einem Referendum über eine neue Verfassung. Nach Ansicht der Opposition soll diese die Herrschaft der Militärs zementieren.

© AFP/AP/dpa/Reuters/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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