Hilfe für Blinde:Da steht ein Pferdchen im Bus

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Es hat vier kleine Hufe und wache Augen. Weil die Muslimin Mona Ramoudi aus religiösen Gründen keinen Blindenhund wollte, hat sie jetzt ein Pferd.

Der Traum vieler kleiner Mädchen hat vier Hufe und eine lange Mähne, die sie kämmen und einflechten können. Dass ein Pferd kuschelfreudig ist, ist den Mädchen fast genauso wichtig, wie dass es sie über Wiesen und Felder tragen kann. Auch Cali ist ein Traum mit vier Hufen, reiten kann man auf dem Minipferdchen allerdings nicht - sein Job ist noch viel wichtiger: Es leiht seiner Besitzerin seine Augen.

Sicher im Bus unterwegs und auch überall sonst: Seitdem die blinde Mona Ramouni ihr Minipferd hat, geht sie gerne wieder unter Leute. (Foto: Foto: AFP)

Mit ungeduldigen Augen unter seiner schwarzen Mähne schaut Cali zu, wie die Finger ihrer Besitzerin Mona Ramouni über die Seite fliegen. Ramouni liest einen Text in Blindenschrift. Für Cali, das kleine Pferd, ist das langweilig. Cali stupst sie mit der Schnauze an und kassiert dafür einen kleinen Rüffel: "Cali, hör auf!" Wirklich sauer ist Mona Ramouni nicht, denn das Pferdchen leistet wertvolle Dienste: Cali ist ein Blindenpferd, es führt Mona Ramouni, die von Geburt an blind ist, durch den Alltag und ist immer dabei - im Bus, im Büro, bei McDonald's.

Hunde gelten im Islam als unrein

Cali erfüllt eine Aufgabe, die normalerweise von Hunden ausgeführt wird: Blindenhunde haben sich seit langem als treue Helfer von Sehbehinderten bewährt. Für Ramouni, die in Dearborn im US-Bundesstaat Michigan lebt, gab es da ein Problem. Sie lebt im Haus ihrer aus Jordanien stammenden Eltern, und im islamischen Kulturkreis gelten Hunde traditionell als unrein. Zwar haben renommierte Religionsgelehrte geurteilt, dass Blindenhunde islamkonform sind; doch konnten sich Ramounis Eltern nie mit diesen Tieren anfreunden. Also kam Mona die Idee mit dem Pferd.

Im vergangenen Oktober kaufte sie die vierjährige Cali. Das Zwergpferd ist so klein, dass es mühelos in Busse, Bahnen und Wohnungen passt. Sieben Monate lang bereitetete die Tiertrainerin Dolores Artse das Pferd auf die neue Aufgabe vor: Cali warnt nun durch Hufklappern vor Hindernissen, steigt in öffentliche Verkehrsmittel ein und räumt gelegentlich sogar Gegenstände aus Ramounis Weg. "Ich fühle mich jetzt viel mehr als Teil der Welt", sagt Ramouni. "Und ich bin sichtbarer für die Welt geworden." Oft wird die 29-Jährige unterwegs auf das Pferd angesprochen.

Ganz neuer Stolz

Sie genießt das, sie ist stolz. "Sie ist wirklich ein tolles kleines Pferd", sagt Ramouni. "Wenn sie etwas will, dann versucht sie es mit ihrem ganzen Herzen." In der Regel dauert es bis zu einem Jahr, bis sich Blinde und ihre vierbeinigen Helfer vollkommen aneinander gewöhnt haben. "Ich arbeite mit Cali, und sie arbeitet mit mir", berichtet Ramouni. "Wir tasten uns aneinander heran." Der Vorteil an dem Blindenpferdchen ist, dass es viel älter werden wird als ein Hund - bis zu 30 Jahre.

Ein Nachteil sind die hohen Kosten für Training und Pflege. Nicht alle in ihrer Umgebung brachten Verständnis für Ramounis zotteligen Begleiter auf. Die Blinde berichtet von einem Nachbarn, der kein Pferd in der Wohngegend dulden wollte. Bei der Stadtverwaltung habe er den Bau eines kleinen Stalls für Ramouni verbieten lassen wollen. Bei den Ramounis seien außerdem Hass-E-Mails eingegangen, in denen die Familie und ihr religiöser Glaube verspottet und geschmäht worden seien.

Ramouni will ihr Pferdchen allerdings nie wieder hergeben. Sie erinnert sich noch an die Zeit, in der sie viel allein zu Hause saß, weil sie sich nicht ins Freie traute. "Meine ganze Welt hat sich geändert, ich habe jetzt viel mehr Chancen", sagt sie - und verfolgt bereits den nächsten ehrgeizigen Plan: Sie strebt einen Doktortitel in Kinderpsychologie an und will ihre eigene Praxis eröffnen. "Was ich will, ist ganz einfach ein normales Leben", sagt Ramouni.

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