Historie:Mords-Sammlung

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Staatliche Henkersstricke, das Laptop eines Terroristen und ein Nadelkissen, das die 400 Mal verhaftete Annie Parker 1879 mit ihren eigenen Haaren nähte. (Foto: Crime Museum)

Das "Crime Museum" von Scotland Yard widmet sich in einer bizarren Ausstellung 150 Jahren britischer Kriminalitätsgeschichte.

Von Alexander Menden, London

Am 24. Oktober 1890 fand man auf einer Müllhalde in der Londoner Crossfield Road eine Frauenleiche und identifizierte sie als Phoebe Hogg, die Frau des Möbelpackers Frank Hogg. Kurz darauf wurde auch die Leiche ihrer 18 Monate alten Tochter entdeckt. Es dauerte nicht lange, bis eine Verdächtige gefunden war: Mary Pearcey war Frank Hoggs Geliebte, ihre Wohnung voller Blutspuren. Obwohl sie bis zum Schluss ihre Unschuld beteuerte, wurde Pearcey wegen Doppelmordes verurteilt und am 23. Dezember 1890 im Gefängnis von Holloway gehängt.

In einer mannshohen Vitrine im Museum of London hängt ein Strick. Er wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn es da nicht diese Schlinge gäbe, die durch eine lederverstärkte Öse an seinem Ende führt. "Seil, verwendet, um Mary Pearcey für den Mord an Phoebe Hogg zu hängen", erklärt ein Schild. Es ist eins von sechs Henkerseilen, die hier säuberlich aufgereiht präsentiert sind. Jedes diente zur Hinrichtung eines Mörders im 19. Jahrhundert.

Zum ersten Mal sind diese Seile öffentlich zu sehen. Sie stammen aus dem Fundus des "Crime Museum" im Gebäude New Scotland Yard in London, wo auch die Metropolitan Police untergebracht ist. Bisher war das Museum nur Polizisten in der Ausbildung und eigens eingeladenen Gästen zugänglich. Aus gutem Grund: Wer je das "Black Museum", wie es auch genannt wird, besuchen durfte, wird nie die Ansammlung oft harmlos aussehender Alltagsgegenstände vergessen, die, wenn man ihre Geschichte erfährt, plötzlich eine äußerst sinistre Aura bekommen.

Die Botschaft: Nur manche Verbrechen verändern sich mit dem Fortschritt

Der dezent beleuchtete Raum an einem Korridor mit gewelltem Linoleumfußboden enthält eine Unzahl von Gegenständen und Dokumenten, die mit echten Verbrechen im Zusammenhang stehen: Beweisstücke und Indizien, Masken von Überfällen, eine Leiter, die bei Einbrüchen zum Einsatz kam, Mordwerkzeuge, Gerichtsdokumente und viele Dinge aus dem persönlichen Besitz von Tätern und Opfern. Bei seiner inoffiziellen Gründung um das Jahr 1875 bildeten die Besitztümer verurteilter Verbrecher den Grundstock dieses Kriminalmuseums. Im Laufe von 140 Jahren hat sich allerhand Material angesammelt, eine Fundgrube für Kriminal-, aber auch für Sozialhistoriker.

Assistant Commissioner Martin Hewitt von Scotland Yard, ein breitschultriger Mann mit markigem Händedruck, hat ein Jahr lang mit dem Museum of London an der Ausstellung "The Crime Museum uncovered" gearbeitet. Dass die Kuratoren des Stadtmuseums frei aus der Lehrmittelsammlung auswählen durften, erklärt er mit einer neuen "Politik der Offenheit", welche die Metropolitan Police seit einiger Zeit verfolge. "Außerdem gibt es eine fantastische Geschichte darüber zu erzählen, wie sich die Aufklärungsmethoden im Laufe der Jahre verbessert haben", sagt Hewitt. "Und natürlich ist es Teil der Geschichte Londons - wie wir als Polizei schon seit 186 Jahren Teil der Stadtgeschichte sind."

Was man als Polizist vor allem aus der Sammlung lerne, so Hewitt, sei, "dass manche Verbrechen sich mit verbesserter Technik sehr verändern, andere, vor allem Gewaltverbrechen, in den letzten 140 Jahren aber vollkommen gleich geblieben sind." Es gibt reichlich forensische Daten, Fuß- und Fingerabdrücke sowie viele brutal aussehende Waffen Marke Eigenbau, darunter ein kleiner Morgenstern, dessen Kugel aus einem nagelbeschlagenen Golfball besteht.

Ziel sei es nicht, blutrünstige Artefakte auszustellen, versichert Scotland Yard

Was aber lernt der Besucher, wenn er ein Henkerseil oder den Gipsabguss vom Kopf eines Gehenkten aus nächster Nähe betrachten kann? Was rechtfertigt die Zurschaustellung von Messern, einem Dosenöffner und einer Brennschere, mit denen der Serienmörder Gordon Cummins, der "Blackout Ripper", 1942 vier Frauen umbrachte und verstümmelte? Und wo liegt, jenseits der unbestreitbar kraftvollen Wirkung grausiger Authentizität, der Erkenntnisgewinn, wenn man vor dem angesengten Stuhl steht, auf dem ein gewisser Walter Spatchett 1933 von seinem Mörder Samuel Furnace verbrannt wurde? Kurz: Ist es wirklich kriminalhistorisches Interesse oder nicht doch eher Sensationslust, welche das Publikum in diese Ausstellung treiben wird wie in die Gruselabteilung von Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett?

Es gehe nicht darum, "blutrünstige Artefakte auszustellen", versichert der Assistant Commissioner: "Wenn wir zum Beispiel Vorrichtungen präsentieren, mit denen Menschen hingerichtet wurden, dann erinnern wir auch daran, dass es im Vereinigten Königreich bis vor 50 Jahren noch die Todesstrafe gab - etwas, das uns heute bizarr vorkommt. Und wir zeigen auch, wie sich die Sicht auf manche Straftatbestände verändert hat."

Wie sehr, beweist eine Vitrine mit Gerätschaften, die bei illegalen Abtreibungen verwendet wurden. Erst 1967 machte der "Abortion Act" Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Umständen legal. So starben allein zwischen 1952 und 1957 fast 300 Frauen in Großbritannien an den Folgen eines unsachgemäß ausgeführten Abbruchs. Diese Situation änderte sich erst durch eine grundlegende juristische Neubewertung der Abtreibung.

Die Ausstellungsmacher haben sich alle Mühe gegeben, die Fakten zu den beschriebenen Fällen so nüchtern wie möglich und mit Rücksicht auf die betroffenen Personen zu vermitteln. Auch wenn die Öffnung des Crime Museum sicher nicht unproblematisch ist: Glamourös wirkt das Verbrechen hier jedenfalls nicht. Täter wie die berüchtigten Kray-Zwillinge (denen gerade wieder ein Film mit Tom Hardy in einer Doppelrolle gewidmet wurde) bekommen nicht mehr Platz eingeräumt als vermeintlich alltägliche Verbrechen. Die 24 individuellen Fälle, die exemplarisch ausgewählt wurden, reichen vom banal Bösen - ein Erpresser erschießt auf der Flucht einen Polizisten - bis zu den berüchtigten Rillington-Place-Morden, für die 1950 der unschuldige Timothy Evans aufgeknüpft wurde, bevor man seinen Nachbarn als den wahren Täter überführte. Dieser Justizirrtum ließ die öffentliche Meinung kippen, sodass die Todesstrafe schließlich abgeschafft wurde.

Das Crime Museum hat im Laufe seiner Geschichte übrigens nicht alle Stücke bekommen, die es gern in seine Sammlung aufgenommen hätte. In einem Brief vom 20. August 1876 zeigt sich der Henker William Marwood verwundert über das Ansinnen des damaligen Museumsleiters, dem Museum einen seiner Stricke zu überlassen: "Sir, ich lasse mein Seil nie aus der Hand", schrieb Marwood. "Aber wenn Sie es sehen möchten, Sir, können Sie gerne hier im Gefängnis vorbeikommen."

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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